Fräulein Starzynska sprach immer ein langschnarrendes, rollendes R. Man wusste nicht, rührte es von ihrem Ausländertum oder von ihrer dramatischen Studienzeit her; sie hatte sich zur Schauspielerin ausgebildet, war sogar in Warschau, Riga und Petersburg, wie sie sagte, mit grossem Erfolg aufgetreten.
„Wie schön ist es hier!“ Die Arme ausgestreckt, stand sie vor dem Schreibtisch. „Hier schafft er nun! Lauter Poesie.“ Sie kam auf Eisenlohr zu. „Sie herrlicher Mensch!“
Die Starzynska war immer etwas stürmisch, er wich ein paar Schritte zurück, und doch zeigte sein Gesicht ein geschmeicheltes Lächeln.
„Teurer Meister!“ Sie liess sich nicht mehr zurückhalten, sondern fasste seine Hand. „Ich komme ganz atemlos, ich bin gerührt, erschüttert — dies wunderschöne Gedicht! Ich habe Ihr Gedicht gelesen, heut in der Zeitung. Ich habe geweint. Sie müssen mir auch ein Gedicht machen, nächsten Monat werde ich zweiundzwanzig. Meister, mir auch ein Gedicht!“ Sie fiel ihm um den Hals.
Er stand etwas verlegen. „Ich hätte nicht gedacht, dass Ihnen ein Gedicht ...“
„Oh, herrlich! Mir ein Gedicht! Ich lasse es in die Zeitung setzen!“ Sie liess ihn gar nicht zu Wort kommen, sie überschüttete ihn mit Schmeicheleien.
Er konnte nicht umhin, liebenswürdig gegen sie zu sein. Sie hatte eine schöne Figur, üppige Büste, schlanke Hüften, zierliche Hände und Füsse. Als Dichter war er für Schönheit empfänglich. Nebenbei war sie voller Temperament und voll von einer rührenden, schwärmerischen Bewunderung für ihn; und sie hatte Geist.
Immer öfter strich sich Eisenlohr das Kinn. Es war eine ihm eigentümliche, ganz charakteristische Gebärde; die schöne, weisse Hand wischte von dem bartlosen Mund abwärts, als wolle sie so das halb überlegene, halb zynische Lächeln verstecken, das da zuweilen aufdämmerte, besonders in Frauengesellschaft.
Nach einer Stunde wurde Wlodzimira sehr mitteilsam, sehr weich. Sie lehnte ihren dunklen Strubbelkopf an des Dichters Schulter und klagte über ihre Verlassenheit, über die hilflose Stellung der Frau. Sich allein durchzuringen, o wie schwer! Dem weiblichen Autor werden tausend Hindernisse in den Weg gelegt.
„Sie müssen mir helfen, Meister!“ sagte sie in rührender Naivität. „Kennen Sie Maier?“
„Er war vorhin erst hier. Er will durchaus mein neuestes Werk verlegen.“
„Und Sie haben es ihm zugesagt, Meister?“ Sie belauerte ihn.
„So halb und halb.“
„Oh, Meister!“ Nun fing sie an zu weinen. „Er ist ein Scheusal! Trauen Sie ihm nicht! Er hat mich mit Anträgen verfolgt, er war mir zuwider — nun will er mein Trauerspiel nicht verlegen. Alle Leute sagen, es ist ausgezeichnet. Was soll ich machen?“ Sie rang die Hände und schluchzte fassungslos.
Der Dichter hatte viel zu trösten; er tat es mit sanften Worten und strich sich dabei besonders häufig um Mund und Kinn.
Sie kniete vor ihm und legte das wirre Haupt auf seine Hände. „Meister, helfen Sie mir! Sie allein können es! Maier muss mein Trauerspiel verlegen. Sagen Sie es ihm. Sagen Sie ihm, Sie gäben ihm sonst nicht ...“, sie hob den Kopf und blinzelte ihn an mit schwimmenden Augen, „Sie gäben ihm sonst nicht Ihr neues Buch!“
Er versprach es ihr. — —
Der berühmte Dichter brachte die Kollegin bis an die Treppe, und sie verabschiedete sich mit überströmender Dankbarkeit.
Kaum war sie gegangen, fuhr eine Equipage vor; ein kleines, anspruchsloses Gefährt, der Kutscher in dunkler Livree, ein einfaches M auf dem Wagenschlag — Frau Eleonore Mannhardt.
Eisenlohr floh ins Schlafzimmer. „Führen Sie die Dame in den Salon!“ rief er dem Diener zu. „Rasch! Öffnen Sie in meinem Zimmer die Fenster!“ Die Starzynska hatte einen verräterischen Patschuliduft zurückgelassen. „Alle Fenster, hören Sie? Ich komme gleich!“
Er stürzte vor den Spiegel. Rasch hinein in die schwarze Samtjoppe, dieses Künstlernegligé, das seinem Charakterkopf mit der kräftigen Nase einen kleidsamen Untergrund gab.
Mit nachdenklichem Blick kam er in den Salon.
„Sie zerstreuter Dichter!“ lächelte Frau Leonore und drückte ihm die Hand. „Aus anderen Regionen aufgetaucht? Aus Dichterträumen? Verzeihen Sie, dass ich Sie geweckt habe!“
„Gnädige Frau, ich wünsche mir nie ein schöneres Erwachen!“ Er küsste ihr galant die Hand.
„Und Ihre liebe Frau, Ihr entzückendes Töchterchen?“
„Meine Frau ist ins Bad gereist.“ Er sagte das ohne jede Erregung, obgleich er wusste, dass seine Frau nicht mehr zu ihm zurückkehren würde.
„Ach, so früh schon?“ Sie sagte es auch ohne jede Verlegenheit, obgleich sie wusste, dass Eisenlohr in Scheidung lag.
„Und Ihre Elsa?“
„Mein Sonnenkind!“ Über sein Gesicht huschte ein verklärender Schein. „Sie ist meine ganze Lebensfreude. Ich erquicke mich an ihr und mag sie keinen Augenblick entbehren!“
„Nur während des Arbeitens.“
„Im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich kann nicht arbeiten, wenn ich das Geschöpfchen nicht in der Nähe weiss. In diesen Kinderaugen liegt so viel, eine ganze Welt. Jedes Wort aus Kindermund ist eine Offenbarung. Glauben Sie mir, gnädige Frau, meine besten Gedanken hole ich mir bei meinem Kinde. Wenn mein Kind seine frischen roten Lippen auf meine Stirn drückt, werden die Gedanken reiner, heiliger; sie sind weissen Tauben gleich, die empor zum Himmel schweben.“
Frau Leonore war bewegt, ihre Augen glänzten. „Wie schön empfunden! Möge ein gütiges Geschick Ihr Sonnenkind beschirmen!“
„Ich danke Ihnen, gnädige Frau!“ Er küsste ihr die Hand.
Sie machten beide eine kleine Pause in der Unterhaltung.
Endlich fragte sie schüchterner, als sonst ihre Art war: „Ich habe Sie doch hoffentlich nicht bei der Arbeit unterbrochen?“
Er hörte sie nicht, er war ganz in Gedanken versunken.
„Doch nicht bei der Arbeit gestört?“ fragte sie noch einmal.
Er fuhr aus tiefem Sinnen auf. „Gestört? O nein, wie könnten Sie mich stören! Verzeihen Sie, es ist eine leidige Angewohnheit von mir, die Gedanken nicht in der Studierstube zurückzulassen. Die stürmen dann auf einen ein und packen einen mitten in der Unterhaltung, man vergisst ganz die Gegenwart. Ich bin ein schlechter Gesellschafter.“
„Sie sind ein Dichter!“ sagte sie mit gewinnendem Lächeln.
Er verneigte sich dankend. „Sie verstehen mich, gnädige Frau, aber Sie sind eine unter Tausenden. Niemand wird öfter verkannt als der Dichter, missverstanden, verlacht, gesteinigt und mit Dornen gekrönt. Unser Lorbeerkranz ist eine mit Blättern verkleidete Dornenkrone.“
„Und das sagen Sie — Sie?“
„Meine liebe gnädige Frau, urteilen Sie auch nach äusseren Erfolgen? Was macht das Wesen des Dichters? Das Auf und Nieder von Gefühlen. Er weint mit seinen Gestalten, er lacht mit ihnen; jede Empfindung, die er wiedergibt, ist in ihm geboren, er klagt um Verlorenes und geht durch das Fegefeuer der Leidenschaft. Weit mehr als er geniesst durch seine Kunst, leidet er durch sie. Und diese Nächte, diese abscheulichen Nächte! Ich habe seit langem nicht gut geschlafen.“
Sie zitierte:
„Wer nie sein Brot mit Tränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass ...“
„Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!“ fiel er ein. „Sie haben mir eine Lektion erteilt, gnädigste Frau!“
Sie errötete vor Freude über den verehrungsvollen Ton seiner Stimme und lächelte mit leichter Koketterie. „Bin ich denn ein Schulmeister?“
„Eine reizende, kluge, liebenswürdige Frau!“ Er haschte nach ihrer Hand, sie liess sie ihm ein paar Augenblicke. Wohlgefällig ruhte sein Blick auf ihrem noch rosig schimmernden Gesicht, die erhöhte Farbe stand ihr gut, ihre Augen erschienen glänzender und lebhafter. Eisenlohr strich sich um Mund und Kinn.
Читать дальше