1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Zuletzt bekam ich noch ein Stück Fleisch mit heim, das sei so üblich, sagte der Lette. Es ist ein gutes Fleisch, nicht zu alt, gerade noch zur rechten Zeit. Und das Fell? fragte ich. Da mache ich mir vielleicht einen Kittel. Ich nickte und trottelte heim mit dem Stück Schaffleisch unterm Arm. Er hatte es vorher noch in Zeitungspapier eingewickelt. Aber schon nach hundert Metern merkte ich, daß es naß wurde unter meinem Arm. Dann nahm ich das Päckle auf die andere Seite.
Dem Schäfer begegnete ich ja nochmal. Diesmal ohne Hund. Da mußte an der Kirche in der Dorfmitte etwas los gewesen sein, vielleicht kam auch eine Nachricht im Radio oder in der Zeitung, die den Schäfer aufbrachte und weshalb er mit den Leuten händelte – wie ein Verrückter, sagten die Leute.
Auf einmal deeberte er los, ich war gerade dazugekommen:
«Dia ghaerdad älle am Seckel an Kirchturm naufghängt!« Alle Leute blickten zum Kirchturm hinauf.
Er war ganz schön hoch.
Ich wußte nicht, wen der Schäfer da hinaufhenken wollte – an was, das verstand ich schon. Aber die Leute wußten es vielleicht. Jetzt lachten sie und liefen auseinander. Hat doch keinen Zweck, hörte ich noch einen Alten bruddeln.
Und ich drehte auch ab. Und der Schäfer wackelte weiter die Hauptstraße hinab – in die nächste Wirtschaft: in den »Anker«. Bestimmt war er besoffen, und jetzt gings weiter.
Ins Kinderschüle bin ich ja auch noch gegangen. Es gab zwei davon im Dorf, und zwar alle um die Kirche und die richtige Schule herum.
Ich bin in beide gegangen. Zuerst in das, von der Hauptstraße aus gesehen, hinter der Kirche.
Das war ein niedriges Holzhaus inmitten eines großen Gartens. Wenn ich zurückdenke, war meistens schönes Wetter, und wir hockten draußen, sandelten in den Sandkästen und schaukelten auf einer der zwei Schaukeln.
Das Schönste an der ganzen Sache Kinderschüle war aber das Vesper. Die Kinder hatten alle morgens ihr Täschle mitgebracht mit einem doppelten Brot drin oder einer Brezel und einem Apfel oder einer Birne. Zu trinken bekam man von den Tanten.
Die Täschle wurden alle gleich an die Haken der Garderobe gehängt. Da hingen sie nun in allen Farben. Und wenn es soweit war, nahmen die Tanten eine Handvoll weg und verteilte sie unter den Schreiern.
Wenn ich nur wüßte, wo das Täschle hingekommen ist, es war sicher aus Leder, und mein Ähne, der auch Stiefel und Geldbeutel selber machen konnte, hat es mir zusammengenäht. Vielleicht hat es meine Mutter auch fertig beim Sattler gekauft, und es ist dann an meine Schwester gegangen, und die hat es jetzt geliefert, also heegemacht.
Nachher sind wir dann in den anderen Kindergarten umgezogen, der hieß Hindenburgschule und war direkt an der Hauptstraße. Das Haus war viel größer und aus Stein, und über uns, da gab es noch mehr Räume, und da wohnten auch Leute.
Manchmal – nicht sehr oft – kam mein Ähne von seinem Dorf auch zu uns herunter, um meiner Mutter zu helfen oder um uns den Osterhasen zu bringen. Aber meistens suchten wir den Osterhasen bei ihm: und der Osterhase hatte seine Eier in kleine Krättle auf richtiges Moos gelegt, die Körbe wurden sonst zum Brotbacken benutzt.
Und wenn er dann in die Stube hereinkam – der Hut blieb fürs erste auf dem Kopf –, schaute er immer auf das Führerbild an der Wand über der Kommode und sagte:
Nimm doch den Mörder von der Wand! Das ist doch ein Mörder; das sieht man doch, wenn man ihm nur in die Augen schaut.
Vater! rief meine Mütter jedesmal und schloß Türen und Fenster: wenn dich jemand hört. Wir werden angezeigt, vollends ich, eine Hitlerfrau.
Na ja, sagte mein Ähne und setzte endlich seinen Hut ab. Was ist auf den Äckern los?
Da habe ich den Räber-Schorsch bestellt mit seinen Gäulen, antwortete meine Mutter. Dann drehte sich das Gespräch wieder nur um diese Dinge.
Ich hatte den Mann mit dem Fahrrad, den meine Mutter einige Tage durchgefüttert hatte, längst vergessen, als eines Tages ein schwarzes Auto vor unserem Haus hielt. Zwei Männer, mit schwarzen Ledermänteln bekleidet, näherten sich der Haustüre.
Ich hatte das Auto kommen sehen und mich hinter der Miste versteckt.
Jetzt richtete ich mich langsam auf und äugte über die Mistemauer. Einer drückte jetzt die Haustürklinke, während sich der andre nochmal umschaute.
Dann verschwanden beide in der Haustür.
Ich raste hinter das Haus in den Garten, wo meine Mutter gerade beschäftigt war. Sie hatte meistens die Haustüre geschlossen, auch wenn sie daheim war, ich mußte ja nicht durch die Haustür, wenn ich ins Haus hinein oder daraus heraus wollte: da gab es den Weg von hinten durch den Schopf, oder durch den Hühnerstall, oder durch das kleine Fenster im Abort. Aber dazu brauchte ich eine Leiter. Nach einer solchen brauchte ich auch nicht lange suchen.
Diesmal mußte es meine Mutter vergessen haben, die Haustüre abzuschließen, da sie doch länger im Garten zu tun hatte.
Sie bemerkte mich gleich und blickte von ihrer Arbeit auf: Mamma, da sind zwei Männer; die sind schon im Haus drin. Die sind mit einem schwarzen Auto gekommen.
Meine Mutter ließ die Hau fallen und band sich den Schurz ab.
Wo?
Wir kamen von hinten durch den Schopf in die Scheuer, und von dieser Scheuer aus – oder in sie herein – ging eine Tür in den Hausgang, in den man von der Haustüre her trat und von dem aus die Stiege nach oben zur Küche und zur Stube führte.
Da hörten wir einen der Männer rufen: Hallo? Niemand da? Ja, was gibts? rief meine Mutter schon von weitem. Uns beiden war nicht geheuer.
Sie schob den Riegel von der Tür aus der Scheuer in den Hausgang zurück, da standen sie vor uns und wir vor ihnen. Grüß Gott. Geheime Staatspolizei. Sind Sie Frau Simpel? fragten die Männer und zeigten kurz einen Ausweis.
Dürfen wir mal mit Ihnen sprechen?
Ja, um was geht es denn? Dann kommen Sie doch rauf. Mein Mann ist nicht da; der ist Soldat.
Das wissen wir. Sie brauchen keine Angst zu haben.
Meine Mutter führte die Herren in die Stube. Ich folgte vorsichtig.
A Gläsle Most? fragte meine Mutter.
Ja, bitte.
Sie stellte einen Krug Most und zwei Gläser auf den Tisch, dann brachte sie noch einen halben Laib Brot, zwei Teller und ein Messer. Die Herren mögen sich bedienen, sagte meine Mutter und nahm langsam und etwas umständlich ebenfalls am Tisch Platz. Die Herren hatten nacheinander die Mäntel aufgeknöpft. Ich hockte hinter dem Ofen und lauerte.
Sie haben vor einiger Zeit einen Mann bei sich aufgenommen . . . begann der eine. Er fragte noch, ob er rauchen dürfte. So antwortete meine Mutter gleich doppelt, indem sie zögernd sagte:
Ja; ja, was ist mit dem?
Ist Ihnen nichts aufgefallen?
Was soll mir aufgefallen sein? Er hatte ein Fahrrad.
Das war gestohlen, meldete sich jetzt zum ersten Mal der andere. Der erste nickte: Hat er Ihnen nichts erzählt? Hat er nicht versucht, Sie zu hypnotisieren oder Ihnen aus der Hand zu lesen? Hat er Ihnen nicht die Zukunft und den Untergang Deutschlands vorhergesagt? –
Meine Mutter verstand kein Wort.
Ein gefährlicher Mann, sagte wieder der zweite. Ein Verbrecher: er ist aus dem KZ ausgebrochen, und jetzt suchen wir ihn.
Ja, sagte meine Mutter, jetzt müsse sie nachdenken, zum Schaffen habe sie ihn nicht brauchen können, deshalb habe sie ihn auch fortgeschickt, obwohl er noch länger bleiben wollte. Nein, hypnotisiert habe er sie nicht.
Überhaupt, was denn das heiße: Hypnotisieren?
Hypnotisieren – das komme aus dem Griechischen und heiße jemand einschläfern, schläfrig machen, so daß man nachher keinen Willen mehr habe –
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