Wilhelm König
Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel
Schwäbischer Landroman
Saga
Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel Copyright © 1985, 2019 Wilhelm König und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711731352
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Narrenweisheit
Man zog einmal aus in einen Krieg mit großen Büchsen und mit viel Gewehren, wie denn Sitte ist. Da stand ein Narr da und fragte, was Lebens das wäre. Man antwortete, man ziehe in den Krieg. Der Narr fragte weiter: »Was tut man im Krieg?« »Man verbrennt Dörfer und gewinnt Städte und verdirbt Wein und Korn und schlägt einander tot.« Darauf der Narr:» Warum geschieht das?« »Daß man Frieden mache!« Da sagte der Narr: »Es wäre besser, man machte vorher Frieden, damit selbiger Schaden vermieden bliebe. Ich bin witziger, als eure Herren sind; ginge es nach mir, so wollt ich vor dem Schaden Frieden machen und nicht danach, so der Schaden geschehen ist.«
Alter Schwank
»Heil«
Es scheint, daß es auch Schicksal der Deutschen ist, durch die Jahrtausende als Barbaren gebrandmarkt zu werden . . . Seien wir uns aber darüber klar, daß wir durch die Jahrhunderte selbst Schuld daran tragen, daß uns unsere Feinde gar zu gern Barbaren nennen.
Jörg Lechler »5000 Jahre Deutschland«, Germanisches Leben in 700 Bildern, Curt Kabitzsch Verlag Leipzig, 1937.
Obwohl ich das besonders mag – die Bäume in Blüte (vor allem die Kirschblüten; dann Äpfel und Birnen): mehr aber wie an den Frühling, erinnere ich mich doch an den Herbst mit der Ernte: die vollen Grätten auf den Wägen, und auch die Kühe sehe ich leibhaftig vor mir – wie sie die Wägen ziehen mit den Körben, dem Heu oder dem Stroh drauf; wie sie im Heuet eingespannt sind, mit den Schwänzen schlagen und mit den Schnauzen auf dem Boden herumfahren; wie sie immer wieder den Schwanz heben und eine Krattel machen. Das war ihre ganze Arbeit. Und ziehen natürlich. Und Milch geben. Die konnten nie einfach weglaufen im Heuet oder beim Akkern wie wir Kinder, mal in eine fremde Wiese hinein und dort Äpfel und Kirschen geholt: die schmeckten doch viel besser wie die eigenen!
So war es damals und wird es in meinem Hirn auch immer so bleiben.
Freilich das Schaffen auf dem Feld war nicht immer angenehm, und manchmal hatte man auch keine Lust, wollte was anderes machen oder nur rumstrielen und etwas anstellen. Das ging schon meiner Mutter so. Die wartete auf den Regen, aber auf so einen, daß man heim mußte oder gar nicht erst raus konnte. Dadrüber hatte sie sogar ein Gedicht gemacht, das sie mir einmal vorgelesen hatte, ich habe es behalten, wie so vieles andere auch, ohne zu wissen warum. Das Gedicht lautete:
Der Regen
Ich freute mich schon als Kind darauf
wir durften dann aufhören
auf dem Acker zu arbeiten
aber vom Regen bekam auch die Erde
mit Pflanzen ihre Nahrung
Das Schönste am Regen war aber das Unterstellen, und wenn die Regentropfen auf das Dach – möglichst Blechdach – über einem hauten! Dann wünschte man sich kein anderes Wetter mehr. Und keinen anderen Ort.
Aufschreiba, hotr gsagt, aufschreiba! Aber wie soll i äbbes aufschreiba, wenne gar et schreiba kann? Ond was soll i aufschreiba, hane gfrooget.
Älles, hotr gsagt; älles, was de ghört ond gseha hoscht.
No hannen oogugget: I han aber gar niggs ghört ond niggs gseha. Jetzt komm, komm, hotr gsagt.
Gwieß wohr, Herr Kommissar; Herr Maier: i hab niggs ghört ond niggs gseha. Dees ischt älles an mir vorbeigloffa – manchmol bene dogschdanda oder schdandablieba . . .
Guat! Guat, guat, hotr gsagt: no sagsch mir halt dees, was de gseha ond ghört hoscht, wo de manchmal dogschdanda oder schdandablieba bischt! – –
Dees ischt aber et viel! Dees ischt a bißle . . .
No sagsch mir halt dees bißle.
Wenne älles bhalta hedd? . . .
Sag mir dees, was de vo dem bißle bhalta hoscht. Ond i schreibs fir di auf. Eiverschdanda?
Eiverschdanda, Herr Kommissar; Herr Maier. Ihne traue.
So wurde es dann auch gemacht: Rudolf Maier, Hauptkommissar am Landeskriminalamt in Stuttgart, schrieb im Sommer 1948 auf – besser ließ zunächst alles von seiner Sekretärin aufschreiben und nahm dann das Geschriebene zur Bearbeitung nach Hause –, was ihm der damals 14jährige behinderte Bub Karl Simpel aus einem schwäbischen Voralbdorf im Laufe der mehrwöchigen Verhöre und polizeilichen Ermittlungen erzählte.
Der Hauptkommissar Rudolf Maier, selbst Schwabe und mit der Landschaft, in der die Dinge spielten, von Kindheit auf vertraut, hat über diesen eigenartigen »Fall Simpel« zeitlebens geschwiegen.
Erst nach seinem überraschenden Tod Ausgang der 70er Jahre entdeckte die Familie die folgenden Aufzeichnungen. Es kann nicht festgestellt werden, ob Maier sie selbst je zur Veröffentlichung vorgesehen hatte: In Form eines Romans, in Anekdoten zum Beispiel – als sinnvolle Verkettung einzelner landes-, sprach- und volkskundlicher Geschichten um einen Doppelmord.
Eine Veröffentlichung kann aber grundsätzlich unterstellt werden. Denn Maier hat immer geschrieben; vor allem vor dem Krieg und danach sind Gedichte und Betrachtungen zur Geschichte in verschiedenen regionalen Blättern erschienen. Es hätte also durchaus sein können . . . Doch der Tod war schneller! So war es dem Gespür der Nachkommen überlassen, die Dinge ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen oder nicht. Sie entschieden sich, ohne Zögern, für das Licht. Und für die Öffentlichkeit.
Lesen wir zunächst einen der Begleittexte oder Kommentare, mit denen Maier immer wieder seine Aufzeichnungen versieht. Im ersten Einschub befaßt er sich mit den Schwierigkeiten, die ihm das Ganze offenbar bereitete – oder ist es eine Rechtfertigung für sein Verfahren, persönliche Aussagen künstlerisch frei zu behandeln, ohne Rücksicht auf die Wahrheit? Freilich, es gab eine Wahrheit – einen Vorfall: ihm wollten er, Maier, und die Behörden auf die Spur kommen.
Aus den Aufzeichnungen des Kommissars Maier
Die Sprache des Buben ist oft wirr, und es bereitet mir große Schwierigkeiten, die Aussagen und Erzählungen in einen Zusammenhang zu bringen. Freilich kommt mir entgegen , daß ich selber immer gern geschrieben habe und viel lieber Schriftsteller als Polizist geworden wäre. Es gibt auch eigene Aufzeichnungen von mir aus meiner Kindheit und Jugend. Aber ich möchte sie noch nicht herausgeben: diese Geschichte des Karl Simpel, der kurz nach Kriegsende in seinem Dorf zwei Nazis erschoß, scheint mir wichtiger. Auch wenn er von früher Kindheit an – durch einen Schlittenunfall, nach dem er wochenlang bewußtlos war und wobei einige Gehirnzellen beschädigt worden sein mußten – als unzurechnungsfähig und als Dackel gilt, so reizt es mich, mögliche Motive für diese Tat herauszufinden, wenigstens dieses Leben etwas deutlicher für mich und für uns alle werden zu lassen.
Ich gestehe, daß ich nicht immer wörtlich alles übernehme, was Karl sagt: ich greife in die Schilderungen etwas ein. Aber das sollte mir erlaubt sein, schließlich habe ich diese Zeit bewußt durchlebt, habe einige Jahre in Konzentrationslagern – meiner Gesinnung wegen – verbracht. Endlich ist das kein gerichtliches Protokoll.
Ein bißchen Neugierde ist es auch, die mich beim Aufzeichnen leitet, sind doch einige schriftliche Erinnerungen verlorengegangen: man hat sie mir abgenommen, oder ich habe sie aus Furcht verbrannt.
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