Zwischendurch hatte Karin angerufen, am Freitagabend gegen Mitternacht, leicht beschwipst und echt deprimiert. Wo ich denn nur sei, fragte sie. Wie sei es mit Christos gelaufen? Es gäbe ein paar Dinge, die ich über ihn wissen sollte, nur für den Fall, daß ..., damit ich nicht unnötig verletzt werde. Zwischen den Zeilen hörte ich, daß Karin eifersüchtig und traurig war, und mich packten heftige Gewissensbisse. Als sie anrief, hatten Christos und ich vermutlich gerade unsere Brote aufgegessen und waren dabei, uns gegenseitig mit Marmelade zu bekleckern.
Karin würde sich meinen Freitagabend nie vorstellen können, nie im Leben. Für sie war ich die Maja, die sich ständig fragte, ob dieser oder jener Bursche an einem Mädchen mit einer solchen Haarfarbe interessiert sein könnte, ob sie meine, daß er am Freitag im Pub wäre und falls ja, ob ein Minirock besser wäre als lange Hosen. Nun wollte sie wissen, ob wir uns noch einmal verabreden würden, zu einem Essen, einem Bier oder sonstwas. Kurz gesagt, sie wollte wissen, ob es durch mich für sie schwieriger geworden war, ihn zu kriegen, oder leichter. Sie hoffte, ich würde erzählen, daß wir uns überhaupt nicht besonders verstanden hätten. Es reizte mich, ihr zu sagen, doch, wir haben uns recht gut verstanden. Wir haben uns die halbe Nacht geliebt und den halben nächsten Morgen, und jetzt kann ich kaum sitzen.
Ich hatte geglaubt, es könne nichts Dümmeres und Unwahreres geben als diese Redewendung, Liebe auf den ersten Blick. Dennoch fiel mir genau das ein, als ich mir jetzt überlegte, wie ich über das Geschehene berichten könnte. Als ich da so in meinem Wohnzimmer stand, die Schultertasche in der einen, die Jacke in der anderen Hand, und das Band abhörte und es schließlich wieder an den Anfang zurückspulte, fühlte ich, wie das Glück, das am Tag zuvor in mir aufgestiegen war, jetzt plötzlich mit voller Kraft durch jeden Zoll meines Körpers brauste. Das Gefühl war so stark, daß ich schrie und laut vor mich hin lachte. Nie mehr allein! Wenn ich dem zu vertrauen wagte, was meine Sinne mir erzählten, so hatte ich, wie durch ein Wunder, durch Liebe auf den ersten Blick, durch die mitfühlende Vorsorge des Küchengottes Makkaroni essender Mädchen, mein Puzzlestück gefunden, meine verlorene Hälfte, mein Spiegelbild. Er war ich, und ich war er. Die Gefühle, die entstanden, als wir uns liebten, konnten nicht trügen! Sie mußten wahr sein! Das Unmögliche war trotz allem eingetroffen, bei einem Mädchen mit rattenfarbenem Haar in einer Einzimmerwohnung mit Schlafalkoven am Odenplan.
Ich ließ Jacke und Tasche fallen und ging zu meinem Aquarium. Die Schleierfische schwammen mit derselben kühlen Unerreichbarkeit wie zuvor umher. Mir fiel ein, daß ich sie seit Tagen nicht mehr gefüttert hatte. Ich nahm die Dose mit dem Fischfutter und streute ein bißchen davon auf das Wasser. Plötzlich kam Leben in die Fische. Sie sausten blitzschnell an die Oberfläche, fraßen und fraßen, schubsten sich fast zur Seite, um die größten Flocken zu erwischen, als diese durch das klare Wasser hinabsanken. Sie waren total ausgehungert. Mit einer einfachen Bewegung meines Handgelenks hatte ich, Maja, sie mit Glück, Sicherheit und der Möglichkeit der Sättigung versehen. Als sie eine Weile gefressen hatten, beruhigten sie sich und begannen immer langsamer zu schwimmen. Mit zunehmender Würde und nur halb offenen Mündern kreuzten sie gemächlich durch das Wasser, bereit, eine einsame Flocke Fischfutter zu verschlingen, die hin und wieder an ihnen vorübertrieb.
*
Christos mußte den ganzen Tag arbeiten, also rief ich Karin an und verabredete mich mit ihr zu einem Kaffee im ›Panorama‹. Das Café trug diesen Namen, weil man dort eine weite, herrliche Sicht hatte, und ich hatte das Gefühl, Karin und ich könnten das vielleicht brauchen. Ein bißchen Aussicht, oder vielleicht eher Einsicht. Ich hatte die Absicht, auf jeden Fall die Karten auf den Tisch zu legen. Aber manchmal lief nichts so, wie man es sich vorgestellt hatte.
Karin kam nicht allein. Sie brachte einen anderen Kollegen vom ›Hard Rock‹ mit, einen großen, blonden, langweiligen Burschen mit Brille, der Göran hieß. Ich verstand erst nicht, warum sie ihn mitgebracht hatte. Karin sagte, sie wollten ins Kino gehen, doch das war nicht der Grund. Der wirkliche Grund war, das begriff ich ein Weilchen später, daß Karin vorhatte, uns beide zu verkuppeln. Göran ging zur Toilette, während wir Kaffee holten, und als wir uns an einen Fenstertisch gesetzt hatten, beugte sich Karin zu mir und sagte: »Er ist super. Er wird dir gefallen.«
»Ja, er scheint nett zu sein«, sagte ich.
»Und er sieht doch gut aus«, sagte Karin. »Ist auch mächtig clever. Studiert, genau wie du. Allerdings Jura. Er wird eines schönen Tages bestimmt ein unheimlich gewitzter Anwalt.«
»Hmm«, sagte ich.
»Außerdem hat er einen tollen Körper«, sagte Karin kichernd. »Er trainiert ungeheuer viel. Du mußt dir mal seine Muskeln an den Oberarmen ansehen.«
»Klingt Spitze«, sagte ich. »Warum bist du nicht mit ihm zusammen? Er scheint total verknallt in dich zu sein.«
»Hör bloß auf!« sagte Karin mit einem leisen Aufschrei, der in Lachen überging. »Wir sind nur Freunde! Zwischen uns ist nichts! Ich sage nur, daß er ein unheimlich süßer Kerl ist und jede, die ihn kennenlernen darf, kann sich glücklich schätzen.«
»Jede, bin das ich?« fragte ich spitz. »Es klingt, als wolltest du ihn verkaufen.«
»Mein Gott, nein!« erwiderte Karin.
Ich merkte, daß sie bei der ungewohnten Schärfe meiner Stimme leicht zurückzuckte. Sie war es nicht gewohnt, daß ich mich wehrte. Andererseits war sie nicht die Person, die so schnell aufgab.
»Das habe ich überhaupt nicht gemeint!« fuhr sie deshalb leichthin fort und zündete sich noch eine Zigarette an. »Aber jetzt, wo du es sagst! Ja, tatsächlich! Ich glaube, ihr könntet wunderbar zusammenpassen!«
Glücklicherweise kam Göran im selben Augenblick von der Toilette zurück. Er ließ sich ein wenig verlegen am Tisch nieder. Vermutlich hatte er gehört, was Karin als letztes gesagt hatte.
»Ist das mein Kaffee?« fragte er und zog eine der Tassen zu sich heran. Dann holte er sein Portemonnaie heraus. »Wer hat es ausgelegt?«
Ich betrachtete ihn mit neugewonnener Verachtung. Mein und dein. Typisch Schwedisch! Was hatte Christos gesagt? Schwedische Männer besäßen keinen Stolz, keine natürliche Großzügigkeit. In den Restaurants ließ man sich sogar vom Nachbartisch die Zigarette bezahlen, statt sie dem anderen einfach zu überlassen. Genau, Göran repräsentierte den schwedischen Mann. Groß, blond und wässrig wie zu lange gekochter Spargel. Mit ihm zu schlafen hieß, sich noch länger mit dem unbefriedigenden Ein und Aus abzugeben, das war völlig klar. Göran war ungefähr genauso sexy wie eine Ken-Puppe. Seine Auffassung von Sinnlichkeit beschränkte sich vermutlich darauf, die Rechnung genau zu teilen, auch wenn die Dame als einzige eine Nachspeise genommen hatte.
»Ich lade dich ein«, sagte ich ironisch und lächelte. Der Kaffee kostete fünfzehn Kronen, aber das war die Sache wert.
»Danke!« erwiderte Göran freundlich, lächelte zurück und steckte das Portemonnaie wieder in die Gesäßtasche. Seine Augen hinter der Brille waren recht hübsch, aber das war auch alles.
»Maja ist mit Christos Kaffee trinken gewesen«, sagte Karin zu Göran und sah mich herausfordernd an, während sie die Asche in ihren nur halb gegessenen Kuchen abschlug. »Wie war es?«
Zu meiner großen Verwunderung glühten mir nicht einmal die Wangen. Ein Glück; ich hatte jede Lust verloren, aufrichtig zu ihr zu sein. Ich hatte jedenfalls nicht die Absicht, hier vor Göran über Christos und mein Verhältnis zu ihm zu reden.
»Danke, bestens!« sagte ich daher ruhig. »Wir waren im ›Ritorno‹. Ich finde es immer sehr gemütlich dort.« Karin wartete. Sie war es gewohnt, daß alles aus mir herausströmte, so als drücke man auf einen Knopf.
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