Liane aber nahm das Lächeln in sich auf wie einen raschen Sonnenstrahl, der nur ihr leuchtete, und als Heinz Rikow „Auf Wiedersehen“ sagte, erwiderte sie das schöne und verheißungsvolle Wort mit einem Freudengefühl, für das sie, wenn man sie darum befragt hätte, keine Erklärung gewußt.
Doch ihre Freude sank nur zu bald. Kaum auf der Straße angelangt, äußerte Fernande spitzfindig:
„Ich begreife nicht, welche Eingebung meine selige Freundin veranlaßte, dir zwanzigtausend Mark zu hinterlassen, sie wußte doch, daß du bei uns wie eine leibliche Tochter gehalten wirst.“
Als keine Antwort erfolgte, fuhr sie fort:
„Wahrscheinlich dachte sie, daß es dir zustatten kommt, falls du einmal heiratest. Nun ja, schließlich ist’s ein nettes Sümmchen und eine gute Beihilfe zur Aussteuer. Aber wir werden uns auch nicht lumpen lassen. Kind, das kannst du dir doch denken. Bringe uns nur was Gediegenes ins Haus, einen Mann mit Titel und Würden, so einen, dessen Namen zu nennen schon eine Art von ästhetischem Genuß ist. Aber um des Himmels willen nicht etwa einen von der Sorte, wie dein Vater war oder wie der Heinz Rikow ist, so eine höhere Stufe von Schlosser, denn das wäre mehr als töricht.“
Liane preßte die Lippen ganz fest aufeinander und antwortete nicht.
Das störte Fernande Romstedt.
„Weshalb sprichst du denn nicht, Liane, habe ich dich vielleicht wieder einmal gekränkt, weil ich deinen Vater erwähnte? Es ist doch wahr, was ich sagte, und es ist mir überhaupt völlig unverständlich, wie ein Mann aus so vornehmer, altadliger Familie gleich ihm solchen Beruf erwählen konnte. Es gibt doch andere Berufe, die er hätte ergreifen können. Du wärst dann vielleicht heute die Tochter eines reichen und bekannten Mannes.“
„Und wenn mein Vater ein armer Schreiber gewesen wäre, so hätte ich genau so viel Grund, ihn zu lieben und auf ihn stolz zu sein, wie in dem von dir eben angedeuteten Falle.“
Liane vermochte diese Antwort nicht zu unterdrücken. Der tote Vater sollte seinen Grabesfrieden haben.
Frau Fernande nickte vor sich hin.
„Es hat keinen Zweck, mit dir darüber zu sprechen, reden wir von anderen Dingen.“
Ihr vordem etwas gereizter, gräßlicher Ton bekam hellere Klangfarbe.
„Ich freue mich sehr über die prächtigen Empiremöbel. Schon in den nächsten Tagen sollen sie uns ins Haus geschafft werden. Ich lasse das grüne Zimmer dafür ausräumen und die Möbel daraus in unserer ganzen Wohnung verteilen. Was meinst du dazu, Liane?“
Liane hatte wie stets, wenn Fernande Romstedt etwas, was ihr weh tat, gesagt, die Kränkung rasch und tapfer niedergekämpft. Sie hatte schon Übung darin und antwortete in ihrer lieben freundlichen Weise:
„Gewiß läßt sich alles so machen, wie du erklärst, liebe Tante, und ich denke mir, die Empiremöbel werden in dem Zimmer mit der grüngoldenen Tapete sehr gut wirken.“
„Das glaube ich auch.“
Frau Romstedt wurde sehr lebhaft.
„Wenn das Zimmer eingerichtet ist, dann lade ich nachmittags ein paar bekannte Damen zur Einweihung ein. Ich freue mich schon darauf. Namentlich auf die neidischen Gesichter.“
Sie erörterte des näheren, wenn sie einladen wollte und was man am besten zum Kaffee für Gebäck nehmen könnte. Das alles hatte für sie große Wichtigkeit.
Kaum zu Hause angelangt, mußten Köchin und Mädchen herbei, um beim Ausräumen des grünen Zimmers zu helfen; auch der Pförtner ward geholt, damit er bei schweren Stücken mit Hand anlege. Drei Tage danach befand sich die Empire-Einrichtung schon an Ort und Stelle, und Frau Fernande ging entzückt von einem Möbelstück zum anderen, um es mit den Augen der Besitzerin eingehend zu betrachten und zu bewundern.
Liane aber war auch in eifrigster Geschäftigkeit, sie hängte Bilder auf und gab Vasen und Schalen den rechten wirkungsvollen Platz. Die Betätigung machte ihr Freude, sie hatte geschickte Hände dafür.
In der einen Ecke, mit der linken Seitenwand leicht gegen das Fenster stoßend, hatte der Schreibtisch Aufstellung gefunden, der ganz besonders durch seine reichen Beschläge auffiel. Er enthielt einige Schränkchen und viele kleine Kasten, von denen jeder mit einem winzigen Medaillonbild verziert war, das irgendeinen schönen Frauenkopf zierte. Blonde und braune Köpfe sah man da, schwarze und solche mit Puderfrisuren. Sie waren sauber und künstlerisch gemalt und kleine Kopien berühmter Frauenporträts der Weltgeschichte.
Liane stellte auf den hohen Aufsatz des Schreibtisches eine bauchige Altjapanvase. Daneben schob sie einen schmalen, nur aus einer blumenrankigen Goldleiste gebildeten Rahmen, der eine Photographie der toten Frau Rikow enthielt.
Wie Liane so beim Aufstellen das Bild ansah, war es ihr, als ob sie die Augen Heinz Rikows anblickten. Sie spürte plötzlich ihr Herz lauter pochen und dachte erschreckt, wie das wohl kam, daß sie zuweilen so lebhaft an den jungen Ingenieur denken mußte, den sie doch kaum kannte.
Die Tante trat an ihre Seite. Der buntfarbene türkische Schlafrock, den sie heute trug, berührte Lianes einfaches, blaues Hauskleid.
„Höre, Liane, was hat mir denn der Heinz Rikow wohl noch sagen wollen, er meinte doch, er möchte mich gelegentlich auf einige Kleinigkeiten, die mit dem Empirezimmer zusammenhingen, aufmerksam machen. Da ihn nun eine Depesche so plötzlich abrief, ist er mir eine nähere Erklärung seiner Worte schuldig geblieben, sie fallen mir eben wieder ein.“
Liane erwiderte, es handele sich sicher um nichts Besonderes.
„So, meinst du? Nun, ich glaube es auch.“
Fernande Romstedts Gedanken kreisten schon um einen neuen Gegenstand.
„Was meinst du, an welchem Tage soll ich meine Kaffeegesellschaft geben? Heute ist der zweite September. Vielleicht in ungefähr einer Woche, am zehnten?“
„Wie es dir am besten paßt, liebe Tante“, erwiderte Liane.
„Gut, dann also am Sonnabend, dem zehnten“, hielt Frau Fernande das Datum fest. Sie zählte an ihren Fingern her, wen sie einzuladen gedachte:
„Zunächst die Frau Geheime Sanitätsrat Kramm, dann Frau Justizrat Böhler, dann Frau von Lührsen und ihre Schwester, Fräulein von Dieden, Frau Apotheker Mengelberg und ihre Nichte Lotte, zum Schluß die pensionierte Kammersängerin, die über uns wohnt, und die mir neulich ihren Besuch machte. Somit hätten wir sieben Gäste, das genügt, du kommst gleich nachher die Einladungen schreiben.“
Liane nickte: „Jawohl, Tante.“
„Und höre, Liane, ziehe dich an dem Tage ein bißchen nett an“, fuhr Frau Fernande fort, „deine Vorliebe für allzu einfache Kleider teile ich, wie du weißt, nicht. Wozu kaufe ich dir denn schließlich die teuren Sachen, wenn du doch nichts davon trägst. Du darfst nicht immer vergessen, daß du die Nichte reicher Leute bist. Du läufst meistens umher, als wärest du statt meiner Nichte eine arme Gesellschafterin. Man wird schließlich deshalb noch gefragt!“
Liane dachte, daß die Tante sie auch im allgemeinen wie eine arme Gesellschafterin behandelte, die aushalten mußte, weil sie nicht wußte, wohin, aber sie sagte natürlich keine diesbezügliche Bemerkung, sondern antwortete bescheiden:
„Du weißt, liebe Tante, einfache Kleidung entspricht meinem Geschmack mehr als teure, aufgeputzte.“
Frau Romstedt setzte eine überlegene Miene auf.
„Larifari — ein bißchen muß man für sein Äußeres tun. Siehst immer wie ein Aschenbrödel aus. Deshalb fällst du auch nicht auf, trotzdem du doch eigentlich ganz hübsch bist. Ähnelst einem grauen Entlein.“ Sie lächelte selbstzufrieden.
„Da war ich in jungen Jahren anders, bin es noch heute. Der Fürst von Soerokarta nannte mich die schönste Europäerin, aber ich bin auch niemals in solchen Kleidern umhergegangen, wie du. Ach, du lieber Himmel, das hätte mir einfallen sollen!“
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