Sie trat vor den ovalen, von einer mit Engelsköpfen besetzten Goldleiste umgebenen Spiegel und betrachtete sich eingehend. Ihre Stirn verdüsterte sich.
„Ich sehe jetzt nicht gut aus“, stellte sie verdrießlich fest, „der Tod Anna Rikows hat mich zu sehr erschüttert, seelische Erschütterung greift die Gesichtshaut an. Ich muß zu Frau Mock gehen, ein Gesichtsdampfbad nehmen und das Gesicht gründlich massieren lassen. Liane, telefoniere gleich nachher die Mock an, ob sie am Nachmittag anwesend ist, sie soll mich selbst bedienen, die Fräuleins ihres Schönheitsinstituts verstehen meine Haut nicht, sie muß ganz individuell behandelt werden.“
„Jawohl, Tante, ich werde telefonieren“, erwiderte Liane und verteilte geschmackvoll die einzelnen Teile einer hübschen Schreibgarnitur auf dem Schreibtisch.
Und „Jawohl, Tante“, sagte sie noch mehrmals, um zu bestätigen, daß sie die verschiedenen Aufträge verstanden hatte, ehe sich Fernande Romstedt entfernte und Liane endlich ein wenig allein und dadurch ungehindert in ihrem Schaffen war.
Das junge Mädchen atmete auf. Die Gegenwart der nervösen, meist sehr schnell sprechenden Tante machte sie zuweilen ganz müde und mann. Sie ließ sich auf einem der mit verschossener rubinroter Seide überzogenen Sessel nieder, stützte den Kopf leicht in die Hand und dachte mit einer Aufwallung von starkem Heimweh an ihr ruhiges, friedliches Elternhaus zurück. Wie ruhig und glücklich hatte sie darin gelebt.
Dort gab es keine Gesellschaften, keine Kaffeegäste wie hier, nur ganz selten kamen ein paar liebe Freunde. Des Abends saß sie mit den Eltern bei einem guten Buch beisammen, oder die Mutter spielte Chopin und Mendelssohn oder ruhige, klangvolle Weisen von Mozart oder Haydn, die so lieb und altmodisch waren, die sich weich und milde auf die Herzen legten und jeden unruhevollen Wunsch einschläferten. —
Liane bedeckte die Augen mit der Hand, um die Illusion, im Elternhause zu sein, noch deutlicher zu empfinden.
Um ihren Mund zog ein verträumtes, seliges Lächeln.
Ihr war es, als sähe sie die feine, mädchenhafte Gestalt der Mutter an dem alten, braunen, tafelförmigen Klavier sitzen und an dem Tisch mit grüngestickter Decke den Vater, Haar und Bart ergraut von Lebenssorgen, aber die Augen jung und glücklich.
Die Tür öffnete sich, Liane überhörte es, erst als ein Schritt aufklang, ließ sie die Hand von den Augen niederfallen, blinzelte ein wenig.
Es war der Onkel, der sich auch einmal das fertige Zimmer ansehen wollte, wie er sagte.
„Nun, Liane, hast du ein bißchen geträumt?“ sagte er neckend, während er nähertrat.
Liane erhob sich. „Ja, Onkel, ich habe geträumt. Von daheim, von Vater und Mutter“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.
Er legte mit leiser Zärtlichkeit seinen Arm um ihre Schultern.
„Hast Sehnsucht nach der Vergangenheit, kleine blonde Liane? Ich begreife das. Tante Fernande ist zu laut und zu egoistisch, sie macht es dir leicht, solche Sehnsucht zu haben.“
Er küßte sie auf die Stirn.
„Aber es wird nicht immer so bleiben, einmal wird ein Mann kommen, um dich mit sich fortzunehmen und ein neues Heim mit dir zu gründen, dann mag das Glück deines Elternhauses aufs neue erstehen.“
Liane schüttelte beinahe heftig den Kopf.
„Muß denn jedes Mädchen heiraten, Onkel Friedrich?“
Er lachte.
„Kein Mensch muß müssen, kleine Liane, aber im allgemeinen tun es die Mädchen ganz gern. Weshalb solltest du eine Ausnahme sein? Laß nur erst den Rechten kommen.“
Liane mußte plötzlich an Heinz Rikow denken und an seine guten, ernsten Augen. Eine warme, rosige Welle zog unter ihrer verblaßten Haut hin.
„Nanu?“
Friedrich Romstedt schob die Nichte ein wenig von sich ab und betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit.
„Nanu?“ wiederholte er, „was ist denn mit dir, Kind, du wirst rot, wenn ich sage: Laß nur erst den Rechten kommen? Das ist merkwürdig.“
Ganz langsam und unterstrichen fügte er hinzu:
„Sollte dieser Rechte vielleicht schon gekommen sein?“
Liane errötete noch tiefer, als sie gezwungen lachte:
„Ach, Onkel, was du aber für eigentümliche Scherze machst!“
Und dann begann sie ihn schnell auf die einzelnen Schönheiten der Möbel aufmerksam zu machen. Sie mußte ihn ablenken.
Er ging auf die Unterhaltung ein, als er aber einmal zufällig den Namen Heinz Rikow nannte, lohte wieder die verdächtige Glut über das Mädchenantlitz.
Da ahnte Friedrich Romstedt, daß dieser Name Liane vielleicht etwas bedeuten könne, aber er fragte nicht mehr. Er betrachtete das junge Mädchen heimlich und freute sich, wie sie seiner toten Schwester glich, als diese noch so jung gewesen wie heute Liane.
Meiner Schwester Kind, dachte er voll Innigkeit, du meiner lieben Schwester einziges Kind!
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