Nun begab man sich in das anstoßende Zimmer, das mit hübschen, glänzend polierten Empiremöbeln angefült war.
Frau Romstedt setzte sich mit hörbarem Seufzer. Sie drückte das Taschentuch gegen die Augen.
„Wie oft waren wir hier beisammen und verplauderten viele trauliche Stunden. Anna liebte dieses Zimmer besonders — und ich auch.“
Heinz Rikow nickte.
„Die Einrichtung kaufte meine Mutter vor ungefähr zehn Jahren, sie ist genau der Zimmereinrichtung eines alten, flämischen Schlosses nachgebildet.“
„Ich weiß.“
Frau Romstedt nahm das Tuch von den Augen und erhob sich. Düster umwallten sie die Schleier.
„Wir wollen nun gehen, Sie werden sicher noch viel zu besorgen haben, Heinz.“
Sie reichte ihm die Hand, die er küßte.
Liane von Lehndorf bot ihm ebenfalls die Rechte. Ihre klaren Augen blickten ihn dabei voll aufrichtiger Teilnahme an. Sie wußte ja, in welch hervorragend gutem Verhältnis Mutter und Sohn zueinander gestanden, und daß Anna Rikow von je stets alle Pläne eifrigst gefördert, die ihres Sohnes Glück schienen, daß davor alles andere bei ihr zurücktreten mußte. Er hatte viel an ihr verloren, sie konnte das voll und ganz ermessen.
Liane hatte das Empfinden, ihm etwas Tröstendes sagen zu müssen. Impulsiv kam es über die Lippen:
„Ich hatte Ihre gute Mutter sehr, sehr lieb!“
Wehmut zog wie ein Schatten über ihre Stirn, und ein paar Tränen sprangen aus dem Augenquell, rieselten langsam über das zarte Gesicht.
Er hielt die Mädchenhand noch mit seinen Fingern umspannt; jetzt aber hob er die kleine Hand an seine Lippen, küßte sie sanft.
Ein glühender Schleier deckte plötzlich Lianes mattgetöntes Antlitz und mit Beben zog sie die Rechte zurück. Ihr hatte noch niemand die Hand geküßt.
Fernande Romstedt ordnete am Faltenwurf ihres Schleiers herum.
„Liane, komm, bitte, wir dürfen Herrn Rikow nicht länger aufhalten.“ Ihre Stimme hatte einen scharfen Beiklang.
Das schwarze, kreppbesetzte Kleid glitt bereits durch die Tür und Liane folgte gehorsam, wie sie es bei Frau Fernande gelernt hatte.
Heinz Rikow geleitete die Damen bis zur Treppe.
„Auf Wiedersehen, gnädige Frau, auf Wiedersehen, Fräulein von Lehndorf!“
Liane begegnete einem warmen, tiefen Blick, der in ihrem Herzen wie etwas Liebes, Besonderes haften blieb und ihr wohl tat.
Der Heimweg wurde wieder zu Fuß zurückgelegt.
Fernande Romstedt hüllte sich in tiefes Schweigen. Wenn Liane etwas sagte, gab sie keine Antwort. Liane kannte die Art. Wenn die Tante nichts sprach, zürnte sie ihr. Aber so sehr sie sich auch anstrengte, zu ergründen, weshalb, so stand sie doch vor einem Rätsel.
Doch kaum zu Hause angekommen, fand die Stumme die Sprache wieder, und zwar gründlich. Ehe sie sich noch Zeit genommen, den Hut abzulegen, herrschte sie Liane an:
„Du hast dich heute so herausfordernd kokett benommen, daß ich einfach empört bin. Ein junges Mädchen reizt einen unverheirateten, jungen Mann nicht zu Handküssen, wenigstens hättest du Rücksicht auf Ort und Stunde nehmen müssen. Geradezu skandalös war dein Betragen.“
Liane erstarrte förmlich unter dem Vorwurf. Alles andere hätte sie zu hören erwartet als das. Sie zitterte vor Erregung.
„Ich tat doch nichts Böses, durfte ich denn nicht sagen, daß ich die gute Tote sehr lieb hatte? Es ist doch die Wahrheit und kann kein Unrecht sein“, versuchte sie sich zu verteidigen.
„Unrecht oder nicht, es wirkte jedenfalls, als wolltest du dich bei Heinz Rikow einschmeicheln, die Szene, die du hervorriefest, hatte etwas Theatralisches und gefiel mir jedenfalls nicht.“
Liane wollte erwidern: Ja, was gefällt dir denn überhaupt an mir? Aber sie drängte die Worte gewaltsam zurück, sie würde Frau Fernande dadurch nur noch mehr reizen.
Still nahm sie ihr Hut und Jackett ab, zog ihr die Stiefel aus, um sie dafür mit leichten Hausschuhen zu versehen und schrieb sich dann einige Besorgungen auf, die ihr von der Tante zur Erledigung übertragen wurden.
Fernande Romstedt lehnte bequem in einem großen Armstuhl.
Liane saß am Fenster, Blei und Notizbuch in der Hand.
„Ach ja, da fällt mir ein“, sagte Frau Fernande aus einem kleinen Nachdenken heraus, „hast du den indischen Götzen, den ich dir vorgestern übergab, zur Reparatur zum Juwelier Bendemann gebracht?“
„Natürlich, Tante“, erfolgte die Antwort.
„Wann wird die Reparatur fertig sein?“ fragte die Ältere.
Liane erwiderte:
„In ungefähr einer Woche, ich soll dann nachfragen.“
Fernande Romstedt nickte.
„Gut, geh für alle Fälle ein paar Tage später hin, damit die Arbeit fertig ist. Wenn man auch ein durch seine Eigenart so überaus wertvolles Schmuckstück nicht einen Tag länger aus dem Hause lassen dürfte, als unbedingt nötig ist. Hängt doch die schmeichelhafte Erinnerung daran, daß es mir der Fürst von Soerokarta selbst geschenkt hat.“
Liane kannte die Geschichte von dem indischen Fürsten und dem juwelenbesetzten Götzenbild, denn die Tante hatte sie ihr eines Tages beim Zeigen des seltsamen Schmuckstückes erzählt. Sie sagte laut: „Ja, Tante, das Schmuckstück ist ganz besonderer Sorgfalt wert.“
Frau Fernandes Gedanken wanderten schon wieder auf anderen Wegen. Sie schien plötzlich redelustig. Erinnerungsverloren fing sie an zu plaudern.
„Wenn ich so zurückdenke an die Zeit, da Anna Rikow und ich noch kleine Mädchen waren, kommt es mir ganz unwahrscheinlich vor, daß sie jetzt gestorben ist und ein großer Sohn sie betrauert, daß auch ich bereits ein langes Leben hinter mir habe, dessen größter Teil sich drüben, weit drüben im Wunderlande Indien abspielte.“
Sie atmete tief.
„Und nun bin ich wieder hier in Berlin, wo ich geboren wurde. Annas Eltern wohnten mit den meinen im selben Hause in der engen Wallstraße, wir waren jung zusammen, dazwischen schob sich dann unsere Trennung und viel Erleben ein. Jetzt im Alter aber gingen wir wieder ein Stück Weg gemeinsam. Der Ring schließt sich. Anfang und Ende hat eine gewisse Ähnlichkeit.“
Wie weich Fernande Romstedt sprechen konnte. Liane spürte plötzlich eine weiche Aufwallung für die gealterte Frau in sich aufsteigen. Es waren die Nerven, die der Tante nur zu oft einen Streich spielten, und sie zänkisch und ungerecht machten, man mußte ihr deshalb wohl vieles verzeihen.
Es war, als erriete Fernande Romstedt die Gedanken, die hinter Lianes Stirn kreisten. Sie fuhr fort:
„Wie wunderschön war es in Indien, wie bunt und sonnig. Wie im Paradiese! Nein, anders kann ich mir das biblische Paradies auch nicht vorstellen. Und ich hätte in jener Zeit eigentlich vollendet glücklich sein müssen! Aber unsere Tabakfarm lag einsam, die Eingeborenen waren oft aufsässig, und die Furcht lief meist wie ein bleiches Gespenst neben mir her. Das bringt auf die Dauer die gesundesten Nerven herunter! Wir haben ja viel Geld und Geldeswert in den zwanzig Jahren auf Java erworben“, endete sie, „doch meine Nerven lassen sich damit nicht wieder gesund machen.“
Ein tiefer Seufzer flog dem letzten Satz nach.
„Arme Tante Fernande!“ sagte Liane voll Wärme, sie empfand ein herzliches Mitleid für die so leicht reizbare Frau.
So offen und gütig hatte die Tante aber auch noch niemals zu ihr gesprochen, die Ursache dazu war sicher in dem Tod der Jugendfreundin zu suchen, der Trauerfall hatte sie weich gestimmt und mitteilsam.
Frau Anna Rikows Begräbnis fand statt.
In ihre wogenden, düsteren Schleier gehüllt, nahm Ferande Romstedt mit ihrem Manne an der stillen Feier teil, sie stützte sich dabei auf den Arm der in ein glattes, schwarzes Kostüm gekleideten Liane von Lehndorf.
Liane mußte öfters zu dem großen, breitschultrigen Sohne der Verstorbenen hinüberblicken, der unweit von dem Geistlichen stand. Um seine Brauen zuckte es zuweilen, und die Mundwinkel senkten sich leicht abwärts.
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