Auch hier lässt sich das bereits beschriebene Muster der episodenhaften Einleitung eines popularisierenden Textes verfolgen. Nach einem auffälligen Bild (zeigt einen Nutzer mit rotem Sweater und blauer VR-Brille), das als Leseanreiz dient, beginnt der Text unter der Überschrift Virtuelle Realität in der Forschung auf dem Vormarsch mit einer durch Fettdruck hervorgehobenen Zusammenfassung (zwei Sätze), die gleichzeitig als Texteinleitung dient. An dieser Stelle können die Leser bereits entscheiden, ob sie weiterlesen möchten oder nicht, denn der (hier ausschnitthaft zitierte) Textkörper beginnt erst unter dem Bild. Damit ein weiterer Leseanreiz geschaffen wird, folgt unter dem Bild eine für VR-Brillennutzer leicht nachvollziehbare Episode. In kurzen Sätzen wird das Szenario (Erfahrung der Angst vor einem tiefen Abgrund durch einen VR-Brillenträger) beschrieben. Die Authentizität der Schilderung wird durch die direkte Rede der Akteure unterstrichen.
Nach der Episodenschilderung wird das Textthema vorgestellt: Es geht um den Virtual-Reality-Erlebnisraum in Immenstadt. Dann folgen kurze Textabsätze, die den Durchbruch der VR-Brillen in verschiedenen Anwendungsfeldern skizzieren; teilweise gibt es Hyperlink-Querverweise zur weiteren Lektüre. Überschriften mit Leseanreiz, wie z.B. Nische vor dem Durchbruch? ; Werkzeug für die Medizin ; Helfen dank VR lenken die Leser zu speziellen Themen. Der Abschnitt Helfen dank VR weist auf den Nutzen von VR in der Neurologie hin. Typisch sind wieder kurze Sätze, direkte und indirekte Rede aus (vermeintlichen) Zitaten der Kommunikationsakteure, die auf Ort, Zeit und Geschehen hindeuten. Jeder Absatz weist in sich eine thematische Abgeschlossenheit auf, zeigt aber auch sprachliche Signale der Einbettung in einen Gesamtkontext ( Auch in der Neurologie … : Denn in den Arztpraxen sei … noch nicht angekommen ). Diese Art der Berichterstattung ist typisch für allgemeinverständlichen, episodenhaft berichtenden Online-Journalismus: viel Information auf wenig Raum andeuten und über Querverlinkung mit mehr Informationen versehen. Die Onlinetexte regen durch ihre relative Kürze und die Querverweise dazu an, sich weitere Texte zu erschließen bzw. detaillierte Informationen gezielt zu suchen.
Der Text schließt mit der Frage nach der Fähigkeit zur klaren Unterscheidung zwischen realer und virtueller Welt. Die potentiell bestehende Angst wird zunächst durch wiedergegebene Rede im Konjunktiv thematisiert. Das dann aufgeführte Beispiel des knurrenden Magens versucht den Rezipienten die vielleicht durch die Textlektüre aufkeimende Angst vor der Macht der virtuellen Realität zu nehmen und führt sie zurück auf den Boden der Tatsachen.
Betrachten wir abschließend die Reaktion von Rezipienten auf den Blogtext. Es wurden fünf Kommentare veröffentlicht. Drei setzen sich besonders mit dem letzten Abschnitt, also der Verwischung von realer und virtueller Welt durch Kinder auseinander. Während ein Kommentar auf eine wissenschaftliche Studie dazu verweist und zu dem Schluss kommt: Bei Kindern ist das nicht so einfach. Sehr sehr heißes Eisen , wird in einer Antwort darauf erklärt, dass VR-Brillen offiziell nicht für Kinder geeignet sind, ohne dass eine entsprechende Quelle genannt würde.
(H) Deshalb ist VR sowieso nichts für Kinder – immerhin auch bereits offiziell. Die aktuellen Brillen (also VIVE und Rift) sind ab 12. Das „Phänomän“ ist kein neues und auch weithin bekannt. Kinder bis ca. 10 haben das Problem, Realität und Fiktion korrekt zu trennen. Weshalb Gruselfilme und brutale Actionkracher auch nichts für die Kleinen sind. Man könnte sagen: Alles wie erwartet. Kinder haben in der VR nix verloren. Die brauchen eben ein paar Jahre, um in der realen Welt anzukommen. ( www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Virtuelle-Realitaet-in-der-Forschung-auf-dem-Vormarsch/Re-Naja/posting-30941620/show/[Letzter Zugriff: 31.01.2019])
Somit erfüllt sich das Ziel des Blogtextes, zu informieren und gleichermaßen zu einer kritischen Reflexion anzuregen. Der Kommentartext zeichnet sich durch den Charakter eines sonst mündlich geäußerten Statements aus. Das bestätigt indirekt den Übergang von Schriftsprache zu einer schriftlich fixierten mündlichen Äußerung, die in dieser Form nur digital möglich ist.
Vergleicht man gedruckte Texte zur Popularisierung von Wissenschaft (z.B. in Wissenschaftsmagazinen) mit online publizierten Texten, so wird – wie exemplarisch gezeigt – sehr schnell ein Stilwechsel in Richtung Mündlichkeit, Kürze und Anschaulichkeit deutlich. Der Zeitdruck der Redakteure und Blogger, Informationen im Netz dar- oder vorzustellen, scheint zudem dazu zu führen, dass Texte auch einen gewissen Flüchtigkeitscharakter erhalten. Was heute aktuell ist, kann über einen Kommentar bereits morgen nicht mehr relevant sein und von weiteren Entwicklungen zu VR und AR bereits überholt sein. Diese schnelllebige Berichterstattung wird uns auch in den kommenden Jahren weiter begleiten und ist auch Ausdruck von Veränderungen in der popularisierenden Darstellung von Fachinhalten, die teilweise einen oberflächlichen Charakter tragen und dadurch unter Umständen auch unter den Verdacht von Fake News geraten.
Eine weitere Möglichkeit, Wissen anschaulich zu vermitteln, ist der ‚persönliche‘ Bericht/die Erzählung, d.h. Wissen wird über eine wahre/fiktive Erfolgsgeschichte und Zitate eines ‚Wissenspioniers‘, vermittelt. Beispiel (I) ist sehr typisch für dieses oft in englischen Texten verwendete Format, das aber durch die zunehmende Übersetzung von Wissenschaftstexten auch Eingang in die deutsche Vermittlungskultur findet. Nach einer rhetorischen Frage: Was wäre die Welt ohne ‚Star Trek‘? und einer fiktiven Antwort: Möglicherweise eine ohne Mobiltelefone und Trikorder. Und nun kommt vielleicht auch bald noch das Holodeck – dank dem Enthusiasmus eines 20-Jährigen , beginnt die Erzählung:
(I) Palmer Luckey ist in der realen und der virtuellen Welt groß geworden. Ob „Star Trek“-Holodecks, die „Matrix“, der Cyberspace aus dem „Rasenmähermann“ oder Neal Stephensons genreprägender Cyberpunk-Roman „Snow Crash“: „Ich bin mit diesen ganzen Einflüssen aufgewachsen und habe immer davon geträumt, einmal Videospiele mit VR-Technologie spielen zu können“, sagt er. So etwas muss es doch schon geben, dachte sich der junge Luckey . Auf seiner Suche häufte er die mittlerweile weltgrößte Sammlung sogenannter Head-Mounted-Displays (HMD), also Virtual Reality-Brillen, an. Und erkannte dabei: Die VR befand sich in einem erbärmlichen Zustand. „Selbst die Headsets im Profibereich, zu Preisen von mehreren Zehntausend Dollar, boten nicht mal annähernd die Performance, die ich suchte.“Luckey nimmt die Sache selbst in die Hand, geht an das Institute for Creative Technologies der University of Southern California und fängt gleichzeitig in seiner Garage an zu basteln. […]. (Technology Review 2014/1, S. 34; www.heise.de/tr/artikel/Aufbruch-ins-Holodeck-2155346.html[Letzter Zugriff: 31.01.2019])
Durch dieses Beispiel wird die ‚Alltagsnähe‘ von Wissenschaft vermittelt (jeder kann ein Forscher werden), zum anderen die Authentizität durch die Geschichte eines ‚Experten‘. Die wörtliche Rede (auch wenn diese vielleicht nur journalistisch produziert wurde) vermittelt eine relative Glaubwürdigkeit, die sich dann auf die technische Beschreibung der Entwicklung von 3-D-Spielen und Datenbrillen überträgt. Termini wie Head-Mounted-Display werden bereits als bekannt vorausgesetzt und nicht weiter erläutert.
Der Textverlauf nach der Episodenschilderung gleicht einem Wissenschaftsartikel, der immer wieder auf Palmer Luckey und seine Erfolge Bezug nimmt. Er folgt in der Beschreibung der Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse: Definition von VR, Nutzen und Anwendungsfelder von VR, Beschreibung von Experimenten und deren Ergebnissen.
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