Michael Schart
Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität
Untersuchungen zum Zusammenspiel von Inhalten, Aufgaben und dialogischen Lernprozessen
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8235-5 (Print)
ISBN 978-3-8233-0184-4 (ePub)
Michael Schart
Wie lassen sich im Klassenraum Bedingungen schaffen, unter denen es Lernende als sinnvoll und zugleich als persönlich bereichernd empfinden, sich in einer fremden Sprache auszutauschen, obwohl alle Anwesenden die Muttersprache teilen? Wie ermutigt man sie, ihre Gedanken, Gefühle oder Intentionen in noch wenig vertraute Worte zu fassen, dabei mit der Fremdsprache zu experimentieren und immer wieder an die Grenzen ihres Könnens zu gehen? Wie finden das Erlernen der Fremdsprache und die Beschäftigung mit relevanten Inhalten zu einer Symbiose? Und wie können Lehrende den Unterricht so arrangieren, dass er die Teilnehmenden dazu einlädt, sich als eine Lerngruppe zu verstehen, in der gemeinsam neues Wissen erschlossen und Fähigkeiten entfaltet werden?
Diese Fragen bilden eine treibende Kraft der vorliegenden Studie. Denn in der Auseinandersetzung mit ihnen entwickelte sich das Konzept von Fremdsprachenunterricht, auf das wir in den folgenden Kapiteln aus vier unterschiedlichen Perspektiven Schlaglichter werfen möchten. Es handelt sich aber zugleich auch um jene Fragen, mit denen man unweigerlich konfrontiert wird, sobald man sich auf die nunmehr fast fünf Jahrzehnte währende Geschichte des kommunikativen Paradigmas der Fremdsprachendidaktik einlässt. Auf den ersten Blick zeigt sich diese vor allem als eine Erfolgsstory: Welche Forscherin, welcher Lehrer und erst recht welcher Lehrbuchverlag würde heute noch offensiv und ohne Selbstzweifel den Anspruch von sich weisen, Teil dieser kommunikativen Bewegung zu sein?
Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass das Bemühen um einen kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterricht auf vielfältige Widerstände und Beharrungstendenzen trifft, die sich über die Jahrzehnte hinweg als sehr beständig erwiesen haben. Gemeint sind damit nicht die offensichtlichen Probleme, die ihre Ursache in den institutionellen Rahmenbedingungen finden, in großen Klassen beispielsweise oder in Backwash-Effekten bestimmter Prüfungsformate. Ich denke eher an jene Hemmnisse, die sich auch in einem institutionell günstigen Umfeld unmittelbar aus den Entscheidungen über einzelne Elemente des Unterrichtsgeschehens ergeben, etwa aus der Strukturierung von Inhalten und Lernaktivitäten, aus dem kommunikativen Verhalten von Lehrenden und Lernenden bzw. ihren subjektiven Vorstellungen darüber, wie Interaktion lernförderlich organisiert werden sollte.
Als Folge kommt es zu jenen vielfach kritisierten Begleiterscheinungen des kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterrichts, der Künstlichkeit und Realitätsferne des Austauschs im Klassenraum beispielsweise oder dem Phänomen, dass fremdsprachliches und intellektuelles Niveau nicht deutlich voneinander unterschieden werden, was gerade bei erwachsenen Lernenden leicht zur Unterforderung, wenn nicht Infantilisierung führt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Dominanz der Lehrperson. Mit ihr geht die Tendenz einher, das interaktive Potenzial der Lerngruppe auf eine Abfolge von Zwiegesprächen oder sogar nur ein monotones Abfrageritual zu verengen. Und da ist schließlich auch die Herausforderung, Lern- und Interaktionsprozesse so zu verschmelzen, dass die Fremdsprache nicht nur als ein zu erlernender Gegenstand erlebt wird, sondern tatsächlich auch als ein Mittel, mit dem sich Handlungsabsichten erreichen lassen.
Seit Anbruch des kommunikativen Zeitalters in den 1980er Jahren verwendet die Fremdsprachendidaktik einen beträchtlichen Teil ihrer Energie darauf, solche Schwierigkeiten aufzuzeigen und ihnen mit innovativen Konzepten zu begegnen. Dabei lassen sich drei unterschiedliche Lösungsansätze beobachten. Als einen ersten, inzwischen weit verbreiteten Ansatz möchte ich die zahlreichen Versuche anführen, der Künstlichkeit des Sprechens zu entkommen, indem man die Selbstbezogenheit des Klassenraums durchbricht und direkte Kontakte zu Menschen aus der Kultur der Zielsprache aufbaut. Die vor allem durch die digitale Revolution erweiterten Möglichkeiten haben es seit den 1990er Jahren erheblich erleichtert, diese Idee in die Unterrichtspraxis umzusetzen. Es wurden eine Vielzahl von sogenannten living language links (Legutke/Müller-Hartmann 2000) für alle Niveaustufen und in unterschiedlichen Formen der Kommunikation entwickelt (Biebighäuser et al. 2012). Solche Begegnungen mit Sprecherinnen und Sprechern der Fremdsprache sind natürlich nicht auf virtuelle Räume beschränkt. Lernende können mit ihnen auch in einen unmittelbaren Austausch treten. Das beginnt mit der Einladung von Gästen in den Klassenraum, reicht über Recherchen im näheren Umfeld der Schule, etwa einem Flughafen (Legutke 2006) oder einer Jugendherberge bis hin zu Studienreisen in die betreffenden Regionen1.
Ein zweiter Lösungsansatz besteht darin, die Künstlichkeit des Geschehens selbst sinnvoll zu nutzen. Der grundlegende Gedanke dabei ist es, dass sich der Gebrauch der Fremdsprache auch dann mit realitätsnahen Handlungsintentionen verbindet, wenn der Klassenraum zu einer fiktiven oder virtuellen Welt wird, mit der sich die Lernenden tatsächlich identifizieren, weil sie für deren Entstehen und deren Entwicklung Verantwortung übernehmen. Die bereits zum traditionellen Inventar der Fremdsprachendidaktik zählenden Rollenspiele werden dadurch auf eine qualitativ neue Ebene geführt und in ihrem Lernpotenzial erheblich erweitert. Denn Lernende erhalten die Chance, selbständig Situationen in der Fremdsprache zu konstruieren, diese auszugestalten und in ihnen zu agieren. Auch zu dieser Ausformung kommunikativen Unterrichts lassen sich wiederum eine ganze Reihe didaktischer Konzepte zuordnen, etwa die Improvisationen, wie sie Kurtz (2001) beschreibt, Storyline-Projekte (Bell 2013; Kocher 1999), globale Simulationen (Arbeitsgruppe Simulationen 2005, Arendt 2003) oder Theaterprojekte (Birnbaum 2013; Kirsch 2013).
Der dritte Lösungsansatz schließlich soll im Zentrum des vorliegenden Bandes stehen. Er setzt auf die Prämisse, dass sich die Bedingungen für einen realitätsnahen Gebrauch der Fremdsprache vor allem dann verbessern, wenn die Motivation zum sprachlichen Handeln von den Inhalten ausgeht. Sobald diese Inhalte die Notwendigkeit des Fremdsprachenlernens in sich tragen, so die Hoffnung, wird gleichsam en passant authentisch kommuniziert, denn die fremde Sprache dient nur noch als ein Medium, das Informationen von Interesse und Relevanz transportiert: „the ultimate dream of Communicative Language Teaching“ , wie Dalton-Puffer (2007:3) es formuliert.
Auf der Basis dieser Überlegungen entstanden in Kanada und in der Sowjetunion bereits in den frühen 1960er Jahren – und damit die kommunikative Wende vorwegnehmend – Immersionsprogramme (Snow 1993; Stryker/Leaver 1997). Diese Anstöße wurden dann ab Mitte der 1980er Jahre von der Fremdsprachendidaktik aufgegriffen und fanden in Konzepten wie dem Content-based Language Learning (CBI, auch: Modern Languages across the Curriculum ; vgl. Brinton/Snow 2017; Grenfell 2002), dem bilingualen Sachfachunterricht (Diehr et al. 2016; Rüschoff et al. 2015) bzw. Content and Language Integrated Learning (CLIL, Ball et al. 2015; Coyle et al. 2010) oder dem Integrated Content and Language in Higher Education (ICLHE, Schmidt-Unterberger 2018; Smit 2015) eine sehr konsequente praktische Umsetzung.
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