Wäre da nicht der aus unserer Perspektive sehr hohe Kaufpreis gewesen, hätten wir Oberfettinger wohl noch an Ort und Stelle ein Kaufanbot unterbreitet. So zog sich der Entscheidungsprozess, ob wir das Haus tatsächlich kaufen sollten, noch über einige Wochen, während der wir sogar eine Architektin mit der Kostenschätzung für die notwendige Renovierung beauftragten. Der Schock war groß, als sie Renovierungskosten in Höhe des Kaufpreises ermittelte. Da uns zum damals in Rede stehenden Kaufpreis noch rund ein Viertel fehlte, hieß dies, dass uns für das bezugsfertige Haus Barmittel von rund 5/8 fehlten. Dies hinderte uns aber nicht, frohgemut in die Kanzlei des Oberfettinger zu pilgern und ihn nach der Möglichkeit eines Kaufpreisnachlasses zu fragen. Dieser, nicht weniger gut gelaunt und wieder in seinen Steireranzug gewandet, erwiderte nur lapidar, dass der Kaufpreis nicht verhandelbar sei, da er auch andere Interessenten habe, die den Preis ohne Wenn und Aber zu zahlen bereit seien. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, waren die Gedanken, die in den nächsten vierundzwanzig Stunden mein Hirn durchkreuzten, nachträglich nicht schlüssig nachvollziehbar. Denn hatten meine Frau und ich beim Verlassen von Oberfettingers Kanzlei noch beschlossen gehabt, dass dieses Haus einerseits unerschwinglich und andererseits es nicht wert sei, sich seinetwegen in finanzielle Abenteuer zu stürzen, teilte ich schon am nächsten Tag meiner Frau mit, dass ich das Haus um den verlangten Preis kaufen wolle und sie dies ihrem Bekannten aus Studententagen mitteilen möge.
War die Entscheidung zum Hauskauf letzten Endes eine auch mich überraschende blitzschnelle Bauchentscheidung gewesen – die Ausläufer der Finanzkrise und der Gedanke an Lehman Brothers dürften dabei eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben –, war der sich daran anschließende Kaufprozess von nicht zu überbietender Langsamkeit geprägt. Statt mit Oberfettinger die Details des Kaufvertrages zu verhandeln, musste sich meine Frau von ihm sagen lassen, dass er die anderen Interessenten kontaktieren wolle und sich danach bei uns melden würde. Was wir damals noch nicht wussten, war, dass sich von nun an die Kaufpreisspirale nach oben zu drehen begann. Zunächst ließ uns Oberfettinger einige Tage zappeln, um uns schließlich mitzuteilen, dass ein Kaufinteressent naturgemäß bereit war, für das schmucke Häuschen zehntausend Euro mehr zu zahlen. Dies löste bei mir den durch jahrelanges Verkaufen von Autos geschulten Reflex aus, meine Kaufentscheidung wieder rückgängig zu machen. Meine in dieser Richtung nicht verbildete Frau hingegen war bereit, diesen Mehrpreis aus eigenen Ersparnissen, die bisher bei der Kaufpreisaufbringung noch nicht berücksichtigt worden waren, beizusteuern. Das Spiel konnte daher auf das Lebhafteste weitergespielt werden. Oberfettinger meinte abermals, er müsse mit dem zweiten Interessenten telefonieren und würde sich danach wieder bei uns melden. Tage und Wochen vergingen, aber wie zu erwarten war, kontaktierte Oberfettinger uns nicht.
Wullner hatte zuvor schon mehrmals vergeblich versucht, Waagner in seinem Redefluss zu unterbrechen, was jedoch immer daran scheiterte, dass Waagner unentwegt erzählte. Dies rächte sich nun, Waagner war rot angelaufen und – diesmal ohne zu laufen – massiv in den anaeroben Bereich geraten und begann nach Luft zu schnappen. Diese Chance ließ sich Wullner nicht entgehen.
„Was hat das eigentlich alles mit einem Krimi zu tun? Wird diese Hauskaufgeschichte die Leser nicht unendlich langweilen? Also, wenn du mich fragst, ich glaube, da wird nie etwas Vernünftiges daraus.“
Waagner schaute seinen Freund entgeistert an, erbat sich noch eine kleine Selbst-Reanimationsphase, um ihm dann zu erklären, was es mit dem Hauskauf auf sich hatte. Gerade diese nicht gänzlich alltäglichen Ereignisse rund um den Hauskauf würden in letzter Konsequenz seinen Protagonisten vielleicht die Nerven wegwerfen lassen und zu einer nicht wiedergutzumachenden Tat anstiften. Wullner bemerkte nur lakonisch, dass eine kleine Preistreiberei auf Verkäuferseite wohl kaum als besonders außergewöhnliches Ereignis gewertet werden konnte, sah sich aber schon kurz darauf – die anaerobe Phase war wieder vorbei – mit der Fortsetzung der Erzählung konfrontiert.
Die Preistreiberei des Verkäufers hatte meine Liebe zu dem Objekt rasch erkalten lassen, nicht so meine Frau, das heißt, meine Liebe zu ihr war noch nicht erkaltet, sie selbst war auch noch nicht erkaltet, aber irgendein Virus hatte von ihr Besitz ergriffen. Diesem Virus wurde nicht nur durch ihre große Sehnsucht, ein Grundstück für einen Swimmingpool ihr eigen nennen und mit Maiers wieder auf Augenhöhe verkehren zu können, sondern auch dadurch zum Ausbruch verholfen, dass wir das bisher noch nicht offiziell auf dem Markt befindliche Haus plötzlich von einem Immobilienmakler in einer Tageszeitung beworben sahen. Der Preis lag nun bereits 100.000 Euro höher. Da sich der Zugang zu Oberfettinger als extrem schwierig herausstellte – er war stets bei einer Verhandlung oder einer Klientenbesprechung und ließ dem Versprechen, er werde zurückrufen, nie die Tat folgen –, machte sich meine Frau an eine gewisse Frau Xenavier heran, die laut Grundbuch ein Vorkaufsrecht besaß. Vielleicht ließe sich über diese Dame ein Weg zum Wunschhaus meiner Frau finden, für das nun offenbar immer mehr Interessenten auf den Plan traten. Wen konnte es verwundern? Das Inserat des Immobilienmaklers war immerhin in den Oberösterreichischen Nachrichten, in der Kronen Zeitung und sogar im Volksblatt geschaltet worden. Während sich jedoch der Umweg über die Vorkaufsberechtigte als wenig erfolgreich erwies, hatte ich, der ich zunehmend von der Besessenheit meiner Frau angesteckt zu werden schien, mich mit einem anderen Rechtsanwalt namens Dr. Finda in Verbindung gesetzt.
Dieser war Sachwalter des ursprünglichen Hauseigentümers, eines gewissen Bubat, von dem Oberfettinger das Haus zwei Jahre zuvor gekauft hatte. Wie sich indessen herausstellte, hatte Oberfettinger das Haus dem Bubat allerdings nur vermeintlich abgekauft. Bubat war im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses nämlich bereits entmündigt gewesen, was aufgrund eines Fehlers beim Grundbuchsgericht aber nicht rechtzeitig im Grundbuch angemerkt worden war. So wusste Oberfettinger beim Kauf des Hauses nicht, dass er für die Gültigkeit seines Kaufvertrages noch die Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes benötigte. Und diese Genehmigung hatte er bisher nicht erhalten. Jetzt schien die Sache kompliziert zu werden. Ich erfuhr von Dr. Finda nicht nur, dass Oberfettinger die Republik Österreich wegen der verspäteten Grundbuchsanmerkung auf Schadenersatz klagte, sondern überdies, dass Finda nicht der erste, sondern bereits der zweite Sachwalter des Bubat war. Und der erste Sachwalter hatte zu allem Überdruss das Haus auch schon einmal verkauft. Dieser Käufer, ein Installationsunternehmer aus dem Innviertel namens Rundler, hatte für seinen Kaufvertrag bisher aber ebenfalls keine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung erhalten, weshalb er den ersten Sachwalter, einen Rechtsanwalt namens Dr. Luft, auf Erfüllung des Kaufvertrages klagte. Jeder normale Mensch hätte spätestens jetzt die Finger vom „Villa‘chen Gerti“, wie ich sie bereits nach meiner Frau benannt hatte, gelassen. Nicht aber ich und meine Frau, die wir vom Hauskaufvirus inzwischen schon massiv gezeichnet waren. War es die Herausforderung? Die Langeweile? Oder gar die mich jeden Tag von Neuem niederschmetternde Erkenntnis, dass ich meinen Beruf abscheulich und abstoßend fand? Lassen wir dies unbeantwortet. Gesichert mag sein, dass ich ein Haus zu erwerben beabsichtigte, das in einem erbärmlichen Zustand war, für unsere Verhältnisse extrem teuer und ohne freundliche Unterstützung der oberösterreichischen Kreditwirtschaft unerschwinglich schien und außerdem einen besachwalteten Eigentümer, einen sich als Eigentümer aufspielenden Rechtsanwalt und einen den ersten Sachwalter klagenden dritten potentiellen Eigentümer hatte, der mir später bei einem Treffen nahelegen sollte, das Haus am besten abzureißen.
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