Wilhelm Huch
Tödliches Nickerchen am Mondsee
Kriminalroman
© 2020 Marco Islands Books
Alle Rechte vorbehalten
2. Auflage 2020
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Inhalt
Nackte Tatsachen
Zum Silbernen Halbmond
Ein Sommer wie damals
Das prunkvolle Stiegenhaus,
die Gestalt am See und ein unsichtbarer Liebhaber
Der Hauskauf
Der Kampf mit der Krimi-Materie
Die Goldene Gans
Die Inbesitznahme des Hauses
Intermezzo
Aus dem Leben eines Autoverkäufers
Diamonds are a girl’s best friend
Das Plädoyer
Eine Hausführung der besonderen (langatmigen) Art
Im Zaunwissa
Das Ende eines schönen Traums
Der Fußballtraum
Krimi oder Wirklichkeit?
Die Teufelsgasse wird ihrem Namen gerecht
Ein Festnetztelefonat
Der letzte Traum
Kommissar Maigret betritt die Szene
Auf dem Land
Ein Handy-Telefonat
Verehrt sei Marlene Dietrich in alle Ewigkeit
Mittagessen bei Waagners
Ein Sonnenuntergang am Mondsee – Epilog
Charaktere
Ich nannte mich Wolfgang W., oder es wäre korrekter zu sagen, meine Eltern hatten mich so genannt, hatten mir diesen Namen aufoktroyiert, auf dass ich fortan mit diesem Namen durch das Leben gehen musste. Wolfgang W., W. wie Oscar Wilde oder Winston Churchill. Es lag aber nicht an meinem Namen, dass mein Leben in der Folge nicht immer so verlief, wie ich mir dies vielleicht erträumt hätte. Denn anfangs hatte ich mir gar nichts erträumt. Ich lebte vielmehr so vor mich hin, verbrachte eine an besonderen Ereignissen sehr karge Kindheit, eine Jugend, deren Höhepunkt ein dritter Platz bei einem Oberklassenfußballturnier gewesen war, und schlitterte über den Umweg eines mir sicher nicht auf den Leib geschneiderten Studiums in meinen jetzigen Beruf eines Autoverkäufers. Eigentlich verkaufe ich eher Träume, denn wenn sich ein Österreicher mit all seinen Ersparnissen einen japanischen Sportwagen kauft, ist damit meist der Traum verbunden, dass sein neues Automobil in Wahrheit ein Porsche sei. Deshalb passieren auch immer so viele Unfälle mit japanischen Sportwagen: Deren Fahrer schließen beim Anblick des Fahrzeugemblems auf dem Lenkrad die Augen und bilden sich ein, sie lenkten das deutsche, für sie leider unerschwingliche Luxusfahrzeug.
Mein Job im Verkaufen von Autoträumen mag zwar helfen, die Träume vieler finanziell nicht so gut situierter Menschen zu verwirklichen – bis eben zu jenem Moment, wo sie auf der Autobahn die Augen schließen und in eine Leitplanke fahren –, mir hilft er lediglich, ein sorgenfreies, aber deshalb nicht unbedingt zufriedenes Leben zu führen. Warum ich vom Stadium der Zufriedenheit trotz einer reizenden Frau und zwei braven Kindern so weit entfernt bin, dürfte auch daran liegen, dass ich Autos im Grunde hasse. Am liebsten gehe ich zu Fuß, manchmal fahre ich auch mit dem Fahrrad. Um ein Auto mache ich außerhalb meines Jobs aber beständig einen großen Bogen. Es ist mir bewusst, dass es absurd klingt, dass ausgerechnet ich Autoverkäufer wurde. Aber man weiß ja, wie das läuft. Man ist zur falschen Zeit am falschen Ort, trifft dort die falschen Leute und schon hat man einen gut bezahlten, aber äußerst widerwärtigen Job. Es kommt immer wieder vor, dass ich auf dem Weg von der Teeküche, wo ich mir ein Glas Wasser hole, in mein Büro denke, ich müsste jetzt das Wasserglas an die Wand schleudern, um meine Frustration und Aggression gegenüber meinen Kollegen und potentiellen Kunden abzubauen. Dass ein Wechsel meines Arbeitsplatzes nur sehr selten in Erwägung gezogen wird, hängt mit meiner schon sprichwörtlichen Beharrlichkeit und jeglichen Änderungen abgeneigten Persönlichkeit zusammen. Wäre ich im antiken Griechenland geboren und hätte dort die Gelegenheit gehabt, mit Heraklit zu sprechen, ich hätte ihn gewiss davon abgehalten, das Leben als einen ständigen Fluss – von Überdrüssigkeiten? – zu brandmarken. Ich hätte alles dafür gegeben, dass es statt „Panta rhei“ „Vita est institio“ hieße oder wie es Heraklit eben auf Altgriechisch ausgedrückt haben würde.
Interessant und für mich im Nachhinein doch verwunderlich an jenem Ereignis, das ich kurz schildern möchte, war, dass es zu keinerlei Ängsten oder Unsicherheiten über die Zukunft führte. Obwohl es immerhin der Paradefall des Panta rhei war und mein stillstandgeprägtes Leben hätte erschüttern müssen, war es mir sehr willkommen, dass man bei einer Routineuntersuchung als sogenannten Zufallsbefund einige nicht sehr hoheitsvoll aussehende Veränderungen in meinem Gehirn und daran anschließend eine kleine Öffnung in meinem Herzen feststellte, die an einem Ort war, an dem sie nichts zu suchen hatte. Die damit verbundenen Krankenhausaufenthalte empfand ich sonderbarerweise als etwas überaus Glückhaftes. Im Besonderen die Möglichkeit, Thomas Manns Zauberberg in eben jener waagrechten Lage zu lesen, die für Castorps Leben offenbar auch die bevorzugtere Daseinsform zu sein schien, erfüllte mich mit einer gewissen Dankbarkeit. Dass ich dem Zustand der Zufriedenheit näher gekommen wäre, möchte ich in diesem Zusammenhang aber nicht behaupten.
Nach der Konfrontation mit dem Befund des ungehörig seit meiner Geburt nicht zugewachsenen Loches schien für mich klar zu sein, dass dieses Loch zu verschließen sei, so dies medizinisch durchführbar war. Da mir dies von vielen Seiten bestätigt wurde, die Folgen eines solchen Eingriffes darüber hinaus als überaus minimal vor Augen geführt wurden, galt mein weiteres Bestreben nur mehr dem Ziel, den Lochverschluss so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Über Freunde von Bekannten meiner Eltern stellte ich den virtuellen Kontakt zu dem den Eingriff vornehmenden Arzt her, ein persönlicher Termin ging sich vor der Operation nicht mehr aus. So lernte ich Dr. Fabregas nur telefonisch kennen, seine Stimme schien nichts Böses zu verheißen und auch der von ihm vorgeschlagene Termin „11. September“ – oder, wie er zu sagen pflegte, Nine Eleven – hatte für mich nichts Unbehagliches oder gar Abschreckendes an sich. Mir war nur wichtig, dass ich bald unter das Messer kam. Dabei zerstörte Dr. Fabregas aber gleich meine Vorstellungen von einer ernsthaft famosen Herzoperation, indem er erklärte, dass das Messer nur dazu diente, einen kleinen Schnitt zu setzen, um danach ein dünnes Schläuchchen in eine meiner Venen einzuführen, durch das man ein winziges Schirmchen in mein Herz einführen wollte, das dort für die Herstellung des von der Natur grundsätzlich vorgesehenen lochfreien Zustandes meines Herzens sorgen sollte. Wie der Eingriff im Einzelnen vonstattengehen würde, interessierte mich im Grunde nicht. Dennoch konnte ich die Details den seitenlangen Erklärungen, die ich später im Spital zu lesen bekam, entnehmen, um an deren Ende mit meiner Unterschrift auch noch zu bestätigen, dass ich letztlich damit einverstanden wäre, zu sterben, wenn die Operation oder der Eingriff nicht den geplanten und allgemein voraussehbaren Verlauf nehmen sollte.
Als ich einen Tag vor dem 11. September ins Krankenhaus einrückte, traf ich dort Olga Flor, die einen Freund besuchen wollte. Obwohl wir seit den gemeinsamen Schultagen, die auch ein paar gemeinsame Stunden auf einem Skilager und in einem schon seit Jahren der Vergangenheit angehörenden „Lion’s Pub“ einschlossen und gut zwanzig Jahre zurücklagen, kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten, entwickelte sich ein angeregtes Gespräch. Gespräch mag vielleicht nicht der treffendste Ausdruck sein, denn tatsächlich erzählte sie mir eine Geschichte nach der anderen, ohne dass ich auch nur einmal zu Wort kam. Ich wusste daher auch nicht, ob sie mir Begebenheiten aus ihrem Leben oder aus einem ihrer bereits geschriebenen oder noch der Niederschrift harrenden Bücher erzählte. Natürlich war ich geschmeichelt, dass sie mich nach all den Jahren überhaupt noch erkannt und eines Wortwechsels für würdig befunden hatte. Schließlich hatte sie es zu etwas gebracht, nicht nur zu einem abgeschlossenen Physikstudium, sondern auch zu drei vollendeten Romanen, einem Platz auf der Longlist für den deutschen Buchpreis 2008 und zu regelmäßiger Erwähnung in den österreichischen Tageszeitungen. Wenn gelegentlich ein japanischer Sportwagen in einen Unfall verwickelt war, dessen Fahrer ein Opfer meiner „Traumverkäufe“ gewesen war, so hielten es die Zeitungen zum Glück nie der Rede wert zu erwähnen, von wem das Unfallauto verkauft worden war.
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