»Es handelt sich um Marie Louise«, sagte ich, und ich konnte geradezu hören, wie er erstarrte.
»Ja«, sagte er heiser. »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«
»Wer ich bin, ist unwichtig, aber ich bin im Besitz ihres Ringes«, erklärte ich, »und ich weiß, was aus ihr geworden ist.«
Er schwieg, aber ich hörte ihn schwer atmen.
»Ich verkaufe Ihnen den Ring für 10000 Kronen«, sagte ich. Da gerade ein Zug in den Bahnhof einfuhr, sprach ich rasch weiter, bevor er antworten konnte: »Ich rufe Sie in zehn Minuten wieder an. Bleiben Sie in der Nähe des Apparats.« Ich warf den Hörer auf die Gabel und stürzte zu dem Zug.
In Husum stieg ich aus, wartete ein paar Minuten, bis sich die Leute verlaufen hatten, und rief abermals an.
»Ich bin’s. Interessieren Sie sich für den Kauf?«
»Ja«, antwortete er. Er hatte jetzt seine Stimme in der Gewalt und klang ganz geschäftsmäßig. »Wie?«
»Seien Sie morgen nachmittag um fünf im Hauptbahnhof, und mieten Sie das Schließfach Nr. 91. Haben Sie verstanden?«
»Ja«, sagte er rasch, fast eifrig. »Schließfach Nr. 91. Morgen um siebzehn Uhr im Hauptbahnhof.«
»Wenn es besetzt ist, warten Sie zwei Stunden, ob es frei wird. Wenn es dann immer noch besetzt ist, verschieben wir die Sache auf übermorgen und so fort, bis das Fach einmal unbesetzt ist.«
»Und weiter?«
»Vorläufig nichts weiter. Ich melde mich in zehn Minuten wieder.«
Ich lief zum Schalter und kaufte mir eine Fahrkarte zur nächsten Station, nach Islev. Er wartete getreulich. Ich setzte meine Anweisungen fort.
»Wenn Sie das Fach Nr. 91 bekommen haben, legen Sie einen Umschlag mit zehntausend Kronen hinein. Keine neuen Fünfhundertkronenscheine. Gemischte Banknoten, keine Serien. Und Sie können es sich gern ersparen, die Banknoten zu numerieren – so dumm bin ich nicht.«
»Nein, nein«, erwiderte er. »Wenn ich nur den Ring bekomme. Welche Garantie habe ich, daß ich den Ring bekomme?«
»Keine.« Ich grinste vor mich hin. Ich sah ihn im Geist schwitzen. »Dann schicken Sie mir den Schlüssel sorgfältig verpackt. Haben Sie etwas zum Schreiben da?«
»Ja.«
»Gut. Also schreiben Sie: An E. Albertsen, Dyremosen 44, Charlottenlund. Geben Sie die Absenderadresse deutlich an. Verstanden?«
»Ich hab’s notiert.«
»Die Adresse gibt es nicht, aber ich habe eine besondere Abmachung getroffen, daß ich den Schlüssel erhalten werde. In zehn Minuten hören Sie wieder von mir.«
Weiter ging es nach Jyllingevej. Ich verbrauchte eine Menge Kleingeld fürs Fahren und viele Fünfundzwanzig-Öre-Münzen, aber es war ja für einen guten Zweck.
Für mich!
Wir setzten das Gespräch fort, als ob keine Unterbrechung stattgefunden hätte.
»Ich hole mir dann das Geld, lege den Ring ins Schließfach, werfe eine Krone ein, um die Frist zu verlängern, und schicke Ihnen den Schlüssel zurück.«
»Sie lassen mir nicht viel, woran ich mich halten kann«, sagte er.
»Nein, aber es bleibt Ihnen keine Wahl.«
»Das ist wahr«, flüsterte er beinahe. »Ich werde tun, was Sie sagen. Aber war ist mit den Kleidern? Sie haben wohl auch ihre Kleider, die ich Ihnen später abkaufen muß?«
»Nein, ich habe sie nicht«, entgegnete ich. »Ich habe nur ihren Ring und noch einen Hinweis, der ohne den Ring nicht viel wert ist.«
»Ich muß Ihnen notgedrungen glauben.«
Da ich nicht die Absicht hegte, ein mehr oder minder vertrauliches Gespräch zu führen, sagte ich abschließend: »Hauptbahnhof morgen um siebzehn Uhr. Schließfach Nr. 91. Zehntausend Kronen«, und hängte auf.
Ich muß gestehen, daß ich mich am nächsten Tag mit großer Spannung im Hauptbahnhof auf eine Bank setzte, von der aus ich das Schließfach Nr. 91 im Auge behalten konnte. Vorher hatte ich nachgesehen. Das Fach war nicht besetzt, und ich hoffte, daß er bald kommen würde, ehe ein anderer es mit Beschlag belegte.
Er kam pünktlich. In der Hand hatte er ein Päckchen. Es hätte eine Schachtel Pralinen oder ein Paar flache Sommerschuhe enthalten können, aber ich wußte es besser. Darin waren meine 10000 Kronen. Die erste Abzahlung für einen Mord. Nur eine bescheidene Abzahlung.
Er suchte die Schließfächer ab, bis er Nr. 91 fand. Offenbar hatte er noch nie ein solches Fach benutzt, denn wie ich las er zuerst die Gebrauchsanweisung. Hierauf legte er das Päckchen hinein, bezahlte und schloß ab.
Er holte einen Plastikbeutel hervor, tat den Schlüssel hinein, verschloß ihn mit zwei Büroklammern und steckte ihn in einen Umschlag. Es war kein gewöhnlicher Briefumschlag, sondern ein sogenanntes Musterkuvert. Er blickte sich nach einem Briefkasten um. Als er keinen fand, begab er sich suchend zur Ankunftshalle.
Er kam so dicht an mir vorbei, daß er fast über meinen Fuß gestolpert wäre. Ich schaute gleichmütig auf, als er auswich; aber er beachtete mich gar nicht. Er sah auf den ersten Blick ruhig und gefaßt aus; doch wenn man Bescheid wußte, hatte er doch etwas Gehetztes an sich. Er bewegte sich ruckweise, ungefähr wie ein Huhn, das auf der Erde Körner sucht.
Ja, ich hatte ihn in der Hand.
Das verlieh mir ein gewisses Gefühl der Zufriedenheit, vom Geld ganz abgesehen. Ich begann die Machtgier zu verstehen, die den Menschen in der Weltgeschichte getrieben hat, andere rücksichtslos auf dem Altar der Macht zu opfern, um dieses angenehme Gefühl zu erleben. Ich war hoch aufgestiegen.
Ich verlor ihn aus den Augen. Ich erhob mich, ging hin und schloß das Fach Nr. 91 auf, holte das Päckchen mit dem Geld heraus und legte den Ring hinein. Ich hatte ihn in einen Schuhbeutel verpackt, damit es nicht merkwürdig aussah, wenn die Aufbewahrungsfrist ablief, bevor er seinen Brief zurückerhielt und das Schließfach geöffnet und geleert wurde. Es ging nicht an, daß nur ein in Seidenpapier eingewickelter Ring darin lag.
Den Brief würde er nämlich mit dem Vermerk »Adressat unbekannt« zurückbekommen.
So einfach war das Ganze.
Das Päckchen mit dem Geld steckte ich in meine Mappe, und dann fuhr ich mit dem Zug nach Hause. Ich zählte die Geldscheine und schmiedete meine Pläne, ehe ich zu Bett ging.
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