Das Kind hatte die beinahe magische Fähigkeit, David aus seiner Niedergeschlagenheit herauszuholen. Er lachte laut und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du hast recht, ich denke, das sollten wir machen. Du wartest hier.« Er verließ das Zimmer und kam mit einem zweiten Stuhl zurück. Bald saßen die beiden nebeneinander am Schreibtisch. David hatte Bethany einige Kissen auf den Stuhl gelegt, damit sie höher saß.
»Wir werden es unser Geheimzimmer nennen. Deines und meines«, sagte Bethany. »Und wir werden keinen anderen hineinlassen, nicht?«
»Nein. Keinen anderen. Nur du und ich.«
»Was werden wir heute schreiben? Einen Brief?«
»Würdest du gern jemandem einen Brief schreiben?«
»Nein, ich würde lieber eine Geschichte schreiben.«
»Eine Geschichte? Ich wusste, dass du Geschichten gern hörst, aber ich wusste nicht, dass du sie auch schreibst.«
»Dies wird meine erste sein«, erklärte Bethany. »Du schreibst auf, was ich sage.«
»In Ordnung, Miss Geschichtenschreiberin. Dann mal los.«
Bethany schloss die Augen und legte tief in Gedanken versunken die Finger an die Lippen. Dann sagte sie: »Es war einmal ein kleines Mädchen. Sie war sehr hübsch und hatte schwarze Haare und sehr dunkle Augen. Es war ein liebes Mädchen, das alles richtig machte. Sie hatte einen Freund, der immer sehr lieb zu ihr war. Sie hatten ein kleines Zimmer, in das sie sich zurückzogen, um Bücher zu schreiben und zu lesen, und sie lebten glücklich bis an ihr Ende.«
Mit ernstem Gesicht schrieb David, was sie ihm diktierte, und streute dann Sand über die Tinte. »Jetzt musst du hier unten deinen Namen hinschreiben, damit alle wissen, dass du diese Geschichte geschrieben hast.«
Hocherfreut schrieb Bethany in großen Buchstaben ihren Namen. »Jetzt«, sagte sie, »musst du eine Geschichte erzählen und wir schreiben sie auf. Dann hast du eine Geschichte und ich habe auch eine.«
»Was für eine Geschichte?«
»Eine Geschichte über ein kleines Mädchen«, erwiderte Bethany. Ihre Geschichten waren immer dieselben und sie wollte immer die Heldin sein. David begann zu improvisieren, und während der nächsten zehn Minuten erzählte er die wildeste Geschichte von einem kleinen dunkelhaarigen Mädchen, das in alle möglichen Gefahren geriet und schließlich von ihrem Freund David gerettet wurde. »Und David und Bethany lebten glücklich bis an ihr Ende«, sagte er abschließend.
Bethany seufzte und lehnte sich zurück.
»Das ist eine gute Geschichte. Fast so gut wie meine.«
»Fast.« David unterdrückte ein Lächeln. »Jetzt muss ich aber gehen.«
»David?«
»Was ist, Bethany?«
Das Mädchen blickte ihn mit seinen großen Augen ernst an. Sie war ein unberechenbares Kind. Manchmal hallte das Haus von ihrem Gelächter wider, dann wieder war sie sehr ernst und beinahe melancholisch. Im Augenblick hatte sie einen seltsamen Gesichtsausdruck, den David nicht deuten konnte. Er wartete. »Du bist mein bester Freund, David«, erklärte sie schließlich im Brustton der Überzeugung.
David beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Das freut mich. Du bist auch meine beste Freundin, Bethany.«
Sie sprang von ihrem Stuhl herunter. »Ich gehe jetzt nach draußen zum Spielen. Wir treffen uns später wieder in unserem Geheimzimmer und schreiben noch mehr Geschichten.«
»Sag mir nur Bescheid. Ich lasse sofort alles stehen und liegen, was ich zu tun habe, und komme mit«, versprach David feierlich.
»In Ordnung«, erwiderte sie und verließ den Raum.
Sobald sie fort war, warf David den Federkiel auf den Schreibtisch und lachte laut. »Was für eine kleine Range!«, sagte er lachend. »Ich darf gar nicht daran denken, was aus ihr wird, wenn sie erwachsen wird. Sie wird ihren Mann schon auf Trab halten!«
»David, ich muss mit dir sprechen.«
David sah von seinen Papieren auf. Seine Mutter schien sehr besorgt zu sein. »Was ist los, Mutter? Stimmt irgendetwas nicht?«
»Ja, ich fürchte schon.«
David erhob sich sofort, kam zu ihr und nahm ihre Hände. »Was ist?«
»Es – es geht um Paul.«
»Ach, ich verstehe.« David biss sich auf die Lippen und überlegte, worum es sich dieses Mal handeln könnte. Seit seinem Gespräch mit Paul über seine Verschwendungssucht waren Monate vergangen, und soweit David wusste, hatte sich nichts geändert. »Geht es wieder einmal um Geld?«
»Nein, es ist viel schlimmer.«
»Was ist los?«
»Er hat ein Duell, David.«
Wenn seine Mutter gesagt hätte, Paul wolle über den Mond springen, hätte David nicht schockierter sein können. »Ein Duell! Ich kann es nicht glauben!«
»Es stimmt. Gareth hat es herausgefunden. Er hat mit dem anderen jungen Mann gesprochen und versucht, eine Versöhnung zustande zu bringen.«
»Vermutlich geht es um eine Frau?«
»Ja. Eine wertlose Schlampe, wie es nur eine gibt! Aber vermutlich war es nur eine Frage der Zeit.«
»Was soll ich tun? Er hört doch nicht auf mich.«
»Du weißt doch noch, dass er davon gesprochen hat, zur Armee zu gehen?«
»Ja natürlich. Ich habe darüber nachgedacht. Willst du das wirklich, Mutter?«
»Ich glaube, es ist die einzige Möglichkeit.«
David zeigte seine Besorgnis. »Der Gedanke gefällt mir gar nicht. Ich habe Angst um ihn. Die Armee ist kein geeigneter Ort für jemanden wie Paul. Seine schlechten Angewohnheiten werden sich noch verstärken. Andere werden ihm sogar noch schlimmere Ideen vermitteln.«
»Ich weiß, aber er ist so unglücklich hier.«
»In Ordnung, Mutter. Vielleicht hast du recht. Ich werde mit Paul reden. Wenn er es unbedingt möchte, werde ich dafür sorgen, dass er gehen kann.«
Es dauerte einige Tage, bis er mit Paul sprechen konnte. Nachdem er sein Zimmer betreten hatte, kam er sofort zur Sache: »Paul, was hat es mit dem Duell auf sich? Ich hoffe, du zeigst Vernunft und wendest es ab.«
Paul schnaubte verächtlich. »Ich bin sicher, genau das würdest du tun. Aber er hat mich beleidigt. Ich habe keine Wahl.«
»Jeder Mensch hat die Wahl. Ich kenne das Mädchen nicht einmal, aber sicher ist sie es nicht wert, dass du und der andere Mann riskieren, euch ihretwegen gegenseitig zu töten.«
Paul blieb hart und zwanzig Minuten lang stritten die Brüder. Schließlich sagte David: »Paul, ich möchte einfach nicht, dass du so etwas tust, und vielleicht weiß ich einen Weg, dich davon abzubringen.«
»Zum Beispiel?«, fragte Paul misstrauisch.
»Ich habe über deinen Wunsch, in die Armee einzutreten, nachgedacht und mit Angus darüber gesprochen. Er kennt alle möglichen Leute und hat einen Klienten, der unter General Wolfe dient.«
Sofort änderte sich Pauls Gesichtsausdruck. »Meinst du das ernst, David?«
»Ja. Ich habe Angus gebeten herauszufinden, ob sein Freund sich an den General wenden könnte. Er ist seinem Wunsch nachgekommen und General Wolfe ist bereit, dich in seine Kompanie aufzunehmen. Ein Offizierspatent steht zum Verkauf. Du würdest als Leutnant unter General Wolfe dienen.«
Paul starrte seinen Bruder an. »David, ich weiß, ich bin ein Schurke gewesen, aber wenn du mir diese Chance gibst, wirst du schon sehen. Du wirst stolz auf mich sein können.«
»Du weißt genau, wie ich darüber denke, Paul. Mir wäre es lieber, wenn du einen anderen Beruf ergreifen würdest … aber es ist dein Leben. Die Papiere sind unterzeichnet, der General ist einverstanden. Ich kann dir nicht garantieren, dass du ihm gefällst oder dass dir dieses Leben gefällt, aber wenigstens hast du deine Chance.«
Paul drückte Davids Hand. »Vielen Dank, David.« Überwältigt begann er im Zimmer herumzugehen und von dem Ruhm zu sprechen, der auf ihn wartete. David gab sich Mühe, seine Begeisterung zu teilen, doch er musste immer wieder denken: Er könnte getötet werden. Das würde ich mir nie verzeihen!
Читать дальше