Er beugte sich über den Sterbenden und berührte seine Hand. »Aber ich werde mein Bestes geben, so wahr mir Gott helfe!«, brach es aus ihm hervor.
Als David zurücktrat, blickte George Paul an, der blass und betrübt aussah. »Paul, denkst du, dass ich dir gegenüber ungerecht gewesen bin?«
»Nein. Wirklich nicht, Onkel. Das darfst du nicht glauben. So ist es eben. Bitte, du bist so nett zu meiner Mutter, meinem Bruder und mir gewesen. Mach dir um mich keine Sorgen. Ich werde schon zurechtkommen. Ich weiß, ich bin nicht so gewesen, wie du es dir gewünscht hättest, und das tut mir leid.«
George sprach trotz seiner Schwachheit eine Weile mit Paul. Schließlich meinte er: »Wende dich Gott zu, mein Junge. Das war das Gebet deines Vaters. Sein Gebet auf dem Sterbebett und es ist auch meines.«
George verabschiedete sich von Gareth und Sarah, dann von Ivor und Bethany. Und schließlich war es Gareth, der sagte: »Kommt.« Er führte alle aus dem Zimmer, damit George mit Caroline allein sein konnte.
Sie setzte sich auf sein Bett und nahm seine Hand. Gelegentlich sagten sie etwas. »Ich werde so müde«, sagte George. »Es ist fast … als würde ich mich abends schlafen legen.«
»Ich wünschte, ich wäre dir eine bessere Frau gewesen.«
»Eine bessere Frau? Das ist gar nicht möglich!« Georges Stimme war schwach. Er öffnete die Augen und sprach von seiner Liebe zu ihr und bat sie um Vergebung für sein Versagen als Ehemann. Dann schloss er wieder die Augen. »Du musst Dorcas danken. Sie hat so viel getan. Ihr und ihrem Mann, weil sie mich zu Gott gebracht haben. Und vor allem danke ich dir, Caroline.«
Eine halbe Stunde verging. Die große Uhr tickte langsam und die Familie wartete draußen. Niemand bewegte sich. Bethany saß dicht neben David und umklammerte seine Hand. Paul starrte aus dem Fenster, während Ivor sich leise mit seinen Eltern unterhielt.
Schließlich öffnete sich die Tür und Caroline kam heraus. Sie war traurig, doch eine seltsame Freude war ihr abzuspüren. »Er ist tot«, sagte sie einfach. »Aber er starb mit einem Lob Gottes auf den Lippen.« Tränen glitzerten in ihren Augen und sie wischte sie fort. »Ich möchte euch allen so sehr danken, dass ihr dazu beigetragen hat, dass mein Mann den Herrn Jesus gefunden hat …«
»Ich habe einfach nicht den Verstand dafür«, sagte David und starrte verloren auf den Schreibtisch, auf dem sich Papiere und Dokumente aller Größen und Formen stapelten. Verzweifelt schüttelte er den Kopf. »Es ist hoffnungslos. Ich werde das Gut niemals verwalten können.« Angus McDowell, ein Mann von achtundfünfzig Jahren mit hellblauen Augen und hellbraunem, mit grauen Strähnen durchzogenem Haar, hatte die Wakefields jahrelang in rechtlichen Angelegenheiten beraten und seine Sache sehr gut gemacht. Er betrachtete den Mann ihm gegenüber und dachte bei sich: Ich bin sehr froh, dass Mr David nun Wakefield übernimmt und nicht sein Bruder Paul. Paul würde den Besitz sofort zugrunde wirtschaften. Laut sagte er freundlich: »Ihr müsst nicht verzweifeln, Junge. Immerhin seid Ihr noch jung. Ihr habt noch Jahre Zeit zu lernen, was alle diese Dinge bedeuten.«
Doch David fühlte sich durch die Worte des Schotten nicht getröstet. »Es hat keinen Zweck, Mr McDowell, ich bin einfach kein Geschäftsmann.«
»Natürlich seid Ihr das nicht. Das kann man wohl auch kaum von Euch erwarten.« McDowell lächelte. »Als ich gerade sechzehn war, wisst Ihr, was ich da gemacht habe?«
»Was denn, Mr McDowell?«
»Ich war auf dem besten Weg zum Galgen«, erwiderte der ältere Mann fröhlich. Seine blauen Augen blitzten. Er schlug dem jungen Mann am Schreibtisch auf die Schultern. »Ihr seid noch nicht alt genug, um die Verantwortung zu übernehmen, aber dafür bin ich ja da. Eure Tante und Eure Mutter werden Euch helfen.«
»Es wäre besser, wenn Paul der Erbe gewesen wäre. Er ist viel intelligenter als ich.«
»Das kann ich nicht glauben. Er ist zwar schneller als Ihr«, gab McDowell zu und rieb sich nachdenklich das Kinn, »aber das ist nicht dasselbe wie intelligent. Jeder Narr kann schnell sein – und hinterher sein Handeln bereuen.«
»Gibt es nicht einen Weg, wie wir ihn an der Leitung des Besitzes teilhaben lassen können?«
»Warum seid Ihr so darauf bedacht? Ich weiß, Ihr beide seid Zwillinge, und ich habe immer gehört, dass Zwillinge sich näherstehen als normale Brüder.«
»Na ja, das kann schon sein … aber wir sind sehr unterschiedlich, Mr McDowell.«
»Ihr könnt mich Angus nennen … zumindest wenn wir allein sind. Vielleicht wäre vor anderen ein wenig Respekt vor diesen grauen Haaren nicht schlecht. Ihr seid wirklich ganz anders, David; alle haben bemerkt, dass der Unterschied darin liegt, dass Ihr ein sehr beständiger junger Mann seid, und Euer Bruder, fürchte ich, ist das nicht.«
»Aber er könnte lernen. Er hat eine so schnelle Auffassungsgabe! Er lernt Dinge an einem Tag, für die ich eine ganze Woche brauche.«
»Verstehe!«, sagte McDowell und nickte verständig. »Aber eine Entscheidung kann an einem Tag getroffen werden, über die man besser eine ganze Woche nachgedacht hätte. Denkt Ihr, Euer Bruder hätte die Geduld, diese Papiere durchzugehen? Vielleicht Jahre zu warten, bis er in der Lage ist, diese Verantwortung als Erbe von Wakefield zu übernehmen?«
»Vermutlich nicht, aber ich werde das nie lernen. Und Paul wird das nicht gefallen.«
»Warum sollte ihm das nicht gefallen?«, fragte Angus, obwohl Sir George vor seinem Tod und Lady Caroline bereits Andeutungen gemacht hatten.
»Paul – er möchte gern alles bestimmen. Und ich möchte das nicht«, erwiderte David. Er hob den Kopf und blickte den älteren Mann an. »Ich würde gern etwas anderes mit meinem Leben anfangen.«
»Aha! Habt Ihr schon einen Beruf im Sinn? Welchen? Das Recht?«
»Nein, Sir.«
»Die Kirche vielleicht? Ihr seid ein religiöser junger Mann.«
»Oh nein. Ich wäre kein guter Prediger.«
»Aber doch ganz bestimmt nicht die Armee.«
»Nein, ich wäre auch kein guter Soldat.«
McDowell starrte ihn an. »Nun, was bleibt dann noch für einen jungen Mann?«
»Ich – ich würde gern Schriftsteller werden.«
»Schriftsteller?« McDowell riss die Augen auf. »Mein Junge, Ihr erstaunt mich! Das ist doch kein passender Beruf für einen jungen Adeligen!«
»Das ist, was ich tun möchte. Ich lese gern. Ich liebe Bücher, und ich glaube, dass ich auch Bücher schreiben könnte. Vielleicht Gedichte, falls ich die Gelegenheit dazu hätte. Aber das kann ich nicht, wenn ich Wakefield leiten muss.«
McDowell war so erstaunt, dass ihm keine Antwort einfiel, doch schließlich räusperte er sich. »Na ja, das wird die Zeit zeigen. Es ist durchaus möglich, dass Ihr schreiben könnt. Andere gehen auf die Jagd oder zum Angeln, Ihr könnt Euch während Eurer Freizeit mit Büchern beschäftigen. In der Zwischenzeit müsst Ihr lernen, wie Ihr das Haus Wakefield am Leben erhalten könnt! Denn als Sir David Wakefield ist dies Eure Berufung. Das Haus am Leben erhalten! Es wird zugrunde gehen, wenn Ihr Euer anvertrautes Gut nicht treu verwaltet. Sir George hat dies in Eure Hand gelegt. Es ist eine heilige Pflicht, mein Junge, und ich weiß, Ihr werdet sie als solche ausüben.«
Betrübt durch die Last der Verantwortung nahm David eines der Papiere auf und versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Doch bevor er anfing zu lesen, schüttelte er den Kopf und murmelte: »Das wird Paul gar nicht gefallen!«
»Du wolltest mich sprechen, Mutter?« Paul war in Dorcas’ Zimmer gekommen, nachdem einer der Dienstboten ihm ausgerichtet hatte, dass sie mit ihm sprechen wollte. Er hatte sich sofort zu ihr begeben und bemerkte, dass sie sehr nervös war. »Setz dich, Paul«, forderte sie ihn auf.
»Was habe ich dieses Mal verbrochen?«, fragte Paul. »Jedes Mal, wenn ich eine solche Aufforderung bekomme, habe ich das Gefühl, vor den Direktor zitiert zu werden.«
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