„Ja —, und mit den Körpern wird’s zugrunde gehn’ — geht es weiter!“
„Was geht nicht zugrunde? Wir hier, mit unseren kranken Seelen . . .“ Der kleine Jrrenarzt wandte sich nach dem Hause. „Man denkt doch über mancherlei nach, wenn man mal herauskommt! Nun bin ich ja wieder hier. Im Hafen. Sagen Sie mal: Wann hab’ ich eigentlich den Vortrag über: ,Die kranke Zeit’ in Berlin?“
„Ich weiss nicht ganz genau, Herr Doktor! Aber etwa in drei Wochen. So um die Mitte Oktober.“
„So: Ich will mich doch lieber mal gleich hinsetzen und mit der Ausarbeitung anfangen! Ich brauche heute eine wissenschaftliche Ablenkung — auf das Wesentliche! Melden Sie mir, wenn etwas Besonderes passiert . . .“
Draussen graute der Oktoberabend im rötlichen Stangengewimmel der Grunewald-Föhren. Zwischen ihnen, vereinzelt, lagen fern von Berlin die Häuser der Reichen. Lill kniete in dem würzig-warmen, elektrisch hellen Pferdestal, der rechts an Papas Villa angebaut war, wie links die Garage, und salbte noch einmal eigenhändig die festen, kurzen, runden Hufe ihres Turnier-Springpferdes „Zappelphilipp“. Das goldene Kerlchen sollte wie aus dem Ei gepellt vor den Richtern und dem Publikum erscheinen, gerade heute, an dem grossen Abend der Entscheidung. Sie sprang auf und hätschelte beschwörend ihren Liebling, einen kleinen nervigen Hengst mit feurigen Augen und drahtigen Beinen. Sie faltete die Hände vor der Brust:
„Zappelchen — das Geld ist uns schnuppe! Aber wenn wir ’ne Schleife kriegen . . .“, sagte sie und bot die letzte Trennungs-Mohrrübe auf dem Handteller. Der Rechtsanwalt Dr. Wendroth neben ihr zwinkerte trocken über das hagere, bartlose Sportgesicht. Er war schon in Turnierdress. Die weitbauschigen Breeches passten zu der schmächtigen, zähen Gestalt des Herrenreiters. Er sah wie ein Jockei aus.
„Halt ihm nur bis zum letzten Augenblick den Kopf fest!“ riet er. „Über höher als anderthalb Meter kriegt das Luder Nerven!“
„Haft du gehört, Zappel, der böse Onkel schimpft dich! Zeig’s ihm nur, was du kannst!“ Lill spigtzte die roten Lippen und drückte dem kleinen Vollblut einen leidenschaftlichen Schmatz auf die feuchte Schnauze. „Ach — Du Wonnekloss — Du!“ Sie nahm mit einer Umarmung um den Hals Abschied. „Fips — ich bind’ ihn Dir auf die Seele!“
„Weine nicht! Mit meinen beiden ollen Wallachs draussen zusammen tippelt er ganz fromm nach Berlin hinein!“
„Also Gottes Segen bei Cohn! Los, Fritze!“
Der kleine Groom klemmte sich, die Sportmütze schief im Genick über dem Gesicht einer vierzehnjährigen Berliner Rübe, bügellos auf die Stalldecke und fasste die Trense. Das Gäulchen stelzte in die Nacht hinaus. Draussen, vor dem Gitter, war auch Philipp Wendroth auf den einen seiner Turnierspringer gestiegen. Den anderen ritt ein Stallmann.
„Du weisst, Lill: Du kommst um 19 Uhr 40 in der dritten Abteilung ’ran! . . . Sei nur rechtzeitig da!“
„Ich pell’ mich jetzt an und komm’ gleich im Auto nachgesaust!“
,,Also Arm- und Beinbruch!“
„Danke. Gleichfalls!“
Das Getrappel der Springpferde verhallte im Schritt zwischen den Schienen der Elektrischen die lange, dunkle, stille Grunewaldstrasse hinab. Lill ging hinüber in das Elternhaus. Im Tanzsaal zur ebenen Erde war Licht und Musik. Der Lautsprecher verzapfte auf der Deutschen Welle das Five o’clock-Konzert aus einer Berliner Hoteldiele. Da schoben sie richtig schon wieder einen Black-Bottom, nachdem sie den ganzen Nachmittag bis zur Erschlaffung Tennis gespielt hatten: der Bruder Geo, der Charlottenburger Student, der neuerdings schon beinahe mit dem Einglas in der harmlosen Visage schlafen ging, und seine Seelenfreundin, die Emilie Kneuper, die LangstreckenSchwimmerin. Und Baby Schwingenstein war von nebenan gekommen und Lills frommer Knecht Fridolin, ihr Page, der Bankvolontär Frid Meinhold, ein noch ganz blutjunger Mensch mit wunderschönen, schwermütigen Augen, der zu allgemeinem Jocus zuweilen Verse machte — richtige, sich hinten reimende Verse auf Lill. Und die süsse schwarze Bine, die falsche Katze, war da. Sie hatte keinen Partner. Die spillerige Herbstzeitlose, die Mab, das Mädchen für alles, musste mit ihr als Herr tanzen.
„Als Herr? Nee — als Herrlein!“ sprach die Athletin Emilie Kneuper, eine Flachsblonde, riesige, bildschöne Germania — einen halben Kopf grösser als ihr Freund Geo — mit einem ruhigen, regelmässigen Antlitz und gebieterischen Blau-Augen. Sie bewegte sich pomadig-kraftbewusst. Sie hatte eine tiefe Stimme: „Na ja: Ich bin nicht verheiratet — Gott sei Dank — und darum bin ich nicht Frau, sondern werde Fräulein geschimpft. Also ist ein unverheirateter Mann auch noch nicht ein Herr — das wird er erst auf dem Standesamt — sondern ein Herrlein! Ich werde künftig ,gnädiges Herrlein’ zu Dir sagen, Geo! Wir lassen uns immer noch viel zuviel von den Männern gefallen!“
„Gut gehustet, Emil!“ rief Baby Schwingenstein. Sie war winzig klein und hatte neugierige vorstehende Puppenaugen wie aus Glas.
„Baby — wenn Du schon Deinen Berliner Brotladen aufmachst!“
„Baby hat keinen Partner! Sie giftet sich, weil der Fips die ganze Zeit bei Dir im Pferdestall gesteckt hat!“
„Ach — Ihr verbuhlten Kröten . . .“ Lill lehnte lang, dünn und hübsch auf der Schwelle und überblinzelte wohlwollend aus ihren halbgeschlossenen graublauen Augen den Flohtanz. „Nee — danke! Weg, Fridolin! Mir ist’s jetzt nicht ums Hopsasa! Was glaubt Ihr, was ich für Sorgen um Deutschland im Kopf hab’! Lacht nicht so dumm! Ich treff’ heute in meiner Abteilung auf den Schweden! Der Knabe reitet ein unheimliches Tempo über die Hindernisse. Überhaupt: Ich muss vier lebensgrosse Männer schlagen: noch ’nen Grafen —, ’nen Stallmeister und ’nen Reichswehrleutnant! Wir Frauen haben es nicht leicht!“
„Gott — die Männer . .“, sagte Emilie Kneuper, die preisgekrönte Kugelstemmerin und Diskusschleuderin. Sie hatte die Figur der Venus von Milo. Einen Brustkasten wie ein Mann.
„Jawohl, Emil — Du deutsche Eiche! Ihr kämpft nett untereinander! Herren und Damen getrennt! Bloss im Turniersport — da gibt’s kein schwächeres Geschlecht! Na — tanzt nur weiter!“ schloss Lill mitleidig und stieg die Treppe hinauf in ihre Zimmer. Die Reitausrüstung — Schossrock, lange Hosen mit Lederbesatz und Stegen, wildlederne Unterbeinkleider, gespornte niedere Stiefel, schwarzer, steifer, runder Filzhut — lag schon bereit. Sie fing an sich umzuziehen und rief, als es klopfte:
„Komm’ nur ’rein, Mama! Da ist ein Stuhl frei! Also ungelogen: Du bist heute in blendender Kondition!“
Frau Bödiger war in der ersten Hälfte der Vierzig. Gross und schlank wie ihre Tochter, dunkler, in champagnerfarbener Seide. Sie konnte noch Ansprüche machen. Besonders die Augen waren noch jung. Das Lächeln dreissigjährig. Die Fältchen wegmassiert. Die gesellschaftliche Gesamtwirkung durchaus interessant.
Lills Mutter war durch das Zimmer gerauscht und hatte sich gesetzt. Sie war ein wenig ausser Atem. Jetzt fing schon sachte die Saison an. Mit der Saison war bei Mama nicht zu spassen. Die Weltdame hob liebenswürdig das Haupt. Sie trug einen Bubikopf wie ihre Tochter.
„Willst Du mir einen Riesengefallen tun, Lill?“
„Selbstmurmelnd, Mama!“
„Dann bleib morgen abend ’mal ausnahmsweise daheim!“
„Ihr habt wohl Gäste — Du und Papa?“ forschte Lill misstrauisch. „Das wird ja wahnsinnig langstielig!“
„Aber Papa zuliebe . . .“
„Morgen? . . . Warť mal . . . Ausgeschlossen!“
„Wo musst Du denn durchaus hin?“
„In den Boxabend!“
„Geht das nicht auch ohne Dich, dass sich da ein paar frühere Metzgergesellen oder derlei die Nasen einschlagen?“
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