Rudolf Stratz - Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend

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Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend: краткое содержание, описание и аннотация

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Aller Anfang ist schwer, das erfährt auch Ernst Wachsmut, als er nach Straßburg zieht, um dort sein Medizinstudium anzufangen. Die Kellnerin Walburg wird eine Stütze für ihn – vor allem, wenn es um die ausbleibenden Briefe seiner Kusine geht, die offenbar die verliebten Tage mit Ernst vergessen hat. Ernst nimmt die vorsichtig geflüsterten Ratschläge von Wally an, und er schlägt ihr eines Tages etwas gönnerhaft vor, ihr Straßburg zu zeigen. Das jünge Mädchen hat sich in Ernst verliebt und kann ihr Glück kaum fassen. Doch mit dem Beginn dieser Liaison ist ihr Schicksal besiegelt: Erst an ihrem Totenbett wird Ernst zu seiner Schuld stehen.-

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Rudolf Stratz

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend

Saga

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1928, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507278

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

I

Schlag’ ihm aani uff — dem Dreckschwob!“

„Als bei, du Wackes!“

Das Gebrüll der raufenden Bubenhorde übertoste den Platz vor dem Elsässer Dorfkirchlein. Die Sommersonne schien hell. Die Bauern in ihren blauen Blusen und die Marktweiber in ihren schwarzen Flügelhauben schauten lachend zu.

„Was isch diss für e Krambol!“

„Immer, wann der kleine Prüssien dabei isch . . .“

„Der Sohn von dem altdietsche Sommerfrischler — dem Professor aus Strassburg.“

„Au fond isch es e gueter Bue!“

„Na — das freut mich zu hören!“ sagte barsch ein schlicht gekleideter Herr, der mit einer kleinen dicklichen Dame vorbeiging. Er trug auf einer unscheinbaren, mittelgrossen Gestalt einen derb-durchgeistigten, bärtigen Gelehrtenkopf mit blinkenden Brillengläsern. Seine Gattin sagte nervös durch das Zetergeschrei des kämpfenden Jung-Elsass:

„Da hast du unsern Herrn Sohn!“

„Es ist sein letzter Feriennachmittag hier, Sofie! Morgen früh sitzt er wieder in Strassburg . . .“

„Ach Gott — da geht die Rotte Korah wieder auf den Ernst los!“

„Er ist der Räuberhauptmann, und die kleinen Wackes sind die Gendarmen!“

„Kommt doch, ihr Rotzlöffel beisammen, wenn ihr Kurasch’ habt!“ schrie der kleine Altdeutsche.

„Eweck, du Bobbedickel! . . Au!“ Der vorderste Häscher plumpste rücklings auf das Pflaster. „Nu — du drecketer Teifel!“

„Schau nur, wie der Ernst die Dorfbengel verdrischt!“ sprach die Mutter erschöpft.

„Geben ist seliger als nehmen, Sofie!“

„Man könnt’ sich bald vor ihm fürchten, wie er da oben von seinem Bretterhaufen herunterdroht . . .“

Dem vierzehnjährigen Bub auf seiner Burg von Bauholz neben der Mairie flackerten die dunklen Augen in dem erhitzten frischen Gesicht. Die Mütze war ihm von dem brünetten Krauskopf geflogen, Kragen und Krawatte nur noch lose Fetzen um den blossen Hals. Er stand atemlos ganz vorn vor seiner Schar. Er deckte die Elsässer Spielkameraden hinter sich mit dem kampflustig vorgebogenen, dünnen Knabenkörper. Er war heiser vom Schreien.

„Heran, wer noch keine Keile ’kriegt hat!“

Aber unten wischten sie sich blutige Nasen. „Numme langsam!“ . . . „Nit so vif!“ Es traute sich keiner von den barfüssigen halbwüchsigen Polizeiorganen mehr so recht heran. Die Eltern des jungen Schinderhannes gingen weiter. Die Mutter seufzte:

„Manchmal mach’ ich mir doch Sorgen! Der Ernst ist gar zu wild!“

„Dafür ist er ein Bub, Mama!“

„Und wo er hinkommt, sind die andern Buben so dumm und tun gleich, was er will . . .“

„Sei doch froh, dass unser Einziger kein Schürzenmichele ist!“

Die Eltern hatten jetzt das Dorf im Rücken. Vor ihnen blaute und grünte weithin im Sonnengold das Rundbild des Elsass — die zerstreuten weissen Landhäuser, die bergansteigenden Rebenhalden, die grauen Burgruinen auf vorspringendem Luginsland, die dunklen Fichtenwälder und lichten Buchendome steil an den Hängen der Vogesen aufwärts bis zu den baumlos kahlen violetten Kämmen — der düsteren Grenzscheide gegen Frankreich. Die kleine dicke Mama schaute erschrocken zurück.

„Wenn nur der Ernst nicht jetzt was ausgefressen hat! Da rennt ein Mann aus dem Dorf und winkt hinter uns her!“

„… dass dich die Krott’petz’!“ murmelte der Professor auf gut Pfälzisch und schaute, die hohe Stirne runzelnd, über die Brille weg die Strasse lang.

„. . . oder es ist dem Ernst selber was passiert . . .!“

„Ein ganzer Haufe Volk läuft mit dem Mann mit!“

„Horcht mal, ihr Männer: is es der do?“ schrie atemlos der hemdsärmlige Werkmann und wies nach dem Ehepaar.

„Oui! Der Monsieur mit der Brill’ und dem Vollbart — diss isch ’r!“

„Leopold — bleib um Gottes willen ruhig!“ bat die Dame bang. Aber der Mann aus dem Volk, in abgetragener Arbeitsweste und blauen Monteurhosen, trat höflich, die Schirmkappe in der braunen Faust, heran. Er lächelte verlegen und aufgeregt über das gutmütige, schweissbeperlte Gesicht.

„Nemme Sie’s norr net krumm, dass ich so gerad’ dahergeloffe kumm’! Aber es bressiert halt!“ sprach er. Der Gelehrte war stehen geblieben.

„Ei — Sie reden ja das schönste Pfälzisch!“ meinte er wohlwollend.

„Jo, Herr! Ich bin aus der Rheinpfalz drüwwe! Ich bin norr alleweil hier am Neubau von der Märih beschäftigt!“

„No — da sind wir ja Landsleute!“ sagte der bärtige Hochschullehrer. „Ich bin der Sohn vom Ochsewirt aus Nussdorf in der Pfalz! Also — wo fehlt’s denn, lieber Freund?“

„Die Leuť sage, Sie wäre e Doktor!“

„Ich bin wenigstens Professor der Medizin an der Universität in Strassburg.“

„Wie ich dees g’hört hab’, do hab’ ich die Bein’ unner die Ärm’ genumme und bin gesprunge, dass ich Sie noch einhol’.“

„Ich bin aber in den Ferien hier, mein Bester! In meiner Villa da drüben! Ich praktizier’ hier nicht! Ihr habt ja einen Arzt hier im Dorf!“

„Der is doch üwwer Land!“ schrie der Pfälzer. „Der kummt erscht in e paar Schtunde wieder retour! Und unterdes verblutet sich die Krott’ ja. Do gucke Sie norr! Zeig’ mal her, Mamme!“

Auf dem Arm einer einfachen Frau sass erschöpft ein halbwüchsiges, hellblondes Mädel. Es sah für sein Alter noch sehr kindlich aus, aber seine dreizehn Jahre lasteten doch schon schwer und bogen der Mutter die linke Tragschulter schief. Dabei mahnte die kräftige Person noch die Kleine:

„Halt’ dein Beinche besser nach links in die Luft, mei’ Herzgebobbeltes, dass du mir’s Kleid net verdreckst“

Das Kind lächelte schwach und streckte das magere, strumpflos in einem staubigen kleinen Schnürschuh steckende Bein zur Seite. Es war schlicht, aber sehr sauber gekleidet und hatte ein reines, klares Gesicht mit einem feinen Näschen und blassen, schmalgerundeten Wangen. Das blosse, dunkelblonde Köpfchen war nett mit Wasser in der Mitte glatt gescheitelt und hinten, wo das dürftige Zöpflein baumelte, mit einer blauen Schleife herausgeputzt. Die Kleine schien weniger erschrocken als die andern, sondern eher verdutzt. Sie schaute aus den blanken, blauen Augen interessiert auf ihre mager unter dem kurzen Röckchen vorlugende, mit einem Leinwandfetzen umwickelte Wade. Es liess sich nicht erkennen, ob dies alte Taschentuch ursprünglich rotkariert oder nur vom Blut so gefärbt war. Immer noch tröpfelten dicke Purpurperlen langsam, in regelmässigen Abständen, unter dem Verband hervor zu Boden, und über die schnurgerade, in der Hundstagsglut des Jahres 1882 flimmernde Chaussee zog sich nach rückwärts im grellweissen Staub weithin die rote Spur. Der Professor legte der Kleinen beruhigend die Hand auf den blonden Scheitel.

„Nun erzähľ mal, mein Töchterle: was ist dir denn passiert?“

Das Kind sah ihm zutraulich in das bärtige Gesicht und nickte eifrig.

„Ich hab’ dem Babbe’s Esse nach der Mairie bringe wolle,“ berichtete es mit feiner Stimme, „. . . und wie ich da obe an der Protzeburg vorbeigeloffe bin . . .“

„Die Protzeburg nenne wir als das Schlössche da owwe!“ Ihr Vater zeigte hinüber nach dem höchsten der Rebenhügel am Fuss der Vogesen, wo zwischen Teppichbeeten und Gewächshäusern, hinter einer altersgrauen Steinbalustrade, ein langgestreckter altfranzösischer Edelsitz aus der Zopfzeit seine beiden dicken runden Ecktürme zum tiefblauen Himmel hob.

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