Noch konkreter wurde das Journal der American Medical Association, der größten Standesvertretung der Ärzte und Medizinstudenten in den Vereinigten Staaten mit Sitz in Chicago, „JAMA Internal Medicine“, das am 11. Februar 2018 an Hand der Daten von 44.551 erwachsenen Männern und Frauen grundsätzlich eine höhere Sterblichkeit in Verbindung mit hochprozessierten essbaren Produkten meldete (Quelle: [93] „Association Between Ultraprocessed Food Consumption and Risk of Mortality Among Middle-aged Adults in France“).
Viele dieser umstrittenen Produkte sind ausgesprochen verführerisch und schaffen es trotzdem in die Bioregale.
Der brasilianische Ernährungswissenschaftler Dr. Carlos A. Monteira hat dafür vor zwei Jahrzehnten den Begriff ultraprozessiert kreiert.
Es sind komplex verarbeitete Nahrungsmittel mit Chemikalien, die in einer Küche nie vorkommen. Inzwischen werden sie von der Wissenschaft offiziell als süchtig machend eingestuft2. Vermutlich ist es ihre von der Nahrungsindustrie festgelegte Rolle, im Übermaß verzehrt zu werden. Sie enthalten fünf oder mehr Inhaltsstoffe, die meisten mit unaussprechlichen Namen. Sie sind vorgefertigt und bequem, hochprofitabel, stark mit Geschmacksstoffen gepusht, erschwinglich und werden aggressiv vermarktet.
Eine grundsätzlich falsche Ernährungsweise wie die häufige Entscheidung für hochprozessierte Nahrungsmittel hat verheerende Auswirkungen auf das jeweilige Immunsystem. Sie haben einen höheren glykämischen Index, steigern den Blutzuckerspiegel und wurden 2019 von Epidemiologen an der Universität Paris mit einer Warnung vor Diabetes in Verbindung gebracht. Neben dem Inhaltsstoff Zucker weit vorne auch dort, wo es niemand vermutet, sind Substanzen mit bestimmten Effekten verräterisch: Maltodextrin, Maltose, hydrogeniert, umgeesterte Öle, Farbstoffe, Emulgatoren, Geschmacksverstärker, Süßungsmittel, Verdickungsmittel, Aufschäumungsmittel, Anti-Schaum-Substanzen, Geliermittel, Glanzmittel.
Viele Verbraucher nehmen bereits einen beträchtlichen Teil ihrer verzehrten Kalorien in ultraveränderter Nahrung zu sich.
Mit hochprozessierten Nahrungsmitteln sind Risikofaktoren für zahlreiche schwere Erkrankungen wie das Metabolische Syndrom – Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck, Herzleiden - verbunden. Treibender Faktor sind Entzündungen. Die Darmwände werden löchrig und permanent durchlässig. Fremdstoffe, Gifte und Krankheitserreger schlüpfen durch. Das löst Abwehrreaktionen des Immunsystems aus.
Auf den Punkt gebracht: Hochprozessierte Nahrung verändert die Darmflora schwer nachteilig für unsere Gesundheit.
2018 wurde durch eine Reihe von Studienergebnissen verstärkt darauf hingewiesen, dass Darmentzündungen hinter der weltweit alarmierenden Zunahme an neuen Formen von schwerer Depression stehen. Depression und Diabetes treten häufig gemeinsam auf, oft mit Übergewicht verbunden. Bei uns wird hochgerechnet, dass jeder Achte im Laufe seines Lebens an Depression behandelt werden muss.
Die Situation in den U.S.A. ist stärker erforscht als bei uns. Etwa 80 Prozent der konsumierten Kalorien stammen aus Fertigessen und Getränken aus dem Supermarkt, die überwiegend hochprozessiert und generell ungesund sind, laut einer Studie der „Northwestern Medicine“ vom 26. Juli 2019. Ihre Wissenschaftler analysierten 230.156 Produkte aus dem Supermarkt. 71 Prozent waren ultraprozessiert, darunter Brot, Salatdressing, Zwischengerichte, Getränke mit Geschmack und Süßigkeiten. Im Sortiment der 25 Branchengrößten sind sogar 86 Prozent der Waren in höchstem Maße denaturiert, also nicht annähernd noch in ihrer ursprünglichen Form.
Die meisten Menschen haben keine Ahnung, was dieser Kategorie ultraprozessiert hinzugerechnet werden muss. Häufige negative Beispiele: Hummus mit toxischen Eigenschaften in Bezug auf weiße Blutkörperchen; Pesto mit Überdosis Salz; dunkle Schokolade mit künstlichen Geschmacksstoffen; Frühstückszerealien mit hoher Last an Zucker oder Milchprodukte mit Farbstoffen, Süßstoffen oder dem umstrittenen Verdickungsmittel E407 Carrageen. Es ist der Müslimix am Morgen, die Mandelmilch im Kaffee, das süße Joghurt abends.
Während sich nur ein unbedeutender Teil der Öffentlichkeit über die Verlängerung der Zulassung für Glyphosat in der Europäischen Union erregt, bleiben beispielsweise in unserer Nahrung legal zugelassene Zerstörer von Nervenzellen absolut unbeachtet. Wissenschaftliche Bezeichnung: Exzitotoxine. Die bedeutendste Gruppe erscheint auf Lebensmitteletiketten unter irreführend-harmlosen Namen wie Aromastoffe, Hefeextrakt oder pflanzliches Protein.
Sie sind noch nicht einmal die gefährlichsten.
Transfette oder Transfettsäuren, abgekürzt TFS, sind die schädlichste Fettart überhaupt und haben mehr schlimme Wirkungen in unserem Körper als jeder weitere Nahrungsbestandteil. Laut einem Gesetzentwurf der EU-Kommission von 2015 sollen Transfette in Nahrungsmitteln ab 2021 nicht zwei Prozent der verwendeten Fettmasse überschreiten. Transfette sind industriell gehärtet und werden auch ungekühlt monatelang nicht ranzig. Das macht sie für die Nahrungsbranche so verlockend. Spitzenreiter wie fetter Blätterteig können bis zu 30 Prozent erreichen. In einzelnen Mitgliedsstaaten existieren bereits nationale Regelungen, nicht aber in Deutschland. Eine gefährliche Transfettquelle bilden industriell hergestellte und lose verkaufte Produkte ohne gesetzmäßiges Zutatenverzeichnis, wie zum Beispiel Backwaren oder frei verkaufte frittierte Lebensmittel. Es ist doppelt riskant, weil auch noch im Körper selbst durch Zigarettenrauch, Luftverschmutzung, Lösungsmittel und andere Fremdstoffe neben freien Sauerstoffradikalen aus gesunden Fetten eigene Transfette entstehen. Im Zusammenwirken mit oxidativem Stress fördern sie das Entstehen chronischer Krankheiten. Zu den Folgen von Transfetten werden Entzündungen im Körper, Gefäßveränderungen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes, Adipositas, Bluthochdruck und Alzheimer gerechnet.
Unseren Haushaltszucker nennen wir mit wenig Argwohn einfach Zucker, während diese Bezeichnung für eine Gruppe aus bis zu 70 verschiedenen Süßungsmitteln verwendet wird, die auf einem Nahrungsmitteletikette vorkommen können. Allerdings denkt bei Mannit, Sorbitol oder Maissirup kaum jemand an Zucker. Besonders der aus Maisstärke billigst herzustellende High Fructose Corn Syrup, abgekürzt HFCS, wird nahezu allen industriell produzierten Nahrungsmitteln kräftig zugemischt und gilt als eine der intensivsten Belastungen des Organismus überhaupt.
Zucker-Kohlenhydrate fördern die verstärkte Freisetzung von Insulin. Es ist als Vermehrungshormon nicht nur ein treibender Faktor für Fettleibigkeit und die stark zunehmende Krankheit nicht-alkoholische Fettleber. Krebszellen sind auf Zuckerernährung angewiesen, und sie werden mittels hochprozessierter Kost intensiv von nichtsahnenden Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gefüttert. Die damit verbundenen Risiken halten auch Weltmarken nicht davon ab, Zucker ausschweifend einzusetzen, selbst in Angeboten, wo niemand ihn vermutet, im täglichen Brot zum Beispiel, und in unvorstellbarer Dimension. 100 Milliliter Feigensenf können 84 Gramm Zucker und zuckerähnliche Substanzen enthalten.
Mit jedem Bissen versorgen wir den menschlichen Organismus mit lebenswichtiger Energie, aber oft zu selten mit essenziellen Nährstoffen für seinen Kampf gegen Krankheitserreger und für Millionen biologische Prozesse jede Sekunde in den elf Gruppen seiner Trillionen Zellen.
In seiner Geschichte stieß der Mensch auf viele tausend verzehrbare Pflanzen, aber er hat sich nur für wenige hundert entschieden, weil sie mit mehr Vorteilen verbunden sind als andere. Bis in das Mittelalter mussten Speisen auch Funktionen von Medikamenten erfüllen. Durch die Mechanisierung der Medizin verlor das Essen zunehmend seine Rolle als Element des Gesundbleibens.
Читать дальше