In der Chemie werden Moleküle gewöhnlich nicht nach Ähnlichkeiten bei ihrer Flüchtigkeit und nach ähnlichen Duftcharakteristika unterteilt, sondern gemäß ihrer funktionellen Gruppe. Für die Küchenanwendung ist das unpraktikabel, das System soll aber einmal vorgestellt werden. Die jeweilige Gruppe lässt sich oft an der Endung erkennen: Moleküle, die auf -ol enden, sind Alkohole, Ketone enden auf -on, Schwefelverbindungen auf -thiol. Diese Einteilung ist aber zu verschieden, als dass sie parallel zum Aromagruppen-System bestehen könnte.
ACHT PLUS EINE CHARAKTERISTISCHE MOLEKÜLGRUPPEN
Alle Duft- und Geschmackseffekte werden von einer Vielzahl mehr oder minder kleiner Moleküle bewirkt, wobei der Begriff „Vielzahl“ ernst zu nehmen ist. Tatsächlich gibt es zigtausend verschiedene Duftmoleküle, von denen wir als Menschen gar nicht alle wahrnehmen können. Man denke allein an die Gerüche, die beispielsweise in einem Weinkeller vorkommen oder in der Metro von Paris, in der es wiederum ganz anders riecht als in der Londoner Underground oder in der U-Bahn von Frankfurt am Main.
Viele der hier vorkommenden Verbindungen sind in höheren Dosen gesundheitsschädlich (Cumarin), sind ein Nervengift (α-Thujon) oder werden als toxisch eingestuft (Safrol). Allerdings ist die Konzentration dieser Stoffe in den Kräutern und Gewürzen sehr niedrig und die beim Würzen üblicherweise verwendeten Mengen derart gering, dass gesundheitliche Schäden unwahrscheinlich sind.
Doch zurück zur Küche: Jeder Koch, jede Köchin weiß, dass sich mit Kräutern und Gewürzen eine ganze Reihe von Charakteristiken des Gerichts steuern lassen. Wenn in älteren Kochbüchern etwa von „Aromaten“ die Rede ist, wussten die Zeitgenossen sofort, was damit gemeint war: Mindestens Rosmarin und Thymian, die sich mit ihren charakteristischen Gerüchen bestens eignen, Speisen in verschiedener Weise zu „aromatisieren“. Oder gleich ein ganzes Bouquet garni. Was aber, wenn es einmal darüber hinausgehen soll?
Systematisches Würzen und Abschmecken scheint der Herangehensweise vieler Menschen zu widerstreben, die Kochen vor allem als emotionalen, intuitiv geleiteten Vorgang und als Entspannung sehen. Dennoch erweist sich eine genauere Kenntnis der Duftstoffe in vielen Fällen als nützlich – nicht zuletzt, weil die in diesem Buch erstellten Gruppen versuchen, genau dieser Intuition noch immer genügend Raum zu lassen. Gleichzeitig eröffnen sich über die Prinzipien des Food-Pairings und des Food-Completings (
Seite 60) ganz neue und außergewöhnliche Kombinationen, wie sie bisher, je nach Kulturkreis, kaum eingesetzt werden. Tatsächlich erlaubt das Zusammenwirken kleiner Moleküle große Effekte auf den Tellern.
Die große Zahl der kleinen Moleküle, die in unterschiedlichen Kräutern und Gewürzen in mannigfaltigen Kombinationen vorliegen, erscheint auf den ersten Blick vollkommen unübersichtlich. Sie lässt sich aber aus Sicht der Chemie – mit kulinarischem Bezug – sinnvoll in acht plus eine Gruppe einordnen. Jede dieser Gruppen von Duftstoffen zeichnet sich einerseits durch ähnliche chemische Strukturen und andererseits durch einigermaßen klar abgrenzbare olfaktorische Eigenschaften aus, das heißt, man kann aufgrund der Gruppenzugehörigkeit schon erahnen, wie ein Aromastoff beziehungsweise ein Gewürz, das diesen enthält, wohl duften wird. Beim Würzen kann man sich also am Farbleitsystem dieser Gruppen orientieren.
Acht Gruppen beinhalten Duftstoffe – sie werden hier thematisiert. Die neunte Gruppe beinhaltet nichtflüchtige Stoffe, die nicht duften, sondern für einen Schärfereiz oder einen anderen trigeminalen Effekt verantwortlich sind (
Trigeminusreiz, Seite 13, Seite 50). Als Eselsbrücke dient die Nummer der Gruppe: Je höher sie ist, desto weniger flüchtig ist ein Duft, desto „schwerer“, „tiefer würzig“ riecht er und desto hitzebeständiger ist er. Ein Überblick über alle Aromagruppen findet sich auf Seite 32, hier werden sie im Detail vorgestellt.
GRUPPE 1: ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE – WACHSIG, GRÜN, PILZIG
(Z)-HEX-3-ENAL grün, grasig, wachsig, grüner Apfel
ETHYLBUTANOAT fruchtig, saftig, ananasartig, ein Hauch Cognac
Aliphatische Kohlenwasserstoffe bestimmen eine ganze Reihe von Grundaromen bei Lebensmitteln, Kräutern und Gewürzen. Meist handelt es sich um kurzkettige Fettsäuren und deren Abbauprodukte wie Aldehyde, Ester oder Alkohole. Außerdem hier eingeordnet sind längerkettige Aldehyde sowie eine ganze Reihe von Duftstoffen, die komplexer aufgebaut sind als die linearen Kohlenwasserstoffe. Die Duftstoffe dieser Gruppe sind leicht flüchtig oder wenig stabil. Daher gehören sie zu den „Kopfnoten“ der Lebensmittel und Gewürze. Will man die Aromen dieser Gruppe nutzen, sollte man die Lebensmittel frisch verwenden, nicht erhitzen und zügig verspeisen.
Duftende Moleküle dieser Gruppe kommen in sehr unterschiedlichen Lebensmitteln vor. So findet sich zum Beispiel das HEXANALin grünen Äpfeln, in Tomaten sowie in Olivenöl in unterschiedlichen Konzentrationen. Darüber hinaus ist es in Bananen, Trauben, Ananas oder in (grünen) Tees vorhanden und ebenfalls in den Blütenblättern vieler Blumen. Kein Wunder also, dass sich hieraus Ansätze zum
Food-Pairing ergeben.
GRUPPE 2: SCHWEFELVERBINDUNGEN – SCHWEFELIG, STECHEND
DIMETHYLSULFID schwefelig, zwiebelartig, kohlartig
METHIONAL knoblauchartig, gekochter Kohl, käseartig
Schwefelverbindungen bestimmen den Geruch von Zwiebelgewächsen, etwa Lauch, Schnittlauch, Zwiebeln oder den von Knoblauch. Schweflige Gerüche kommen in Senf, Zwiebeln, Knoblauch, Meerrettich oder Kressen vor. Diese typischen Aromen sind mitunter trigeminal in der Nase stechend und im Mund stark schmerzhaft kalt.
Schwefelige Geruchsstoffe wie DIMETHYLSULFIDoder METHIONALsind nicht nur auf Lauchgewächse beschränkt. Sie kommen in verschiedenen Kohlsorten, wie Blumenkohl und Rosenkohl, aber auch in Spargel, Mais oder Zucchini vor. Der Aromastoff 4-METHOXY-2-METHYL-2-BUTANETHIOLetwa ist nicht nur in vielen Weinen, sondern auch in Olivenöl für deren Fruchtnote mitverantwortlich.
GRUPPE 3: ACYCLISCHE TERPENE – ZITRUSARTIG, FRUCHTIG, BLUMIG
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