1 ...7 8 9 11 12 13 ...52 QUERCETIN bitter, adstringierend
Die Vertreter dieser letzten Gruppe sind für einen mehr oder minder starken trigeminalen Reiz verantwortlich. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen ist das der rein orale Effekt, der sich im Mund bemerkbar macht. Das CAPSAICINin Chilis sorgt etwa für brennende Schärfe, Gallussäure, Tannine oder z.B. QUERCETINverursachen einen adstringierenden, also „zusammenziehenden“ Effekt im Mund, wenn man Walnüsse isst. Des Weiteren wird diese Farbe „aktiviert“, wenn flüchtige Moleküle (und damit Aromen) aus einer der anderen Gruppen in dem betreffenden Gewürz einen spürbaren Trigeminalreiz auslösen. Dieser kann etwa stechend in der Nase, aber auch schmerzend kalt im Mund sein wie beim ALLICINim Knoblauch, oder auch kühlend wie es etwa das MENTHOLin der Minze auslöst. Übernehmen die Moleküle solche Funktionen, sind sie mit einem kleinen „T“ versehen.
FLÜCHTIGKEIT UND LÖSLICHKEIT
Alle Düfte sind mehr oder weniger flüchtig. Nur weil sie aus den Pflanzen austreten und in die Luft schweben, können sie überhaupt in die Nase gelangen und dort gerochen werden. Schwefelige und blumige Aromen sind sehr leichtflüchtig: Eine angeschnittene Knoblauchzehe etwa duftet sofort und sehr intensiv, ist aber schon nach kurzer Zeit „ausgeraucht“. Tiefe, erdige, warme Noten – etwa Gewürznelken – duften weniger stark, dafür länger anhaltend. Trotzdem: Irgendwann haben sich alle Aromen verflüchtigt und zurück bleibt eine leere Hülle.
Damit Düfte beim Kochen, Braten oder Backen im Gericht verbleiben und nicht in die Umgebung verdampfen, muss man den Molekülen ein gutes Lösungsmittel anbieten – wobei „gut“ in diesem Fall nicht nur die Löslichkeit meint, sondern auch, dass das Mittel außerdem wohlschmeckend und verträglich ist. Für den Gebrauch in der Küche qualifizieren sich daher nur Wasser, Fett und Ethanol, der hier der Einfachheit halber Alkohol genannt wird. Der Fachbegriff „Lösungsmittel“ umschreibt die Fähigkeit des „Festhaltens“: Die Moleküle der Flüssigkeiten bilden eine Schale um jedes einzelne Duftmolekül und trennen sie dadurch voneinander – daher der Begriff „lösen“. Auch an der Oberfläche trennt sie ein dünner Film aus Flüssigkeit von der Luft, sodass sie nicht so leicht davonschweben können. Im Mund werden sie dann retronasal wahrgenommen.
Chemisch betrachtet hängt Flüchtigkeit von drei Faktoren ab: Temperatur, Molekülgröße und Lösungsmittel. Je höher die Temperatur, desto höher ist die Molekülgeschwindigkeit und damit die kinetische Energie. Der Zusammenhang zwischen Hitze, Geschwindigkeit und Energie wird „thermische Energie“ genannt. Übersteigt diese Energie eine bestimmte Schwelle, dampfen Aromen ab. Lösungsmittel können das zwar verzögern, ab sehr hohen Temperaturen aber nicht mehr verhindern. Der Zusammenhang zwischen Flüchtigkeit und Molekülgröße, also dem „Molekulargewicht“ der Stoffe, ist chemisch nicht ganz eindeutig, weil die Vielfalt der Aromastoffe zu groß ist. Doch lässt sich feststellen, dass Moleküle, deren Anzahl an Kohlenstoffatomen unter 16 bis 20 liegt, flüchtig sind. Vereinfacht gesagt: Kompliziert aufgebaute Moleküle sind schwerer und daher weniger flüchtig. Das Lösungsmittel selbst ist ein weiterer wesentlicher Punkt. Öle und Fette lösen die meisten Aromen weit besser als Wasser. Die zähfließende Konsistenz von Öl ermöglicht es, Aromen auch bei höheren Temperaturen noch im Gericht zu halten.
Aus diesen chemischen Betrachtungen ergibt sich ein praktischer Tipp: Wegen der Flüchtigkeit vieler Aromen ist es besser, immer ganze Gewürze zu lagern. Die ätherischen Öle sind in feinen, winzigen, nur 100–500 nanometer großen Ölkörperchen in den Vakuolen der Zellen eingeschlossen. Beim Mahlen oder Zerschneiden werden diese Zellen zerstört, die Ölkörperchen platzen und die Aromen werden frei. In gemahlenen Gewürzen ist die Oberfläche der Körner um ein Vielfaches größer. Daher ist lang gelagerter Pfeffer am Ende nur noch scharf – der dafür verantwortliche Stoff Piperin ist nicht flüchtig –, während seine harzigen, holzigen und zitrusartigen Noten längst entwichen sind.
FAUSTREGELN FÜR DIE FLÜCHTIGKEIT
Je höher die Temperatur, desto schneller verflüchtigen sich Aromen. Kompliziert aufgebaute und schwerere sind weniger flüchtig als einfache. Das passende Lösungsmittel reduziert die Flüchtigkeit. Öle und Alkohole lösen Aromen oft besser als Wasser und sind dann weniger flüchtig.
VARIATION DURCH FLÜCHTIGKEIT
Die Schärfe des Pfeffers wird durch das nichtflüchtige Piperin bestimmt. Die feinen Aromen des frisch gemahlenen oder zerstoßenen Pfeffers, von würzig über harzig bis terpentinartig, verflüchtigen sich in den ersten Minuten nach dem Zerstoßen oder unter Hitze. Wird der Pfeffer gleich zu Beginn des Kochprozesses zugefügt, hebt man seine reine Schärfe hervor. Um dagegen die feinen Aromen zu betonen, muss man direkt vor dem Servieren noch einmal frisch gemörserten Pfeffer zugeben.
LÖSLICHKEIT 
Alle Aromen lösen sich in einem oder mehreren dieser drei Stoffe: Alkohol, Fett (ebenso Butter, Öl, Saucen oder etwa fette Joghurts) und Wasser.
LÖSLICHKEIT – UNLÖSLICHKEIT
Ein Teelöffel Salzwasser ist alles andere als köstlich. Aber obwohl sich Salz nicht in Öl löst: Ein Teelöffel Olivenöl mit ungelösten Kristallen von Fleur de Sel ist eine kleine kulinarische Offenbarung.
DIE LÖSUNGSMITTEL: WASSER, ALKOHOL, FETT
Die Wahl des Lösungsmittels hat unmittelbare Auswirkungen auf die Kochpraxis: Hohe Temperaturen oder lange Lagerung begünstigen das Abdampfen, daher ist es von Vorteil, eine ausreichende Menge an gutem Lösungsmittel während des Garens oder Lagerns zur Verfügung zu stellen. Wie gegensätzlich diese sind, lässt sich schon daran erkennen, dass sich Fett und Wasser selbst nicht mischen. Der Grund dafür liegt in ihren molekularen Eigenschaften. Wassermoleküle sind polar: Auf der Sauerstoffseite sind sie leicht negativ und auf der Wasserstoffseite leicht positiv geladen. Dadurch können sie hervorragend polare, also elektrisch geladene Stoffe lösen. Organische, also unpolare Aromastoffe lösen sich nur schlecht in Wasser, hier sind Fett oder Alkohol viel besser geeignet. Polare Stoffe hingegen, etwa Wasser, lösen sich nicht in Öl. Schwach polare, kleine Moleküle können sich aber in Alkohol lösen, Alkohol ist daher ein „Mittler“ zwischen Fett- und Wasserlöslichkeit.
WASSERbeziehungsweise seine Moleküle wirken ein wenig wie elektrische Ladungen: Ein positives und ein negatives Teilchen ziehen sich gegenseitig an. Polare Stoffe wie Salze, Zucker und Säuren integrieren sich perfekt in die Wechselwirkung zwischen plus und minus. Es ist allerdings nicht so, dass sich organische, unpolare Aromen überhaupt nicht in Wasser lösen würden, sonst gäbe es kein Rosenblütenwasser oder gar Flüssigrauch auf wässriger Basis. Auch dabei hilft die Polarität der Wassermoleküle: Sie orientieren sich immer so zueinander, dass einer positiv geladenen Wasserstoffseite ein negativ geladenes Sauerstoffteil zugewandt ist. Daher können unpolare Aromenverbindungen von einem „Wasserkäfig“ umschlossen und so im Wasser gehalten werden. Diese Käfigbildung funktioniert umso besser, je kleiner die Aromen sind. Dabei ist der Käfig jedoch kein permanentes Gebilde. Da die Wassermoleküle ständig in Bewegung sind und häufig ausgetauscht werden, sind sie durchlässig. Ein wichtiges Kriterium ist außerdem die Konzentration. Sobald sich zu viele der unlöslichen Stoffe im Wasser befinden, schließen sich diese zu größeren Tropfen zusammen. Werden die Tropfen zu groß, beginnen sie je nach ihrem spezifischen Gewicht zu sinken oder zu steigen. Moleküle, die in der Nähe der Wasseroberfläche sind, verflüchtigen sich zudem, denn die gasförmige Luft ist für diese unpolaren Stoffe ein weit besseres Lösungsmittel als das polare Wasser. Die Einbindung unpolarer Aromen in Wasser ist also sehr instabil. Man kann es den chemischen Strukturformen ein wenig „ansehen“, ob ein Stoff wasserlöslich ist oder nicht. So deutet beispielsweise das Auftreten von OH-Gruppen auf eine gewisse Wasserlöslichkeit hin, sofern der unpolare Teil des Moleküls nicht zu groß ist. Als Faustregel kann man festhalten: Abgesehen von Salzen, Zucker und Säuren sind Aromen in wässriger Umgebung meist weit flüchtiger als in Fett oder Alkohol gelöst.
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