Wilfried Metsch - Die Kunst des Aufstands

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Erstaunlicherweise existiert bisher keine umfassende Darstellung der militärischen Aufstandstheorie bei ­Engels und Marx. Wilfried Metsch zeichnet deshalb ihre ausführlichen Analysen von ­Revolutionsversuchen der Arbeiterbewegung nach und kommt zu einem über­raschenden Ergebnis: Engels entwickelt in seinen ­letzten Lebensjahren eine «neue revolutionäre Taktik», um angesichts der asymmetrischen Kampfbedingungen die Revolution erfolgreich durchzuführen. Er fordert nicht nur, dass die Revolutionierung der Armee/Streitkräfte unbedingte ­Voraussetzung der proletarischen Insurrektion ist, ­sondern dass der Anstoß zum Aufstand direkt vom revolutionierenden Militär ausgehen muss. So erst wird der Weg frei für Demonstrationen und Generalstreik – ohne Gefahr zu laufen, brutal niedergeschossen zu werden. Die Oktoberrevolution 1917, aber auch die Novemberrevolution 1918 bestätigen Engels' Ansichten.
Ebenso zeigt Metsch, dass Engels und Marx – lange vor Lenin und Mao Tse Tung – eine umfassende Guerilla-Theorie für antiimperialistische Befreiungskriege entwickelten. Nicht zuletzt wird gezeigt, wie hellsichtig Friedrich Engels die Bedingungen und Revolutionsfolgen eines drohenden Weltkrieges antizipiert.

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kritik & utopie ist die politische Edition im mandelbaum verlag .

Darin finden sich theoretische Entwürfe ebenso wie Reflexionen aktueller sozialer Bewegungen, Originalausgaben und auch Übersetzungen fremdsprachiger Texte, populäre Sachbücher sowie akademische und außeruniversitäre wissenschaftliche Arbeiten.

Nähere Informationen unter

www.kritikundutopie.net

Wilfried Metsch

DIE KUNST

DES AUFSTANDS

Studien zu Revolution, Guerilla und Weltkrieg bei Friedrich Engels und Karl Marx

eISBN 9783854767053 mandelbaum kritik utopie wien berlin 2020 alle - фото 1

eISBN 978-3-85476-705-3

© mandelbaum kritik & utopie , wien, berlin 2020

alle Rechte vorbehalten

Satz: Kevin Mitrega

Umschlag: Martin Birkner

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I: Die Kunst des Aufstands

II: Guerillakrieg

III: Friedrich Engels und der Erste Weltkrieg

»Nun ist der Aufstand eine Kunst« –

Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels

Vorwort

Politisch interessierte Menschen identifizieren nicht zu Unrecht die praktischen und theoretischen Aktivitäten von Karl Marx und Friedrich Engels anhand des Begriffs »Revolution« – also einer grundlegenden Veränderung der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Strukturen einer Gesellschaft. Ebenso impliziert dieser Revolutionsbegriff für viele, insbesondere für politische Gegner von Marx und Engels, den Inhalt von »Gewalt, Terror und Chaos«. Doch bei näherer Analyse wird man feststellen, dass bei ihnen weder eine dogmatische noch eine willkürliche Herangehensweise in Gewaltfragen vorliegt. Die Rolle der Gewalt in revolutionären Umgestaltungsprozessen ist bei Marx und Engels viel differenzierter ausgearbeitet, als weithin angenommen wird. Sie waren weder Pazifisten noch Gewaltapostel.

Revolutionen sind nach Marx und Engels wesentlich von ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Ursachen und Erscheinungsformen geprägt. Gewaltanwendung ist selbstredend ein Teilaspekt des Revolutionsprozesses. Da aber die Vernachlässigung der Rolle der Gewalt in gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen, in der Insurrektion, verheerende Folgen und Opfer für die Protagonisten und die revoltierenden Volksmassen zeitigen kann, fordern Marx und Engels, dass sich Revolutionäre unbedingt die »Kunst des Aufstandes« 1vorurteilsfrei und realistisch zu eigen machen müssen.

Insbesondere Engels stürzte sich in produktiver Arbeitsteilung mit Marx in umfangreiche militärische Studien, um die Umgestaltung der Gesellschaft – die Revolution – einerseits auf möglichst humane Weise ohne größeres Blutvergießen zu erreichen, anderseits aber auch, falls notwendig, für gewaltsame Auseinandersetzungen (Bürgerkrieg) gewappnet zu sein.

Im zweiten Teil unserer Abhandlung legen wir dar, wie Marx und Engels den asymmetrischen Befreiungskrieg, den revolutionären Volkskrieg/Guerillakrieg, gegen fremde Invasoren untersuchten und einschätzten. Mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert in Europa sowie dem Engagement der beiden für entstehende sozialistische Parteien rückten jedoch Formen der proletarischen Machteroberung vermehrt ins Zentrum ihrer Analysen und Ratschläge.

Merkwürdigerweise – obwohl die Frage einer vielleicht notwendigen gewaltförmigen Machterlangung eine wesentliche strategische und taktische Herausforderung für die Arbeiterbewegung darstellt – untersuchte bisher niemand umfassend die militärischen Ansichten und Erkenntnisse zum gewaltförmigen Revolutionsprozess bei Marx und Engels. Vielmehr dominieren in der sozialistischen Arbeiterbewegung, wenn überhaupt, bruchstückhafte und oft massiv aus dem Zusammenhang gerissene und verzerrte Aussagen zur militärischen Seite der Arbeiterinsurrektion, um Marx und Engels für parteipolitische Ziele oder interne Flügelkämpfe zu vereinnahmen und damit die je eingeschlagene Strategie und Taktik zu »legitimieren«.

Beatrice Heuser versteht in ihrem lesenswerten Buch über »Rebellen, Partisanen, Guerilleros« eindeutig »unter ›Aufstand‹ in der Regel eine Erhebung gegen ein verhasstes Regime (…) Ein Aufstand ist eine besondere Form des Bürgerkrieges, vermutlich die am häufigsten vorkommende, bei der auf der einen Seite das herrschende Regime steht, mit all seinen Institutionen (Polizei, Militär, Justiz, Steuerwesen…) und seiner Macht (die in der Regel die internationale Anerkennung mit einschließt) und auf der anderen Seite eine Gruppe, die die Autorität des Regimes in Frage stellt (…) Aufstände sind somit asymmetrische Bürgerkriege, in der die eine Seite zunächst alle oben genannten Instrumente der Macht in der Hand hält, die andere Seite hingegen keine.« 2

Zur Verdeutlichung des Begriffes »Asymmetrischer Krieg«, der heute in der Militärwissenschaft häufig für revolutionäre Kriegsformen/Gewalt benutzt wird, sollen hier wichtige Merkmale angeführt werden:

a)Es handelt sich um eine gewaltsame Auseinandersetzung zweier Kriegsparteien.

b)Eine Kriegspartei (die vorherrschende Macht) ist deutlich überlegen, ihr Widerpart deutlich unterlegen.

c)Die Überlegenheit bezieht sich auf militärisch relevante Faktoren wie qualitativ bessere Ausrüstung (Waffen, Ausbildung, Ressourcen usw.).

d)Die unterlegene Kriegspartei kann der Hochrüstung des Gegners nichts Vergleichbares entgegensetzen.

e)Die unterlegene Partei soll deswegen zunächst die direkte, offene Konfrontation (Schlacht) mit dem Gegner vermeiden (Kampfausweichung), um nicht vernichtet zu werden.

f)Die notwendige Schlachtvermeidung erfordert Raum zum Ausweichen/Rückzug, enorme Mobilität und/oder die Unsichtbarkeit der Kämpfer.

g)Ist dies nicht möglich, bleibt der unterlegenen Partei nur die statische Defensive (z. B. Barrikade). Das ist im Regelfall vorteilhafter für den hochgerüsteten Angreifer, da er die Initiative behält und den Gegner einkreisen kann.

h)Aufgrund der Ungleichmäßigkeit (Asymmetrie) der Kampfbedingungen dominieren deswegen bei den unterlegenen Kämpfern unkonventionelle und sogenannte unerlaubte Kriegsformen (Guerilla, Terror, Hinterhalt, …).

i)Das Untertauchen und Verschwinden der irregulären Kämpfer in der Bevölkerung verwischt zudem die Unterscheidbarkeit von Kombattanten und Zivilisten.

j)Die Kampfweise der qualitativ unterlegenen Kriegspartei ist damit gezwungenermaßen irregulär/unkonventionell (heimtückisch) und verletzt nach Ansicht der Herrschenden bestehende Kriegsnormen.

k)Deswegen wird diese Kriegführung irregulärer Kämpfer (Freischärler, Rebellen, Aufständische) von der Gegenseite als Banditentum klassifiziert.

Allerdings verschweigt Beatrice Heuser in ihrem Buch mit dem Untertitel »Asymmetrische Kriege von der Antike bis heute« nicht nur die Erkenntnisse von Marx und Engels hinsichtlich des antikolonialen Befreiungskampfes, 3sondern auch die umfassenden Analysen und taktischen Empfehlungen von Marx und insbesondere Engels zu Erscheinungsformen, Abläufen und Erfolgsaussichten gewaltförmiger proletarischer Aufstände im asymmetrischen Bürgerkrieg. Diese zentrale Lücke bei Heuser über die Rolle der Gewalt in Machterlangungsprozessen bei Marx und Engels soll unser Beitrag schließen, denn im 19. Jahrhundert schwebt der asymmetrische Bürgerkrieg stets in und über den Köpfen der entstehenden Arbeiterbewegung. So verwundert es nicht, dass Marx und vor allem Engels sich mehr als vierzig Jahre lang mit der Rolle der Gewalt in proletarischen Machterlangungsprozessen auseinandersetzen. Jehuda L. Wallach ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er schreibt, dass Engels »bahnbrechend« war für »das Konzept des Revolutionskrieges.« 4Allerdings unterscheidet er nicht präzise zwischen den verschiedenen Typen des asymmetrischen Krieges und vermengt deswegen die verschiedenen Kampfformen.

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