Wie können wir abwechslungsreicher und gezielter würzen und abschmecken, so dass ganz bewusst gewollte Assoziationen entstehen? Gibt es dabei so etwas wie eine einheitliche Harmonielehre?
Zumindest ist eine gute Kenntnis von Gewürzen, Kräutern, Schlüsselaromen und etwas Chemie sehr hilfreich – sie kann sogar essenziell sein. Nachdem im ersten Kapitel gezeigt wurde, inwiefern sich Geschmacksrichtungen und Duftgruppen unterscheiden und einteilen lassen, geht es nun direkt um die Würzpraxis am eigenen Herd. Wie können wir gezielt die Grundgeschmacksrichtungen beeinflussen, trigeminale Reize wie zum Beispiel Schärfe gekonnt einsetzen und schließlich das Ganze mit Hilfe von Düften systematisch verfeinern? Die Möglichkeiten scheinen fast unbegrenzt, wenn man einige ebenso einfache wie effektive Prinzipien beherzigt. Lassen wir Tradition und Experiment in unseren Kochtöpfen zusammenfinden!
WÜRZEN MIT REIZEN: GESCHMACK, SCHMERZ UND DUFT
Beim Würzen und Abschmecken muss unterschieden werden, ob der Geruchssinn angesprochen werden soll oder ob man das Geschmackserlebnis beeinflussen will. Beides sind verschiedene Dinge. Obwohl im Alltag meist pauschal vom „Geschmack“ der Speisen und Zutaten die Rede ist, bezeichnet dieses Wort eigentlich nur die Grundgeschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami – unklar ist noch, ob auch fettig dazuzählt (
Die Grundgeschmacksrichtungen, Seite 10). Sie können auf der Zunge wahrgenommen werden – und nur dort: Zucker oder Salz riechen nach nichts. Gerüche wiederum existieren in sehr großer Zahl, können aber nicht auf der Zunge geschmeckt werden: Ein Essen mit zugehaltener Nase wirkt fade (
Geruchssinn und Aromen, Seite 18). Schließlich existiert noch eine dritte Empfindung beim Essen: Temperaturreise, die im Mund als „Schärfe“ oder „Kühle“ wahrgenommen wird (
Seite 13, 50).
In jedem dieser drei Bereiche gibt es einige Grundregeln sowie jede Menge Tricks, die in der Sterneküche angewandt werden, aber auch zu Hause zu erstaunlichen Ergebnissen führen – und zwar oft auf recht einfachem Weg. In diesem Kapitel wird gezeigt, mit welchen Zutaten, Mitteln und Techniken man etwa süßt, salzt, säuert, bittert – oder wie aufdringliche Geschmacksnoten oder Geschmacksspitzen maskiert werden können, damit ein ausgewogener Gesamteindruck entsteht. Außerdem wird der richtige Einsatz trigeminaler Reize vorgeführt. Hinter diesem Begriff verbergen sich nämlich wichtige sinnliche Komponenten eines kulinarischen Erlebnisses, angefangen vom leichten Brennen, das Petersilie auslöst, bis hin zum pelzigen Zungengefühl, das man vom Genuss eines guten Rotweinseiner Tasse grünen Tees oder beim Kauen eines Walnusskerns kennt. Die dafür verantwortlichen Moleküle gehören nach der Einteilung dieses Buchs zur achten Gruppe, die im Lexikon an der Farbe Petrol zu erkennen ist. Als kleine Einführung in den Gebrauch des Aromenlexikons ist besonders der Abschnitt zur Duft-Würzpraxis zu verstehen, der das Grundprinzip des „richtigen“ Kombinierens erläutert: das Food-Pairing und das Food-Completing.
ABSCHMECKEN IN DEN GRUNDGESCHMACKSRICHTUNGEN
Die wenigsten Speisen vereinen in sich alle fünf beziehungsweise sechs Grundgeschmacksrichtungen, sind also gleichzeitig süß, sauer, salzig, bitter, umami – sowie fett. Doch empfinden wir Speisen, die mehrere dieser Reize auslösen, oft als ausgewogener, als wenn nur eine der Geschmacksrichtungen angesprochen wird. Die zu starke Betonung nur einer Richtung führt meist zum gegenteiligen Effekt, etwa einer versalzenen Suppe. Die Prinzipien des Würzens lauten hier: Ausgewogenheit und Hervorhebung.
Wie sich einzelne Geschmacksrichtungen gezielt steuern und beeinflussen lassen und was kleine Unterschiede dabei bereits ausmachen können, wird im Folgenden näher erklärt. Die Grundgeschmacksrichtungen süß und umami werden als sehr angenehm empfunden: Ihr Genuss muss nicht erst erlernt werden (
Geschmackssinn und Grundgeschmack, Seite 8) und sie brauchen auch nicht maskiert oder abgemildert zu werden. Bei den anderen Geschmacksrichtungen gibt es dagegen Tricks, um eine in diese Richtung übersäuerte oder verbitterte Speise noch zu retten.
ABSCHMECKEN: SÜSS
Das bekannteste Geschmacksmittel für die Grundgeschmacksqualität „süß“ ist Zucker. Neben kristallinem Haushaltszucker, Saccharose, gibt es eine ganze Reihe anderer bekannter Zucker: Fruchtzucker (Fructose) kommt häufig in Früchten und Gemüse vor, Traubenzucker – Glucose oder auch Dextrose genannt – ist die „Grundform“ des Zuckers. Aus diesem Zucker sind alle Stärken aufgebaut, die sich etwa in Kartoffeln und Weizen finden. Glucose spielt im Stoffwechsel eine zentrale Rolle und dient als Energielieferant für sehr viele zellbiologische Prozesse. Milchzucker oder Lactose ist den meisten ebenfalls vertraut: Er gibt Milch ihre leichte Süße.
Die Zucker unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur und haben demzufolge eine unterschiedliche Süßwirkung (
Süßkraft, Seite 371). Auch ihre Wasserlöslichkeit unterscheidet sie voneinander. Daher lassen sich mit den verschiedenen Zuckern nicht nur jeweils eigene, charakteristische Süßwirkungen hervorrufen, sondern auch vollkommen unterschiedliche physikalische Eigenschaften bei einer Speise erzeugen. Wird etwa ein Kuchenteig mit anderen Zuckern oder Süßstoffen statt mit dem im Rezept angegebenen Haushaltszucker zubereitet, verändern sich sein Knet- und Backverhalten sowie der Trieb. Zucker in Rezepten auszutauschen ist daher nicht nur eine Frage des Süßens, sondern auch der Wasserbindung.
SÜSSEN
ERYTHRITOL(meso-1,2,3,4-Butantetrol) ist ein süß schmeckender Zuckeralkohol mit einer Süßkraft, die dem Zucker vergleichbar ist. Er ist sehr verträglich, verursacht keinen Karies und hat keinen Brennwert. Er karamellisiert nicht und bildet ähnlich dem Mannitol beim Abkühlen kein Glas, sondern knusprige Kristalle.
INULINist ein Vielfachfruchtzucker. Unter Speisen gemischt, gibt er ein gutes, „fettähnliches“ Mundgefühl, daher wird er in einigen Diätprodukten oft als Fettersatz verwendet.
ISOMALTerzeugt wie viele andere Zuckeraustauschstoffe keine Karies. In der Patisserie spielt er eine ganz besondere Rolle: Er lässt sich bestens in warmem Zustand verarbeiten und karamellisiert erst ab ca. 270–280 °C. – ideal, wenn keine Karamellnote erwünscht ist. Sein Lösungsverhalten im Mund ist leicht „klirrend“ und erzeugt eine leichte „Kühle“. Er wird für die Herstellung von Lollis und Bonbons verwendet. Außerdem kann er in Speisen unerwünschte Bitternoten maskieren.
LÄUTERZUCKERbesteht nur aus Zucker und Wasser, im Verhältnis von 3:2. Ein paar Tropfen Läuterzucker in einer stark reduzierten Bratensauce wirken Wunder: Die oft wahrnehmbaren Bitterstoffe lassen sich so in den Hintergrund drängen, „maskieren“. Wird der Zucker-Wasser-Lösung während des Kochens etwas Säure zugegeben, bildet sich Invertzucker (
Zucker).
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