„Das ist Sache der Regie!“
Sonderbar! dachte ich. Ob sie wie ich das Leben als ein nicht eben kurzweiliges Theater faßt? — Als ich die Existenz von Po Gri, Häslein, Lola und die Möglichkeit, daß sie in die Erscheinung traten, streifte, verzog sie keine Miene. Ich suchte sie durch etwas weiteres Ausspinnen zu bewegen, Stellung zu nehmen, und sagte:
„Sie werden verstehen, Baronin, wie peinlich es mir ist, von diesen Dingen zu reden — aber sie müssen nun einmal besprochen werden.“
„Ich bin anderer Meinung,“ erwiderte sie. „Wenn man derartige Dinge taktvoll behandelt, braucht man kein Wort über sie zu verlieren. Läßt man es aber an dem nötigen Takt fehlen, so sind sie indiskutabel. Also schweigen wir.“
„Sehr richtig!“ stimmte Etville zu. „Mir ist ein Hochstapler mit guten Manieren lieber als ein Prolet mit Bomben-Charakter. Takt ist alles!“
„Wenigstens bei ungewöhnlichen Verhältnissen wie hier,“ erwiderte die Baronin. „Und darum ...“ Sie hielt inne und sah Etville und mich prüfend an.
„... möchten Sie wissen, ob wir Takt haben.“
„Ja!“ sagte sie glatt heraus. „An diese Bedingung möchte ich meinen Eintritt knüpfen.“
Etville, der in Gedanken schon Besitz von ihr ergriffen hatte, erschrak.
„Und in welcher Zeit“, fragte ich, „können Sie das feststellen? Dazu gehören vermutlich doch Wochen.“
„Augenblicklich,“ erwiderte sie. „Darf ich Sie bitten, mich den anderen Herren vorzustellen?“
Ich läutete. Wie stets, kam niemand.
„Viel Eindruck scheint es nicht zu machen,“ meinte Frau Inge.
„Was erwarten Sie, Baronin!“ erwiderte ich. „Beim erstenmal? — Das werden auch Sie nicht hineinbekommen —“ — Ich drückte ein zweites, ein drittes Mal auf den Knopf — und als ich eben, mehr aus Gene vor Frau Inge, die den Kopf senkte und zu lächeln schien, als aus Ueberzeugung, empört tat und hinausgehen wollte — da öffneten sich zu meinem Erstaunen alle vier Türen zugleich, und Burg, Fräulein Fleck, Nitter und Frida erschienen und fragten:
„Hat’s hier geklingelt?“
„Ja!“ erwiderte ich ... „Und zwar dreimal.“
„Ich dachte ...“ sagte jeder, und auf die Frage, was sie dachten, stellte sich heraus, daß sich wie üblich einer auf den anderen verlassen hatte.
„Sagen Sie den Herren, Frau Baronin von Linggen sei da! Sie möchten nach vorn kommen.“
Als erster erschien, eben dem Bad entstiegen, in langem, seidenem Schlafrock, Rolf. Er hatte die Klinke der Tür noch in der Hand, streifte Frau Inge nur mit einem Blick, fuhr ruckartig zurück, sagte:
„Verzeihung.“
und verschwand wieder.
„Gut!“ sagte Frau Inge, und ich erwiderte:
„Das fand ich auch.“
In der mittleren Tür, zu der wir mit dem Rücken saßen, erschien Töns und schob Frida, die sich eine Haushälterin ganz anders vorgestellt hatte und nun mit weitaufgerissenen Augen dastand und sie anstarrte, zur Seite, trat näher, lächelte verbindlich, sagte:
„Ah! die Baronin!“
beugte den Kopf und küßte ihr die Hand.
Ich stellte vor und fügte hinzu:
„Mit ihm werden Sie am wenigsten Mühe haben.“
„Ich hoffe, im Gegenteil, Baronin, Ihnen Mühen abnehmen zu können,“ erwiderte Töns und setzte sich mit einer kurzen Verbeugung zu Inge. Im selben Augenblick erschien Rolf, der sich mit Hilfe des Dieners schnell angezogen hatte.
„Ich hatte ja keine Ahnung ...“, sagte er und begrüßte sie in der gleichen Form wie Töns.
„Wovon hatten Sie keine Ahnung?“ fragte Frau Inge, obschon sie wie wir wußte, was gemeint war. Denn wenn er sich auch von Frau Inge ein anderes Bild als Frida gemacht hatte — so hatte er sie sich bestimmt nicht vorgestellt. Und daß ihn der Takt davon abhielt, ihr in dem kostbaren Seidenmantel gegenüberzutreten, dessen Zweck es grade war, auf Frauen zu wirken, zeigte deutlich seine Einstellung.
Rolfs nicht einfache Antwort auf Frau Inges Frage lautete:
„Daß Sie es sind.“
Sie lächelte und meinte:
„Das besagt nicht viel.“
Schließlich erschien auch Karl Theodor Timm. Er trug ein blauseidenes Hausjackett und die Scherbe im Auge.
„Schau an!“ sagte er, noch ehe ich ihn vorstellen konnte. „Sie also sind von Linggen?“ — Er besah sie etwa, wie man ein neues Stück Möbel betrachtet, von dem man weiß, daß man es täglich ein paarmal zu Gesicht bekommen wird.
Jetzt erst nannte ich seinen Namen.
„Ich weiß,“ sagte sie. „So ein Gesicht vergißt man nicht — zumal, wenn man ihm im Ausland begegnet. — War es nicht in Buenos Aires? — Oder ...? Halt! es kann auch zwei Jahre später in Yokohama gewesen sein.“
„Schon möglich!“ erwiderte Timm. „Was hatten Sie denn in Yokohama zu suchen?“
„Ich begleitete meinen Vater in einer diplomatischen Mission. Leider war ich noch ein halbes Kind und habe daher nicht viel davon gehabt.“
„Und nach Yokohama ausgerechnet zu uns?“ fragte Timm grinsend.
„Dazwischen liegt mancherlei,“ erwiderte Inge.
„Und nicht viel Angenehmes,“ ergänzte ich, in der Hoffnung, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. Aber Timm war wißbegierig:
„Immerhin von Yokohama bis zu uns ist ein weiter Weg.“
„Den ich Ihnen später vielleicht einmal erzählen werde,“ entgegnete Frau Inge. „Im Augenblick aber nicht.“
Ich erklärte, daß dazu auch keinerlei Veranlassung vorläge und daß für uns viel wichtiger wäre zu erfahren, ob sie nach nunmehriger Inaugenscheinnahme der fünf Junggesellen bereit sei, den ihr angetragenen Posten zu übernehmen.
Inge antwortete zunächst ausweichend:
„In einem Punkte will ich die Wißbegier Meister Timms befriedigen. Was allein im Leben für mich noch Reiz hat“, — wir horchten auf, Etville ganz besonders — „ist der Versuch oder der Sport — oder wie sonst Sie es nennen wollen — ungewöhnliche Situationen zu schaffen und ihrer Herr zu werden.“
„Dann sind Sie am richtigen Platz,“ sagte Rolf — weniger aus Ueberzeugung als aus dem Wunsch heraus, Frau Inge zu halten.
„Das Inserat hatte jedenfalls diese Wirkung. Nachdem ich nun das Vergnügen habe, Sie zu kennen“ — sie zögerte und fuhr dann fort und fragte: — „Darf ich offen sein?“
„Bitte!“ sagten wir.
„Nun, ein wenig an Reiz hat es für mich verloren.“
Wir machten alle fünf die denkbar dümmsten Gesichter, Karl Theodor Timm fiel sogar die Scherbe aus dem Auge. Nur Töns lachte laut und meinte:
„Sie haben uns aber schnell erkannt.“
„Das ist es!“ gab sie zu. „Viel zu schnell! Und das macht die Erfüllung meiner Erwartungen nicht grade wahrscheinlich.“
„So uninteressant sind wir Ihnen?“ fragte Timm.
„Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen,“ wich sie aus, „daß einer von Ihnen mich vor eine Situation stellt, die mir Kopfzerbrechen macht. — Wirklich nicht, Herr Timm! Selbst wenn Sie mich eines Tages bitten sollten, Ihnen bei der Zelebration der schwarzen Messe zu assistieren.“
Karl Theodor lächelte verächtlich und sagte:
„Ueber derart harmlose Vergnügungen bin ich längst hinaus.“
„Und doch bezweifle ich, daß Sie imstande sind, das einzige, wovor ich mich im Leben fürchte — und was ich oft schon glotzend wie ein Reptil heranschleichen sehe, von mir zu bannen: die Langeweile. Sobald die den Rachen aufreißt, um mich zu verschlingen, rette ich mich in ein besseres Jenseits.“
„Sie suchen also Sensationen?“ fragte Rolf.
Frau Inge sagte:
„Ja und nein! Es läßt sich schwer sagen! Denn es gibt kein Programm. Es sei denn, daß ich die Dummheit um jeden Preis fliehe, selbst da, wo sie mit Bergen Goldes und dem Paradies auf Erden lockt.“
„So dumm sind wir nicht, daß Sie vor uns zu fliehen brauchen,“ beteuerte ich.
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