Jupp Heynckes geht seufzend zu Bett. Das haben seine Bayern nicht verdient.
Beim Müsli am nächsten Morgen ahnt er, dass sein Freund Uli in den nächsten Tagen öfter mal anrufen wird. In München nämlich ist Land unter.
Die offizielle Verkündung erfolgt um 15:53 Uhr. 16 Zeilen unter der Überschrift „FC Bayern trennt sich von Carlo Ancelotti“. Verwaltungsprosa, wie sie üblich ist bei Trainerentlassungen, mit Sätzen wie: „Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbeginn entsprachen nicht den Erwartungen, die wir an sie stellen.“ Dazu ein bisschen Herzwärme vom Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge: „Carlo ist mein Freund und wird es bleiben, aber wir mussten hier eine professionelle Entscheidung im Sinne des FC Bayern treffen.“
Neutrale Beobachter sehen das auch so. Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) berichtet: „Der FC Bayern hat sich nach dem ernüchternden 0:3 gegen PSG von Trainer Carlo Ancelotti getrennt.“
Es gibt viele Gründe. Zum Beispiel „die Aufstellung von Ancelotti, der mehrere Stammkräfte auf der Bank ließ. Nach der Schlappe erklärte Klubvorstand Karl-Heinz Rummenigge: ,Das ist eine Niederlage, nach der wir auch Klartext reden und Konsequenzen ziehen.‘
Trainer Carlo Ancelotti muss gehen. Der Italiener war erst im Sommer 2016 als Nachfolger von Pep Guardiola zu den Münchnern gestoßen – und führte den Klub zum Bundesliga-Titel.
Doch in der neuen Saison sind die Bayern bislang unter den eigenen Ansprüchen geblieben. In der Liga belegt der deutsche Rekordmeister nach sechs Spieltagen nur Rang drei.“
Die aufmerksamen Schweizer Beobachter weiter: „Präsident Uli Hoeneß erklärte das Aus von Ancelotti nach 454 Tagen so: ,Der Trainer hat fünf Spieler auf einen Schlag gegen sich gebracht. Das hätte er niemals durchgestanden.‘ Er habe in seinem Leben gelernt, dass der Feind im eigenen Bett der gefährlichste sei, so Hoeneß.“
Was nun, Herr Hoeneß?
Es ist Donnerstag, der 28. September 2017. Der Rentner Jupp Heynckes macht mit Cando die Runde. Er unterhält sich mit seiner Frau über die Knie-OP. Heynckes macht Sport. Ihm geht es gut, sehr gut. Wie lange noch?
München, in den Tagen nach dem 0:3. Nichts ist wie sonst, wie auch? Normalerweise treffen sich die Entscheider des Vereins einmal in der Woche, um sich abzustimmen. Vereinsboss Rummenigge hat das im Interview mit dem Manager Magazin so beschrieben: „Jeder Vorstand bringt dann ein Update aus seinem Ressort. Die finanziellen Aspekte, Personal- und Stadionangelegenheiten werden besprochen, die Mannschaftsbetreuung und das Sponsoring. Nach den Updates diskutieren wir meist über Personalpolitik und Transferperspektiven. Im Fußball gehört es jedoch zum Geschäft, dass wichtige Angelegenheiten auch schnell per Zuruf über den Flur entschieden werden. Wir arbeiten also so strukturiert wie nötig und so flexibel wie möglich.“
Nun geht es bei den Bayern zu wie in einem Kommandostand nach verlorener Schlacht. Großer Schaden ist entstanden, größerer muss vermieden werden.
Dabei hat es sich noch zu Saisonbeginn prima angefühlt, beim FC Bayern das Ruder zu führen. Die Nachrichtenagentur dpa vermeldete: „Der deutsche Rekordmeister Bayern München ist in der weltweiten Fußball-Geldliga um einen Platz auf Rang vier geklettert. Die Münchner steigerten ihren Umsatz in der Saison 2015/16 nach Berechnungen der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte auf 592 Millionen Euro.“
Die Münchner, so die Nachrichtenagentur weiter, seien der einzige deutsche Fußballverein, der in der europäischen Spitze mithalten könne – schon zum fünften Mal in Folge rangierten die Bayern unter den Top Five.
„Neuer Spitzenreiter ist Manchester United, das mit 689 Millionen Euro Real Madrid (620,1) von Rang eins verdrängte. Die Königlichen rutschten auf Platz drei ab, Zweiter bleibt der FC Barcelona (620,2).
Der im Vergleich zur Vorsaison um 25 Prozent gestiegene Umsatz beim FC Bayern ist einem Plus an Einnahmen aus internationalen Fernsehverträgen der Bundesliga und verbesserten Deals mit Werbepartnern geschuldet.“
Das hörte sich gut an. Man würde größer, stärker, reicher – keine Frage. Zumal das Fußballunternehmen aus München bekannt ist für seine umsichtige Geschäftsführung. Uli Hoeneß, seit 1979 fürs Management verantwortlich, hat die Maßstäbe gesetzt. Der Schwabe agiert nach der Devise: keine Schulden!
Er hat einen grundgesunden Betrieb aufgebaut. Während die Italiener und die britischen Vereine sich immer wieder mal im Schuldenschlamm suhlen, schreiben die Münchner seit Menschengedenken schwarze Zahlen.
Vorsichtige Geschäftsleute sind sie an der Säbener Straße, wo der FC Bayern sein Zuhause hat. Hoeneß hat ihnen schwäbische Sparsamkeit und Vorsicht beigebracht. Sein Kollege und Nachfolger Karl-Heinz Rummenigge erklärt im Manager Magazin : „Wir kalkulieren immer mit dem Worst-Case-Szenario. Wenn wir Champions League spielen, dann hat mein Kollege in der Finanzplanung für das nächste Jahr nur die Einnahmen aus der ersten Gruppenphase im Budget. Wenn wir dann Achtelfinale, Viertelfinale spielen, sind das Zusatzeinnahmen. In der Bundesliga kalkulieren wir im Schnitt mit 50.000 Zuschauern, obwohl wir jetzt schon wissen, dass im nächsten Jahr jedes Spiel mit 66.000 Zuschauern ausverkauft sein wird.“
Als Mittelstürmer ist Rummenigge ein Feuerkopf gewesen, bereit zu jedem Wagnis – Hauptsache, er machte ein Tor. Als Entscheider des FC Bayern mahnt er Demut an: „Es wird in den nächsten Jahren nicht einfach werden, unseren Platz zu behaupten. Das wissen wir. Wir müssen also versuchen, im Transfermarkt vorausschauend zu agieren. Wir haben hier auch eine andere Philosophie, wir setzen auch auf Dinge wie Teamgeist und auf Geduld, um die Mannschaft zu entwickeln.“
In der Branche zieht man den Hut.
Die Bayern wissen, wie man Geschäfte macht. Marco Mesirca von der MFS (Münchner Fußball Schule) kennt sich aus im Business, er schreibt: „Der wirtschaftliche Erfolg ist absolut abhängig von den Leistungen der Lizenzspieler. Daher ist der Spielerkader des FC Bayern auf die Teilnahme an internationalen Wettbewerben, explizit an der UEFA Champions League, ausgerichtet. Eine Nicht-Qualifikation an diesem europäischen Wettbewerb hat unmittelbaren Einfluss auf das Betriebsergebnis, da insbesondere Anpassungen an den Ausgaben nur bedingt möglich sind.“
Alles hatte so rosig ausgesehen, zu Beginn der Saison 2017/18. Und nun hat Carlo Ancelotti das Team in die Gefahrenzone gesteuert.
Den Bossen sträuben sich die Haare. Und weil Hoeneß nicht mehr so viele Haare zum Sträuben hat, jagt sein Blutdruck in den Himmel.
Sie haben einen Interimstrainer. Willy Sagnol, der Co von Ancelotti, springt nach der Entlassung des Italieners als Übungsleiter ein. Er hat schon früh den Chefcoach kritisiert: „Pep Guardiola setzte drei Jahre die jungen Spieler immer wieder ein, Ancelotti verlässt sich nur auf die erfahrenen Profis. Da fehlt die Kontinuität. Die Münchner Mannschaft ist zu alt. Du kannst die Champions League nicht gewinnen, wenn du vier Spieler hast, die 33 Jahre und älter sind.“
Aber Sagnol ist nicht wirklich der Mann, den Hoeneß und Rummenigge wollen. Sie reden über Julian Nagelsmann (der Senkrechtstarter unter den jungen Wilden ist in Hoffenheim unter Vertrag), über Thomas Tuchel (toller Mann, momentan arbeitslos, aber in der Branche als – pardon! – Stinkstiefel verrufen), sie reden über Joachim Löw (aber der will definitiv 2018 mit der Nationalmannschaft Weltmeister werden) und Jürgen Klopp (ist sehr happy in Liverpool und will vorerst nicht zurück in die Bundesliga, vielleicht wird er ja Löws Nachfolger) …
Sie zerbrechen sich die Köpfe. Sagnol verliert mit Bayern sein erstes Spiel als Chefcoach …
… und plötzlich ist er omnipräsent: der Name Jupp Heynckes.
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