Anny von Panhuys
Roman
Saga
Mausi
© 1923 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711570463
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Wenn des blauen Himmels
helle Sternenpracht
sich im Neckar spiegelt:
Nimm dein Herz in acht,
süsses Mädel!
Wenn im Neckartale
mit dir scherzt und lacht
fröhlich ein Vandale:
Nimm dein Herz in acht,
süsses Mädel!
Wenn Studenten singen
durch die Vollmondnacht,
und die Gläser klingen!
Nimm dein Herz in acht,
süsses Mädel!
Doch es gilt das Fromme:
„Nimm dein Herz in acht!“
nie, wenn ich mal komme.
Dann heisst’s:
„Aufgemacht, süsses Mädel!“
Frau Reinhard rief mit lauter und derb klingender Stimme: „Mausi!“
Sie sass mit ihrem Manne bereits am Kaffeetisch und nachdem sie noch einmal „Mausi“ gerufen, sagte sie grollend:
„Aus dem Mädchen wird niemals eine gute Hausfrau werden. Statt den Tisch zu decken, sich nützlich zu machen, hockt sie sicher wieder draussen am Neckar und guckt den langweiligen Schleppkähnen nach, die hier vorbeikommen. Nein, im ganzen Leben wird Mausi keine gute Hausfrau!“ wiederholte sie.
Ein lauter Seufzer folgte und das volle Gesicht Frau Lina Reinhards sah sehr trübe dabei aus.
Ihr Mann antwortete nicht. In seinem Herzen aber klang es: Der Himmel möge geben, dass sein einziges Kind, sein liebes, süsses Mädelchen keine Hausfrau im Sinne seiner Gattin werden möchte.
Er wusste, wie sehr man oft unter den Vorzügen einer sogenannten guten Hausfrau leiden konnte. Ueber Poesie und Ideale hatte seine Frau mit Besen und Scheuertuch weggeputzt. Was ihm geblieben, war ein schäbiger Rest, ein wehes Erinnern an Jugendträume, ein kleines Hoffen, dass Mausi, seine Mausi vielleicht ein wenig Erfüllung dessen fand, was ihm das Leben schuldig geblieben.
Seine Frau meinte allerdings, er könnte mit dem, was er erreicht, zufrieden sein, denn „Baumeister“ war ein Titel, der Wichtigkeit und Würde verlieh.
Einst hatte er davon geträumt, ein Erster im Reiche der Baukunst zu werden. Kirchen und Paläste hatte seine Phantasie gesehen, die Kathedrale zu Burgos, der Dom zu Florenz, die kolossalen Prachtbauten Roms befruchteten sein Hirn und alles, alles verwehte und zerstob, sank in Trümmer, ehe noch ein Teilchen davon Wirklichkeit geworden, als er die schöne Lina Manroth freite.
Ein leichter Seitenblick streifte die Frau, die ihm eben Kaffee einschenkte.
War sie wirklich einmal so schön und reizvoll, dass er darüber alles vergass? Dass er darüber den Träumen seiner Jugend untreu ward und hier unterkroch als Baumeister, weil ihm seinerzeit hier in der Heidelberger Gegend gute Existenzmöglichkeit vorhanden zu sein schien. Längst war er sesshaft geworden, seit zwanzig Jahren. Er, der frei bleiben wollte, der frei schaffen wollte, dem die ganze Welt Heimat sein sollte.
Lina Manroth war gross und edel von Gestalt, ihr Gesicht von klassischer Reinheit gewesen, ihr Aeusseres musste jeden Künstler begeistern. Heute war sie dick und behäbig. Die Gestalt war breit geworden, die Züge verschwommen, und darüber lag der Ausdruck gediegen bürgerlicher Selbstzufriedenheit.
Reinhard nahm sich ein Brötchen und dachte, dass die Natur eigentlich sehr unvollkommen war. Menschen, die wie Lina Manroth ausgesehen, durften nicht alltäglich denken, sich nicht im Aeusseren zu Alltagsfrauen wandeln. Die Natur machte zuweilen Missgriffe oder böse Scherze. — Eben öffnete sich die Tür und im weitgeöffneten Rahmen, den jetzt goldener Sonnenglanz füllte, stand ein feines Persönchen, stand Maria Reinhard, von allen, die sie kannten, Mausi genannt, denn Maria passte nicht recht zu ihr, lag wie ein zu schweres und weites Gewand um sie herum.
Schlank war Mausi, o, so schlank, und das unregelmässige Gesichtchen war von bezauberndem Reiz. Weisse Zähnchen blinkten, grosse, blaue Augen strahlten, und um das schmale Köpfchen legte sich weichwellig, matt glänzend, hellbraunes Haar, bauschte sich in weichem Bogen über der weissen geraden Stirn, berührte in kosenden willkürlichen Löckchen die strichfeinen tiefdunklen Brauen.
„Aber Mausi, wo bleibst du nur? Was ist das für eine Art, uns warten zu lassen,“ grollte Frau Reinhard.
Mausi lächelte abwesend.
„Ach, Mutti, drei grosse Kähne fuhren neckaraufwärts und ich dachte, wie eigen es doch sein muss, auf so einem immer weiter ziehenden Heim zu leben. Ich denke es mir wundervoll, Tag für Tag auf dem Kahn zu sitzen und die Ufer langsam an mir vorbeigleiten zu lassen, alle die Häuser und Menschen. Wie wunderschöne heilige Sehnsucht muss das sein, wie immerwährende Sehnsucht. — Man träumt, was in den Uferhäusern vielleicht für Leid und Freude ist, und glaubt, dass in einem davon möglicherweise das Glück wohnt, das auf einen wartet. Aber man zieht weiter, muss immer weiter, träumt in den Himmel, sehnt sich nach Glück, und ist doch glücklich, weil Sehnsucht, tiefe Sehnsucht eigentlich schon Glück ist.“
Langsam und weich hatte das junge Mädchen gesprochen und ein Leuchten lag in den grossen blauen Augensternen.
Frau Reinhard schüttelte heftig und ärgerlich den Kopf.
„Nun trink erst mal Kaffee, Kind, und lass den dummen Schnickschnack, sonst meine ich, du bist nicht recht bei Troste. Schönes Leben, auf so einem armseligen Kahn herumzufahren durch eintönige Flüsse und schmale Kanäle. Das zweifelhafte Vergnügen würde dir bald über werden.“
Mausi schloss die Tür und setzte sich an den Tisch. Ihr gesunder junger Appetit liess es sich gut schmecken.
Sie lächelte ab und zu den Vater an, nickte ihm auch einmal heimlich zu, denn sie wusste, der Vater verstand sie ganz.
Frau Reinhard musterte die Tochter mit leichter Missbilligung.
Sie liebte das zarte, feine Dingelchen, wie eine brave Entenmutter vielleicht ein Schwänchen liebt, das sie ausgebrütet, ohne seine Art zu verstehen, sie liebte Mausi mit einem leichten Misstrauen, zerbrach sich zuweilen den Kopf, wie sie, die man in ihrer Jugend „Walküre“ und „Brünhilde“ genannt, zu diesem hauchfeinen Elfenprinzesschen gekommen.
Und wenn sie ihr auch viel nachsah, so zottelhaarig brauchte Mausi doch nicht herumzulaufen. Mit siebzehn Jahren ist man doch schliesslich kein Kind mehr.
„Mausi, du musst dein Haar noch einmal gründlich machen, ehe du zu Rohmers gehst,“ ermahnte sie.
Mausi nickte. „Natürlich, Mutti, sollst deine helle Freude haben. Ich tue Wasser auf Bürste und Kamm, dann sehe ich so ehrpusselig aus, dass ich mich selbst nicht wiedererkenne. Ungefähr so wie Klara Rohmer.“ Sie kicherte.
„Klara Rohmer sollte dir ein Vorbild sein, sie ist eins der bravsten und liebenswürdigsten Mädchen Heidelbergs,“ erwiderte Frau Reinhard betont, „sie ist wirtschaftlich eine Perle, und der Mann, den sie einmal heiratet, hat den Himmel auf Erden.“ Sie sah den Gatten an. „Es ist das Beste und wertvollste für jeden Mann, eine gute Hausfrau zur Seite zu haben.“ Ihr Blick ging zu der Tochter. „Eine gute Hausfrau zu werden, danach müsste jedes junge Mädchen streben. Aber du trippelst in die Küche, als solltest du zur Schlachtbank geführt werden, und deine Handarbeiten machst du immer nur halb fertig.“
Sie erhob sich, ging im Zimmer herum, blieb dann vor ihrem Manne stehen.
„Erwin, du bist der Vater, und Vatersein legt Pflichten auf. Ich werde mit Maria nicht fertig, sie hört nicht auf mich. Mach du ihr, bitte, klar, dass es die höchste Zeit für sie ist, sich auf ihren zukünftigen Frauenberuf vorzubereiten, denn Baumeister Reinhards Tochter will doch sicher keine alte Jungfer bleiben.“
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