Mausi war bei dem Namen „Maria“ zusammengezuckt. Uijeh, wenn die Mutter sie Maria nannte, war sie immer ehrlich unzufrieden mit ihr.
Der Baumeister blinzelte. Ach du lieber Himmel, er hatte gerade Lust, seinem Mädelchen eine Predigt über die Vorzüge einer zukünftigen guten Hausfrau zu halten, er, der an der guten Hausfrau litt wie an einer Krankheit.
„Mach ihr einmal den Standpunkt klar,“ drängte Frau Lina, „ich muss jetzt in die Küche.“
Wichtig und ganz Würde ging sie zur Tür, nickte von dorther ihrem Mann noch einmal zu: „Mit ihren jetzigen Eigenschaften kann Maria nie heiraten.“
Die Tür schloss sich hinter ihr.
Ein paar Augenblicke lang blickten sich Vater und Tochter stumm an, keiner wagte zu sprechen, ehe draussen auf dem Seitenflur die kräftigen Schritte Frau Linas verklungen waren. Dann aber sprang Mausi auf und mit einem kurzen Hinüberschnellen des feinen Körpers sass sie wie ein Kind auf des Vaters Knien. Wie ein Kindchen sass sie da, umschlang Vaters Hals, schmiegte sich eng an ihn.
„So, Väterchen, nun beginne, kanzele mich ab, sage mir alle die Wichtigkeiten, die Mutter von dir gesagt zu haben wünscht. Vielleicht ist doch noch nicht Hopfen und Malz an mir verloren.“
Schelmisch lachte sie zu ihm auf.
Auch der Mann lächelte, aber ganz anders, ganz anders als die Tochter. Wehmut lag auf dem Grunde dieses Lächelns.
„Liebste kleine Mausi, wozu reden, wir beide wissen ja, woran wir miteinander sind. Vielleicht ist’s nicht recht von mir, so völlig auf deiner Seite zu stehen, aber mir graut davor, dein Wesen mit der Schere des Zwanges zu beschneiden. Du steckst voll Sehnsucht bis oben und ich soll diese Sehnsucht von dir nehmen und dir erklären: Lerne einwecken und einen knusprigen Sonntagsbraten machen, sticke Tischläufer und rege dich über tausend kleine Alltäglichkeiten auf. Nein, nein, ich vermag das nicht.“ Er löste Mausis Arme von seinem Hals, nahm ihr Gesichtchen in beide Hände. „Kind, ich wäre der unglücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich wüsste, dein Wohl und Wehe hinge davon ab, eine tüchtige Hausfrau zu werden. Aber ich meine, wo es nun mal nicht darin liegt, hat kein Zwang Sinn. Wenn du einmal einen Mann lieben wirst, dann lernst du rasch, was dir noch mangelt, um ihm das Heim froh und gemütlich zu machen. Ich habe vielfach gefunden, gerade Frauen, die als junge Mädchen nicht besonders küchensicher waren, wurden die besten Hausfrauen. Nur nicht in Küchentopf und Scheuereimer das Höchste im Leben sehen.“
„Wie Mutter,“ flüsterte Mausi ganz leise.
Erwin Reinhard nickte. „Ja, Kind, wie Mutter. Sieh, Hausfrauen wie Mutter gelten bei ihren Mitschwestern etwas, und ich kann mir nicht helfen, so gerne ich gut esse und in einer sauberen Wohnung hause, zuweilen denke ich, lieber manchmal eine angebrannte Suppe, ein Stäubchen auf den Möbeln, als soviel Nüchternheit.“
Mausis Augen glitzerten verdächtig. Sie wusste genau, wo den Vater der Schuh drückte, ahnte, dass sein Ehrgeiz das Fliegen verlernt, weil die Mutter ihn eingezwängt in die enge Kiste ihrer selbstzufriedenen Hausfrauentugenden. Ihr liebes, gutes Väterchen wollte einmal ein grosser Baumeister werden und sass nun fest an eine enge Scholle gebannt, beratschlagte mit den Stadtvätern vieler kleiner Nester neckarauf- und neckarabwärts, ob man die alte Schule umbauen solle und ob das Stückchen Garten, das beim Krämer bis auf die halbe Strasse vorsprang, von der Gemeinde mit Zwang zu beanspruchen wäre.
Wein, edlen Wein hatte Väterchen trinken wollen, Zuckerwasser hatte ihm das Leben gereicht, abgestandenes Zuckerwasser.
Sie küsste den Vater mit hingebender Zärtlichkeit.
„Ich bin froh, von dir nicht auch so geplagt zu werden wie von der Mutter. Ach, ich lese so gern, ich träume so gern, mein Klavier liebe ich und die bunten Farben, mit denen ich male. Ich liebe meine Stimme, weil ich so gern singe, und wenn ich ins Theater gehe, erlebe ich alles mit und bin die Heldin all der Stücke, die ich sehe. Dazu liebe ich meine Verse, denn wenn ich übervoll von Sehnsucht bin, dann fliessen sie mir ganz von selbst aufs Papier.“ Sie lächelte. „Ich bin eben so ein recht überflüssiges Ding, dilettiere in allen Künsten herum und beherrsche keine.“
Reinhard schüttelte leicht den Kopf.
„Du bist noch jung, Mausi, kannst noch Ziele erreichen, nimm eine Kunst ernst, dann wird der Lohn nicht ausbleiben. Talent hast du fast zu allem, Kind.“
Mausi sprang auf und lachte hell und zündend.
„Also bin ich in deinen Augen ein weiblicher Michelangelo.“ Sie sah an sich nieder: „Zwergkönigin Mausi als weiblicher Michelangelo, ein guter Witz.“ Sie wurde gleich wieder ernst. „Weisst du, Vater, am liebsten möchte ich Schauspielerin werden, das lockt mich gewaltig, aber Mutter gibt das niemals zu, und vielleicht ist meine Figur auch ungeeignet. Und so werde ich wohl, wie alle meine früheren Mitschülerinnen, daheim hübsch brav auf den Mann warten müssen. Ach, du, Vater, ich halte es zuweilen gar nicht mehr aus in dieser viereckig abgezirkelten Langweile unseres Bekanntenkreises.“ Sie seufzte. „Jetzt muss ich zu Klara Rohmer, sie hat mich zu sich gebeten, will mit mir eine Ueberraschung zum Geburtstag ihrer Mutter besprechen.“ Sie nahm des Mannes Hand. „Auf Wiedersehen, Väterchen!“
Schon war sie hinaus und pfeifend wie ein Bub stürmte sie die Treppe hinauf, um sich in ihrem Zimmerchen zum Ausgang zurechtzumachen.
Erwin Reinhard blieb versonnen zurück. Welch ein quirliges, buntschimmerndes Falterchen war seine Tochter, steckte voll Traum und Phantasie bis oben und stiess sich mit ihrer Sehnsucht vielleicht einmal an den engen Schranken ihrer Umwelt wund und müde wie er.
Eben verliess sie das Haus, in leichtem Tanzschritt war sie über den Flur gehüpft.
Er trat ans Fenster, blickte ihr nach.
Wie wunderfein war doch sein Mädelchen! Das lichtblaue Kleid mit der weissen Rankenstickerei stand ihr gut und das einfache Matrosenhütchen gab dem ganzen zierlichen Persönchen einen kecken, unternehmenden Anstrich. Die hellbraunen Löckchen wehten im leichten Sommerwind. Beschwingt und rasch war ihr Fuss.
Ein Schleppkahn kam schwerfällig heraufgefahren, ein rauhhaariger Hund stand an der Achterseite und bellte. Eine Frau hing Wäsche zum Trocknen auf.
Reinhard sah sein Mädelchen stehen bleiben, der Frau auf dem Kahn zuwinken.
Die Frau achtete gar nicht darauf, nur der Hund bellte bösartiger.
Reinhard lächelte. Was wusste die verarbeitete Schiffersfrau, was der kläffende Köter von den Sehnsüchten Mausis.
Baumeister Reinhards kleines Häuschen lag im Stadtteil Neuenheim, jenseits des Neckars am Hang des Heiligenberges, und Mausi wanderte leichten Schrittes am Ufer entlang bis zur alten Brücke. Mitten drauf blieb sie stehen, sah zurück und dann vor sich, und am liebsten hätte sie die Arme weit ausgebreitet, um den ganzen wonnigen Zauber des Sonnentages, der über der herrlichen Landschaft lag, in ihre Arme zu pressen.
Sie lächelte. Ihre kurzen, schmalen Mausiarme konnten nicht viel umfassen, aber ihre schönheitsdürstenden Augen vermochten das bezaubernde Bild, das sich ihr bot, voll und tief in sich aufzunehmen.
Sie ging langsam weiter und verweilte dann vor dem prachtvollen Standbild des Kurfürsten Karl Theodor, der die schöne Brücke erschaffen liess. Im Fürstenmantel, die Hand, die eine Rolle hält, herrisch und befehlend ausgestreckt, steht die mächtige Gestalt Karl Theodors da und sein Blick, sein lebendig scheinender Blick grüsst das Schloss der Ahnen.
Zwei Studenten kamen Mausi entgegen, sie trugen die weissen Stürmer der Saxo-Borussen. Sonst war niemand weit und breit zu sehen. Der eine Student sang leise und doch klar verständlich vor sich hin:
Alt-Heidelberg, du feine,
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