Du Stadt an Ehren reich,
Am Neckar und am Rheine
Kein’ andere kommt dir gleich.
Sie schienen beide in gehobener Stimmung und lächelten dem anmutigen frischen Mädchen zu, das da mitten auf der Brücke stand und verzückt zu der mächtigen Gestalt des einst so lebenslustigen Kurfürsten emporschaute.
Sie machten Halt vor Mausi und der Schlankere trat noch um einen Schritt näher an sie heran und neckisch sang er:
Stadt fröhlicher Gesellen,
An Weisheit schwer und Wein,
Klar ziehen des Stromes Wellen
Blauäuglein blitzen drein.
Er grüsste. Doch der Gruss war fast ein bisschen zu tief, um ernst gemeint zu sein. Eine weiche Männerstimme sagte leise: „Süsses Kind, Sie haben die schönsten Blauäuglein, die ich bisher gesehen. Mein Herz ist zur Zeit frei, so ein berückendes Liliputchen wäre die rechte Einquartierung.“
Mausi musste sich zusammennehmen, um nicht laut aufzulachen, so komisch fand sie den flotten Saxo-Borussen. Aber ihr fiel ein, dass eine wohlerzogene junge Dame sich anders benehmen muss. Und so gab sie denn gar keine Antwort, sondern schlüpfte in weitem Bogen an den zweien vorbei, ging dann starr und steif, ganz eingezwängt in ihre solide Höhere-Töchter-Schulbildung und die diversen mütterlichen Ermahnungen schnell weiter, dem Heidelberger Ufer entgegen.
Aber das Gesicht des Kecken ging mit ihr. Seine hohe Gestalt schien sich an ihrer Seite zu halten.
Hübsch war der Saxo-Borusse und männlich, sie konnte sich nicht erinnern, ihm schon jemals in Heidelberg begegnet zu sein Aber sie kam ja auch nicht allzuviel fort. Sicher war er Student im älteren Semester, ebenso wie sein Begleiter. Rassige Züge hatten beide gehabt.
Nun, beim Korps der Saxo-Borussen waren die Söhne der vornehmsten Familien.
Die beiden Studenten waren auch weitergegangen in der Richtung, aus der Mausi gekommen, und der grössere von ihnen blieb noch mehrmals stehen, wandte sich, musste aber erkennen, dass die Zierliche, Wunderfeine sich nicht ein einziges Mal umwandte.
„Ein süsser Fratz, nicht wahr?“
Der um einen halben Kopf kleinere Begleiter lächelte leicht.
„Ja, ein niedliches Ding, aber für meinen Geschmack zu winzig, die kleine Dame.“
Der andere antwortete nicht und er sann, wer wohl das braunlockige Mädelchen sein mochte, das liebliche Menschenkind war ihm noch niemals aufgefallen, und er pflegte hübsche junge Mädchen sehr genau zu betrachten. Möglich, dass sie hier fremd war, vielleicht auf Besuch hier weilte.
Sein Begleiter blickte ihn von der Seite an, riss ihn aus seinem Nachdenken:
„Franz-Ferdinand, lieber Vetter und Korpsbruder, muss ich dich daran erinnern, dass für unsereiner, nicht jede hübsche Blume blüht? Heute weniger als früher, denn ob wir arbeiten und lernen wie die bürgerlichsten Bürger, das Misstrauen umschnuppert uns ständig. Wenn irgendein leichtsinniger Student einem Mädel von Liebe spricht und es dann verlässt, findet keiner was dabei. Es ist eben eine alte Geschichte! Unsereiner soll aber gleich mit dem Trauring antreten, sonst heisst’s: Natürlich wieder so’n Junker!“ — Er lachte: „Gib dein Herz leichten Weibern oder heb es auf für die künftige Gemahlin, Franz Ferdinand.“
Der grössere seufzte, dann lachte er:
„Hast recht, Ulrich, doch nun voran, sonst kommen wir zu spät nach Handschuhsheim zum Schoppen.“
Er schob seinen Arm in den des Vetters. Die Augen in dem gebräunten Antlitz, dessen Wange ein paar scharfe Narben zeigte, blitzten jung und froh.
„Ach, Ulrich, die Zeit hat sich allerdings für Menschen wie wir beide riesig geändert. Aber ich denke nicht allzuviel darüber nach. Jetzt will ich die kurzen Studentenjahre ausnützen bis zum Schluss, will bis dahin vergessen, dass irgendwo ein altes Schloss liegt, in dem mein alter Herr und meine alte Dame der neuen Zeit gründlich grollen, und will bis dahin vergessen, dass ein kleines Thrönchen umstürzte, auf dem ich einmal sitzen sollte, und ein Krönlein zu Boden fiel, das ich einmal tragen sollte.“
Der andere nickte ernst:
„Ja, Franz-Ferdinand, wollen sie nützen, die Studentenjahre — fröhlich und arbeitsfroh. Um uns liegen Trümmer, aber unsere Füsse sind noch jung, wir steigen darüber hinweg, unsere Arme sind kräftig, wir bauen neu auf.“
Mausi hatte längst die Brücke überschritten und eilte sich nun ein wenig, um zu Klara Rohmer zu kommen, die am Kornmarkt wohnte. Sie ging am Holländerhof vorbei, an dem alten Haus, das ehedem im 16. Jahrhundert Heidelbergs einzige öffentliche Schule gewesen, und bog dann, einem plötzlichen Impulse folgend, in die enge alte Haspelgasse ein, machte Halt vor einem der kleinsten Häuschen dort, das blendend weiss getüncht, blitzblanke Scheiben zeigte und sich dadurch vorteilhaft von seiner verwitterten Umgebung abhob.
Klara Rohmer mochte warten! Sie verspürte jetzt nicht die mindeste Lust nach einer Plauderstunde mit der glattgescheitelten Justizratstochter.
Die Unterhaltung mit dem Vater spukte noch in ihrem Kopfe nach, das Bild des demütigen Saxo-Borussen hatte sich auch darin festgehängt. Sie musste jetzt mit einem warmherzigen Menschen sprechen.
,Marianne Dieter‘, stand auf einem glänzenden Kupferblättchen, neben dem der ebenso blank geputzte Knopf einer Schelle zu sehen war.
Maria Reinhard blickte sich um, niemand war in der Nähe.
Sie nickte befriedigt vor sich hin. Besser, man sah sie nicht in das Häuschen eintreten, denn die Mutter liebte ihre Besuche bei der alten Frau Dieter gar nicht. Sie hatte so viel, viel zuviel an Marianne Dieter auszusetzen. Dass sie einst Schauspielerin und zweimal verheiratet gewesen, dass sie in der schlichten, alten Haspelgasse wohnte, immer lächelte und stolz war auf die grossen Brillantohrringe, die ihr einmal ein exotischer Potentat für ihr Spiel geschenkt hatte.
Maria Reinhard drückte auf den Schellenknopf. Schon öffnete ein kleines Dienstmädchen, gleich darauf sass Maria in einem altmodischen, aber überaus behaglichen Zimmer Marianne Dieter gegenüber.
Niemand hätte in dieser Gegend eine derartig geschmackvolle Einrichtung vermutet.
Die Decke des Zimmers, in dem die Hausfrau Maria Reinhard empfangen, war sehr niedrig, aber doppelt schwer und kräftig wirkten deshalb die prunkvollen Rahmen schöner alter Gemälde. Grünsamtene Sessel von gefälligen Formen standen umher und Palmen breiteten ihre grossen Fächer über stille, blendende Marmorfiguren.
Marianne Dieter hatte ein feines, schmales Gesicht und nachtdunkle Augen unter der Fülle des schneeweissen Haares. Die sauber und gleichmässig gerollten Haarpuffen mochten wohl nicht alle am Kopfe festgewachsen sein, aber sie kleideten, und darauf kam es der einstigen Schauspielerin an.
„Jede Frau soll so schön als nur möglich aussehen,“ pflegte sie zu sagen, „ob Natur oder Kunst, ist gleich, auf die Wirkung kommt es an.“
Sie blickte das junge Mädchen forschend an.
„Nun, Mausi, wo fehlt es denn heute? Sie fühlen sich sicher mal wieder in ihrer Haut nicht wohl und irgend etwas bedrückt das Herzchen. Ist’s nicht so?“
Eine feine Hand streichelte die Rechte des jungen Mädchens.
Mausi zuckte die Schultern.
„Ach, ich weiss selbst nicht, was mit mir ist, liebe Frau Dieter, ich weiss nur, dass ich mich totsehne nach einer Beschäftigung, die mich völlig in Anspruch nimmt. Mutter will mich in die Küche stopfen, Vater sagt, ich solle nicht in allem herumdilettieren, sondern eine Kunst ernst nehmen, und ich weiss und fühle, mein Können und Wollen wird niemals gleich stehen. Stets werde ich mehr wollen als können. Die einzige Kunst, die mir wohl geben könnte, was ich erhoffe, die all mein Sehnen stille machen könnte, ist nichts für mich.“
Frau Dieter lächelte. „Schon gut, Mausi, ich kenne das Sehnen. Schauspielerin möchten Sie werden, Mausi, und wissen doch ganz bestimmt, Ihre Mutter würde sich bis aufs äusserste weigern, Sie Komödiantin werden zu lassen.“
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