„Ah — kleiner Freund — schön, dass Sie kommen —“ lächelte Leutnant Meerfeld Lutz an.
„Ich soll von Wynfrith grüssen,“ sagte Lindolf.
„Hast den besten Kompagnieführer im Regiment erwischt, Junge.“
„Weiss ich.“
Und sie begannen von Wynfrith zu schwärmen wie zwei Freundinnen über den Verlobten der einen.
„Was ist Wynfrith in Zivil?“
„Direktor in einer Anilinfabrik.“
„Und Sie?“
„Ich? Gar nichts. Ein Luftikus.“
„Na, na —“
„Mein Vater hat viel Geld. Ich studierte so pro forma Jura.“
Lindolf sah auf Meerfelds Brust. Da hing ein silbernes Kreuzchen aus der Uniform.
Meerfeld folgte dem Blick, wurde rot: „Oh — von meiner Mutter —“ Er barg das Kreuz unter der Uniform.
„Glauben Sie an Gott?“
„Ich bin katholisch.“
„Ja — aber — lebt Gott —?“
„Ich bete zu ihm, weil das fröhlich und gut macht,“ sagte Meerfeld.
„Ich kann nicht beten.“
„Du — Junge? Du betest ja immerfort mit deinen Kinderaugen. Du bist noch nicht schlecht genug, um beten zu müssen. Ich Bummler und Lumpenhund —“
„Aber, Herr Leutnant —“
„Wir waren Schweine, Kanaillen im Frieden. Hochnäsig. Gemein.“
„Sie?“
„Ja. Auch ich. Die Sappe macht mich gut. Jede Granate ist wie das heilige Sakrament für mich.“
„Sie sind ein Held.“
„Quatsch.“
Ein Unteroffizier kroch herzu.
„Na, Tulbe? Das ist Wynfriths kleiner Melder. Und das ist der dicke Tulbe, der immer auf die Sandsäcke steigt und Granaten schmeisst, wenn es am schlimmsten wird.“
Sie drückten sich die Hand.
„Wat los?“ fragte Meerfeld in der Sprache seiner Leute.
„Nee.“
„Zigarre?“ Tulbe nahm, Lindolf lehnte ab.
Plötzlich begann Meerfeld zu singen:
„Winterstürme wichen dem Wonnemond —“
Laut und stolz wie ein Opernsänger. (Er wollte es werden, aber der Vater Kommerzienrat im rheinischen Industriegebiet hatte es verboten.)
Bsching —
„Fresse halten!“ schrie einer hinein.
Meerfeld brach ab. „Er hat recht — hat wer was abgekriegt?“
„Halt die Schnauze!“ kam es von neuem zurück.
„Na, dann ist alles in Ordnung,“ lachte der Leutnant.
Und nun sassen sie stumm und tranken Kaffee mit Rum und knabberten Zwieback aus einem Leinenbeutel.
Kameraden — — —
Dann und wann ein Wort.
Dann und wann ein Schuss in der Nähe.
Plötzlich aber —
Getöse!
Lindolf sprang mit dem Ruf: „Dicke Luft, ich gehe!“ heraus, lief fort.
Meerfeld und Tulbe blieben sitzen. Tulbe schrie nur: „Das sind ja deutsche Granaten! Lehwald soll die Leuchtpistole abschiessen: Grün! Artillerie schiesst zu kurz!“
Lehwald schoss die grüne Kugel in die Luft.
Bsching — bsching — wieder in die Sappennähe.
„Verfluchte Hunde! Pennen wieder —“
— — — — Orkan — — — —
Aber schon schliefen sie, ehe sie’s hörten. Als zehn Minuten später Leutnant Wynfrith, auf den Höllenlärm zu Hilfe eilend, mit zwanzig Mann, darunter Lindolf und Bernöckel, Pechtler und Töz, die Sappe besetzte, da fanden sie dreissig Leichen, zerfetzt, noch blutend, mancher noch zuckend — — und auch der lustige Leutnant Meerfeld.
Hier lägst auch du — — sann Lindolf. Leutnant Meerfeld hatte nur eine kleine Wunde an der Schläfe.
Die deutschen Granaten waren in das Handgranatenlager der M.G.-Kompagnie eingeschlagen. Auf der Sandsackbarrikade tobte es, Franzosen und Deutsche, Auge um Auge.
Die Deutschen blieben oben.
Aber der tapfere fröhliche Führer war tot.
Und Lindolf erhielt die Leuchtpistole aus der Hand des toten Lehwald.
Er schoss eine grüne Rakete nach der andern in die Höhe. Endlich liess die deutsche Artillerie davon ab, ins eigene Lager zu schiessen.
„Irrsinn — Irrsinn“ flüsterte Wynfrith und deckte seinen Mantel über den völlig verstümmelten dicken Tulbe. Und streichelte Meerfeld, den Freund.
Lindolf legte sich in einen Granatentrichter: Nun war er in der Sappe. Ganz vorn. Der Feind auf Rufweite. Tote ringsum. Lieber Leutnant Meerfeld — — aber da schlief er ein. Und die Granaten wanderten über ihn.
Lutz wachte so richtig erst auf, als sie in Stenay, ihrem neuen Ruhequartier, einmarschierten und es plötzlich flüsternd hiess: Da ist er!
„Achtung!!“ erschollen die Kommandos. Mechanisch begann jeder, auf den Kasernenhofton noch genügend eingefuchst, die Beine zu schmeissen: „Augen rechts!“
Der Major Graf Böchlarn ritt auf ihn zu, meldete —
„In Gruppen rechts schwenkt — marsch!“
„Das Gewähre — ab!“
Der Kronprinz ritt die Front entlang. Er sah jedem ins Gesicht. Blieb da und dort stehen und fragte nach dem Namen, und wie lange draussen. Er sah keineswegs so bösartig aus wie sein Name, den er für die Kämpfe vor Verdun und seine Totenkopfhusarenmütze, schief übers linke Ohr, bekam: General Massengrab. Er sah sogar recht gutmütig und harmlos aus. Wie ein etwas verwegener englischer Kapitän, nur Sportsmann in Zivil, sonst nichts. Fridericus-Physiognomie? Ja. Aber als wenn der grosse Friedrich statt Voltaire den Sportteil der B. Z. am Mittag am liebsten läse.
Der Leutnant Beekmann von der 11. Kompagnie hatte seinen ganz grossen Tag, wie er erhoffte. Seine Kompagnie bestand nur noch aus 45 Mann und 3 Unteroffizieren.
Statt zu fragen: Und Sie leben noch? stieg der Kronprinz vom Pferde und richtete die Frage an den stramm zusammenruckenden Leutnant Beekmann: „Arge Verluste gehabt? Wie kam das?“
„Wir haben in meinem Abschnitt den Graben leer gemacht, Kaiserliche Hoheit.“
Der Kronprinz winkte seinem Adjutanten, nahm ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse ab und hängte es dem Leutnant Beekmann an die Seite. Er drückte ihm die Hand. „Die Unteroffiziere und Mannschaften, die sich besonders auszeichneten, erhalten das Eiserne Kreuz zweiter —“ rief er dem Grafen Böchlarn zu.
Da kam ein Auto herangefahren, ein Generalstabsoffizier sprang heraus und meldete etwas mit wichtig flüsternder Stimme.
Der Kronprinz übergab dem nächsten Offizier sein Pferd, zeigte noch einmal allen sein wirklich nettes, liebenswürdiges Gesicht und entschwand im Staub der Landstrasse.
An Wynfriths Kompagnie, die noch gut zweihundert Mann stark dastand, war er achtlos vorübergegangen.
Abends in den Quartieren war von Beekmanns Auszeichnung die Rede.
„Bloss weil das Schwein diesen blödsinnigen, die Kompagnie einfach aufreibenden Angriff befahl, kriegt er jetzt die Blechmarke an den Bauch.“
„Der Beekmann, wisst ihr, wo er bei dem Angriff gesteckt hat?“
„Nee.“
„Keiner weiss das.“
„Erst wie der Salat fertig war — und der Feldwebel Naumann auf seinen Befehl mit der halben Kompagnie im Nahkampf hops gegangen war, da kam er nach. Ein Hund, der aus Angst nicht aus dem Graben herausgeht, um seinen Dreck abzuladen, sondern sich in sein Erdloch von seinem Burschen eine Konservenbüchse halten lässt — — nu hat er’s!!“
„Lass ihm die Rosette!“ sagte Pechtler, der tapfere, gute gemeine Kerl, der bei der 11. zu Gast war. Er suchte nämlich noch immer einen Skatbruder für den toten Wittke. Das erste, was er in Stenay tat, war Spielkarten kaufen. Die hatte Wittke nämlich in der Tasche behalten. Sie waren deswegen, Töz und er, sogar aus dem Graben gekrochen, durch die feindlichen Horchposten durch bis an den Franzosengraben heran, aber nur noch — ein einziger Schlammassel von Draht, Granatsplittern, Lehm und vielleicht Fleisch fand sich jetzt da, wo Wittke gefallen war.
„Lass ihm die Rosette!“ brüllten alle.
„Wenn man so Kaiserliche Hoheit sieht, da hat man doch so — na, wie soll ich sagen, das tiefe patriotische Gefühl, so — die Garde — so — die für ihren Kaiser stirbt und sich nicht ergibt — quasi —“ sagte der Offizierstellvertreter Luchs — zwei Schmisse zierten sein Mopsgesicht. Neidisch sah er Beekmann auf das kronprinzlicherseits angehängte E. K. I. Man feierte auf Beekmanns Bude die Auszeichnung.
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