„Sie sind reichlich unverschämt. Es ist gut, gehen Sie.“
Sie klingelte, daß es grell durch das ganze Haus klang, öffnete die Tür, rief laut nach der Köchin und dem Zimmermädchen, rief immer wieder. Die Köchin kam zuerst, sie alarmierte den Chauffeur.
Das Kind war nun doch erwacht; es schrie ängstlich auf. Margot eilte zu ihm, nahm es aus dem Bettchen, beruhigte es und bettete es bei sich. Sie mochte es jetzt nicht mehr bei Betty lassen, es schien ihr irgendwie gefährlich.
Sie hörte, wie Betty sich einschloß.
Im Haus wurde niemand gefunden. Als der Morgen graute, telefonierte Margot die Polizei im Städtchen an. Der Kommissar kam selbst, brachte einen Beamten mit. Margot erzählte ihm genau, was geschehen war, und von der großen Ähnlichkeit des Diebes mit ihrem toten Mann. Sie setzte aber nachdenklich hinzu:
„Es ist freilich möglich, daß die Ähnlichkeit gar nicht so groß war und meine Nerven mich etwas getäuscht haben.“
Das Haus wurde noch einmal gründlich untersucht; aber man fand nirgends Spuren, daß ein Einbrecher dagewesen. Vor allem blieb rätselhaft, auf welche Weise er ins Haus gelangt sein sollte. Es war kein Laden ausgehängt, keine Scheibe eingedrückt oder zerschnitten, der Dieb mußte sich schon am Tag ins Haus geschlichen haben.
Margot hätte alles für einen wüsten Traum gehalten, hätte nicht das leere Lederkästchen den Gegenbeweis geliefert.
Als die Polizeileute im Auto fortgefahren, war es Mittag. Margot ließ jetzt Betty zu sich rufen. Sie befand sich in dem kleinen Wohnzimmer; das Kind saß auf einem weißen Fell und spielte mit allerlei bunten Bällen.
Betty trat ein, etwas Dreistes und Keckes in ihrem Gesicht.
Margot begann:
„Nach Ihrem Betragen in dieser Nacht möchte ich Sie ersuchen, noch heute, und zwar so bald wie möglich, das Nonnenhaus zu verlassen. Es ist besser für uns beide! Ich zahle Ihnen, damit Sie mir nicht mit Ansprüchen kommen können, den Lohn für ein Vierteljahr sofort aus. Auch habe ich Ihnen das Zeugnis ausgestellt, daß Sie als Kinderfräulein sich bewährten.“
Betty, die sich gestern nach der Kündigung so aufgeregt benommen, nickte heute gleichmütig.
„Ich werde sofort packen und hoffe, noch bis zum Abend fort zu können. Sollte es zu spät werden, gestatten Sie mir vielleicht, noch eine Nacht hier zu schlafen. Ich gehe dann morgen in aller Herrgottsfrühe.“
Margott nickte.
„Gut! Doch mit dem Kind haben Sie nichts mehr zu tun, ich wünsche es nicht.“
Eben streckte Klein-Hedi die Ärmchen nach Betty aus.
Betty erwiderte mit einem Blick auf das Kind:
„Ich muß mich fügen, gnädige Frau, Sie sind die Mutter.“
Margot sah, wie Betty die aufsteigende Rührung bekämpfte, dann aber trat sie an den kleinen Schreibtisch, nahm Geld und Zeugnis in Empfang und verließ schweigend das Zimmer, ohne das Kind noch einmal anzusehen, das nach ihr rief.
Das Hausmädchen mußte zunächst das Kind hüten, Margot wollte ins Städtchen, um gleich für Betty Ersatz zu suchen.
Die Stellenvermittlerin wußte sofort Rat.
„Meine Tochter Hilde ist achtzehn Jahre und hat eine gute Schulbildung, sie würde gern ins Nonnenhaus in Stellung gehen, gnädige Frau“, bot sie Margot an.
Tilde wurde gerufen. Sie gefiel Margot und konnte sogleich mit ihr fahren. Sie nahm nur das Notwendigste an Sachen mit; alles andere sollte der Chauffeur Stefan am nächsten Tage holen.
Klein-Hedi freundete sich rasch mit Tilde an und Margot konnte sich am Spätnachmittag ohne Sorge um das Kind ein wenig niederlegen. Sie war wie erschlagen von der gräßlichen Nacht und diesem lebhaften Tag. Sie hatte den Wunsch geäußert, man möge sie nicht ohne gewichtigen Grund wecken, und als Betty gegen Abend fortging, schlief sie.
Betty hatte sich telefonisch eine Autodroschke aus dem Städtchen bestellt und fuhr nun fort.
Die Köchin meinte zum Hausmädchen:
„Was mag es eigentlich zwischen der Gnädigen und Betty gegeben haben?“
Die andere zuckte die Achseln.
„Was geht es uns an?“
Die Köchin machte ein wichtiges Gesicht.
„Ich glaube, es muß was gespielt haben, was jetzt vielleicht erst herausgekommen ist. Ich will damit sagen, die Betty und der Mann von der Gnädigen —“
Sie brach ab und zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen.
Das Hausmädchen lächelte verstehend und erwiderte leise: „Ja, der Betty traue ich sowas bestimmt zu.“
Margot schlief fest und tief in den Abend hinein.
Das neue Kinderfräulein wurde von der Köchin beraten, die für Tilde das Bett neu bezog, in dem bis jetzt Betty geschlafen. Sie sprach im Flüsterton, denn das Kind schlief auch bereits. Tilde hörte aufmerksam zu, was ihr die Köchin zu sagen für nötig hielt.
Aber mitten in das etwas einförmige Flüstern ertönte ein lauter Schrei — ein Schrei, so wild und entsetzenerregend, daß Tilde beide Hände weit von sich streckte vor Schrecken, wie in Erwartung von etwas Furchtbarem.
„Um des Himmels willen, wer war das?“
Die Köchin hatte das Kopfkissen, das sie gerade in einen frischen, weißen Bezug stecken wollte, fallen lassen; es war ihren bebenden Händen entglitten.
Ehe sie zu antworten vermochte, sprang die Tür weit auf, und auf der Schwelle stand Margot von Lindner. Sie war totenblaß. Sie winkte der Köchin, die hastig folgte. Auch Tilde schloß sich an. Das Kind schlief ja fest.
Tilde war der Meinung, Frau von Lindner hätte den Schrei ausgestoßen, ihr wäre etwas geschehen.
Die beiden anderen achteten kaum auf die Gegenwart des jungen Mädchens, und Margot stöhnte laut:
„Haben Sie den Schrei gehört, Marie, den schauderhaften Schrei? Es klang so wie an dem Abend, an dem meine Mutter starb. Sie wurde getötet von dem entsetzlichen Schrei.“
Tilde horchte auf. Sie kannte, wie viele Bewohner des Städtchens, die Sage des Nonnenhauses. Sie verspürte ein wohliges Gruseln und malte sich schon begeistert aus, wie sie ihrer besten Freundin von dem Spuk, den sie erlebt, erzählen wollte.
Margot von Lindner sagte mit fliegendem Atem:
„Meine Mutter hat jung geheiratet, aber seit mein Vater sie hergeholt ins Nonnenhaus, bis zu dem Tage, als sie starb, hat sie die Schreie niemals gehört, und auch ich hörte sie niemals — doch jetzt —“
Sie verstummte, denn wieder gellte der markerschütternde Schrei auf. Schrill war er und doch voll Stärke. Er schien anzuschwellen und dann zitternd zu verklingen.
Alle drei sahen einander an, und Tilde fand es in diesem Augenblick gar nicht mehr so interessant, einen Spuk zu erleben. Dazu war so einer wie dieser doch zu unheimlich.
Das Hausmädchen stürzte ins Zimmer.
„Ich fürchte mich, gnädige Frau! Verzeihen Sie, aber im Nonnenhaus möchte ich nicht mehr bleiben.“
Margot hielt sich die schmerzenden Schläfen.
„Ich kann niemand zwingen, hierzubleiben.“
Das Hausmädchen unkte: „Wer weiß, wer diesmal im Nonnenhause sterben muß!“
„Raus, dumme Gans!“ kommandierte die Köchin. „Rege die gnädige Frau nicht noch mehr auf!“
Tilde hatte schon, von dem zweiten Schrei dazu gebracht, sagen wollen, sie möchte ihre Stellung aufgeben, aber sie schämte sich jetzt ihrer Angst, sie mochte sich nicht auch „dumme Gans“ nennen lassen.
„Ich kann mir nicht erklären, woher die Schreie kommen, aber sie sind doch nicht abzuleugnen“, meinte Margot etwas ruhiger und sehr nachdenklich. „Wir sind alle hier. Niemand von uns hat die Schreie ausgestoßen, und außer uns befindet sich niemand im Hause.“ Sie lächelte trübe. „Gestern nacht glaubte ich sogar meinen toten Mann zu sehen, doch war es nur irgendein Einbrecher, der auf unerklärliche Weise ins Haus gelangte und mir einen wertvollen alten Familienschmuck gestohlen hat. Heute läßt sich wieder die Nonne hören — Ich muß zugeben, nervenberuhigend ist das alles nicht. Ich werde in Kürze das Nonnenhaus für einige Zeit verlassen und irgendwoanders Aufenthalt nehmen.
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