Wir siegten also mit 1:0 und wollten nun in Bochum den Deckel draufmachen. Beim Training vor dem Rückspiel konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, warum ein erfahrener Torjäger wie Uwe Leifeld nicht zum Elfmeter in Saarbrücken angetreten war. Seine Antwort sprach für mich Bände: »Du bist so unbekümmert. Selbst wenn du den Elfer verschossen hättest, keiner hätte es dir übel genommen.« Ihm schon – und davor hatte er Angst.
Obwohl ich das Match in Saarbrücken entschieden hatte, sollte ich beim Rückspiel zunächst nicht auflaufen. Erst als Frank Heinemann wegen einer Verletzung passen musste, wurde ich nominiert. Ich war stocksauer. Das heizte meine Motivation zusätzlich an. Abstieg – das kam für mich nicht infrage. Ich nahm mir vor, bis zum Umfallen zu kämpfen. Und das tat ich auch. Allerdings musste ich mitansehen, wie Anthony Yeboah das Team von Trainer Klaus Schlappner mit einem super Kopfball in Führung brachte. Da gab es selbst für unseren Toptorwart Andreas Wessels nichts zu halten. Plötzlich war alles wieder offen.
Bis zur 77. Minute stand das Spiel vor nur 20.000 Zuschauern auf des Messers Schneide, dann fiel das erlösende 1:1. Unser Holländer Rob Reekers, der ein glänzendes Spiel absolvierte, spielte scharf auf Michael Rzehaczek. »Ratschi« nahm den Ball gar nicht an, sondern schlenzte ihn mit dem Außenrist zu Leifeld. Uwe lupfte das Leder dann gekonnt über den Saarbrücker Torhüter Wahl ins Netz. Ich erwischte unseren Torjäger als Erster, dann fielen alle über ihn her. Ausnahmezustand!
Es folgten etwas mehr als 20 Minuten, in denen Andreas Wessels über sich hinauswuchs und Yeboah und Co. in die Verzweiflung trieb. Doch er und wir alle hielten stand und retteten uns. Bekanntlich war das Prädikat »unabsteigbar« eng mit dem Image des VfL Bochum verknüpft – und nie war es so präsent wie in diesen letzten Minuten.
Später, als in einem Bericht des Magazins »11 Freunde« an diese Relegation erinnert wurde, berührte mich ein Lob unseres Torwarts Andreas Wessels. Er sagte: »Th orsten Legat war der beste Fußballer, mit dem ich in meinem ganzen Leben jemals habe spielen dürfen. Seine fußballerischen Fähigkeiten waren grandios.«
Meinen größten Erfolg mit dem VfL Bochum hatte ich schon zwei Jahre vorher feiern können: den Einzug ins Finale des DFB-Pokals. Es war auch der schönste Erfolg für meinen Förderer Hermann Gerland, der danach zum 1. FC Nürnberg wechselte.
Zweikampf mit Klaus Augenthaler, den Libero des FC Bayern. In dieser Partie holten wir ein 1:1-Unentschieden.
Im Halbfi nale des DFB-Pokals schlugen wir den HSV mit 2:0. Hier kläre ich vor dem Hamburger Heinz Gründel.
Am Ende der Saison 1987/88 lagen wir zwar nur auf Platz zwölf, doch im DFB-Pokal hatten wir eine Siegesserie hingelegt: 4:1 gegen den VfB Oldenburg, 2:1 gegen den TuS Giengen, 1:0 gegen Schwarz-Weiß Essen und 4:1 gegen Fortuna Köln. Im Halbfinale kam der Hamburger SV, der zuvor den großen FC Bayern geschlagen hatte. Die Hamburger waren im Pokalwettbewerb Titelverteidiger und gingen natürlich als Favoriten ins Rennen.
Dienstagabend, Ruhrstadion unter Flutlicht, 31.000 Zuschauer und ein Gegner, der klasse Fußballer in seinen Reihen wusste. Trainer Willi Reimann setzte auf Profis wie von Heesen, Plessers, Kaltz, Spörl, Jakobs, Kastl, später Bein oder Gründel – und auf Dietmar Beiersdorfer, den ich ein paar Jahre später bei Werder Bremen wiedertreffen sollte. Es wurde ein perfekter Abend für uns.
Schon nach 27 Minuten schockte Martin Kree die Hanseaten mit einem Hammer-Tor zum 1:0. Für Jupp Koitka gab es nichts zu halten. Der HSV-Keeper patzte allerdings in der 60. Minute, als er einen Schuss von Andrzej Iwan durch die Beine bekam. Ausgerechnet der Jupp, der wie ich in Bochum geboren war.
Ich trat wie immer im Mittelfeld an und lieferte mir heftige Duelle mit Heinz Gründel. Hermann Gerland gab mir für die 90 Minuten ein »Pflichtenheft« mit auf den Weg: »Er wird versuchen, dich zu provozieren. Lass dir nichts gefallen, knall ihn weg.« Eine Ansage, die ich nicht falsch verstehen konnte.
Heinz Gründel – offensiv ausgerichtet und technisch stark – suchte immer den direkten Zweikampf eins gegen eins. Ein Straßenfußballer, der ein Jahr zuvor mit dem HSV den DFB-Pokal gewonnen hatte. Das war kein »Hosenpuper«, sondern ein mit allen Wassern gewaschener Berliner Junge. Er hat mich natürlich provoziert und auch mal »weggeflext«. Aber, was soll ich sagen, er traf auf einen jungen, dynamischen, frischen Burschen namens Legat, der sich nicht beeindrucken ließ, selbst wenn der Kontrahent versteckt foulte oder kniff. Und die provokanten Sprüche konterte ich: »Halt’s Maul, alter Mann, du läufst doch nur hinter mir her.«
Und so war es auch. Es entwickelte sich einer dieser knallharten Zweikämpfe, die ich so liebte und die mich top motivierten. Es waren die Anfänge, in denen ich mir meinen Ruf als »harter Hund« verdiente.
90 Minuten lang spielte unsere Mannschaft gegen die Hamburger wie aus einem Guss, und unsere »Katze« Zumdick im Tor ließ nichts anbrennen, parierte Kopfbälle von Ditmar Jakobs und einen gefährlichen Schuss von Uwe Bein. Unser Keeper hielt den Sieg fest und bescherte uns damit eine Prämie von 10.000 Mark. Die hatten wir uns redlich verdient. Ich fühlte mich wie nach einem Marathonlauf. »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«, hatten die Fans vom Anpfiff an gesungen. Sie behielten recht.
Ins »Deutsche Wembley« zu kommen, war für mich als 19-jähriger Profi der reinste Wahnsinn. 76.000 Zuschauer bevölkerten an diesem 28. Mai 1988 das Berliner Olympiastadion, um unser Spiel gegen Eintracht Frankfurt zu sehen. Ich fühlte mich wie Jung-Siegfried und hätte Bäume ausreißen können. Doch von den vier Finalspielen im DFB-Pokal, die ich im Laufe meiner Karriere erlebte und von denen meine Mannschaft drei gewann, sollte mein erstes Endspiel bitter enden. Ich erfuhr am eigenen Leib, dass der Fußball, den ich so liebte, manchmal grausam sein konnte.
Es begann damit, dass wir mit 1:0 in Führung gingen. Jedenfalls dachten wir das. Rob Reekers hatte auf Uwe Leifeld gespielt, der lief noch ein paar Schritte und zog ab. Dem Frankfurter Keeper Uli Stein, der den Ball mit beiden Händen aufnehmen wollte, flutschte er durch die Beine. Doch während Uli Stein wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag und wir Leifeld feierten, nahm Schiedsrichter Heitmann, der zunächst auf Tor erkannt hatte, den Treffer zurück. Einer seiner Assistenten signalisierte eine Abseitsstellung. Eine falsche Entscheidung, wie auch die Fernsehbilder später bestätigten. Wir waren enttäuscht und wütend. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
Ich weiß, dass wir uns in der Halbzeit noch einmal richtig heiß machten. Gerland erinnerte uns daran, dass wir in der Meisterschaft zweimal gegen Frankfurt 1:0 gewonnen hatten. Ich dachte, der Hermann hätte es vor allem verdient, dass er in seinem letzten Spiel als Trainer für den VfL Bochum noch einen Titel erringt. Doch trotz aller Bemühungen gelang uns nach Wiederanpfiff kein Treffer.
Schließlich waren noch etwa zehn Minuten zu spielen. Eine ausgeglichene Partie steuerte auf die Verlängerung hin, als sich das Glück endgültig von uns abwandte. Frankfurt bekam einen Freistoß zugesprochen – und das in der Nähe des Sechzehnmeter-Raumes.
Wie oft hatten wir im Vorfeld dieses Thema angesprochen. »Nur keinen Freistoß« – Worte unseres Trainers, die sich in den Köpfen festgesetzt hatten. Und dann dieses Foul. Alle wussten, dass Frankfurt mit dem Ungarn Lajos Detari einen Spezialisten beschäftigte. Den Stellenwert dieses Spielers mag man daran erkennen, dass das ungarische Fernsehen live übertrug. Detari, Nationalspieler seines Landes, trug Schuhe, die der Sportartikelhersteller in den Nationalfarben gefertigt hatte.
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