Ralf Mühe - Wie das Leben so schräg spielt
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Inhaltsverzeichnis
Titelseite Ralf Mühe WIE DAS LEBEN SO SCHRÄG SPIELT 76 Beispiele für den anspruchsvollen Schmunzelfan © 2015 Bibellesebund Verlag, Marienheide Umschlaggestaltung: Julia Plentz Umschlagfoto: © DiegoCervo/Fotolia ISBN: 978-3-95568-333-7 (eBook) ISBN: 978-3-95568-135-7 (Buch) www.bibellesebund.net
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, der erste Entwurf für ein Vorwort klang so erhaben, dass meine persönliche Literaturkritikerin nur abwinkte: „Das solltest du lockerer schreiben.“ Ich habe es getan. Leider hat sie versäumt zu sagen, dass ich es auch abspeichern sollte. Das habe ich nämlich nicht getan. Als ich mein Selbstwertgefühl durch das Lesen der entkrampften Fassung stabilisieren wollte, entgleisten mir die Gesichtszüge: Ich fand nur meinen einstigen Stolz, die Goethe-Preis-verdächtige Version. Ich denke, ich habe den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Sie werden auch ohne Vorwort die nächsten Seiten finden. Da bin ich ziemlich sicher. Was mir aber noch am Herzen liegt: Über mich selbst zu lachen, fällt mir leicht. Kenne ich mich doch ziemlich gut. Wo es andere betrifft, habe ich die Namen geändert, denn es ist nicht meine Absicht, jemanden zu kränken. Dass wir Leute mit kleinen und großen Macken sind, macht uns doch unverwechselbar markant und meist in besonderer Weise liebenswert. Ralf Mühe
Nach dem Amen war ich schlauer Nach dem Amen war ich schlauer Es war eine Kanzel in einer altehrwürdigen Kirche, an der ich bei meinem ersten Gottesdienst scheiterte. Das gute Stück hing in beachtlicher Höhe über den Köpfen der gespannt lauschenden Gemeindeglieder. Statt meiner Worte hörten sie aber zunächst nur den Aufschlag meiner Bibel. Sie war vom schrägen Pult abgerutscht und zu Boden gefallen. Und das gleich zweimal hintereinander. Ein drittes Mal sollte mir das nicht passieren. Mit meiner Linken hielt ich nun die Bibel und mit der Rechten das Konzept, was jedoch den kleinen Nachteil hatte, dass ich nichts von beidem lesen konnte. Egal: Ich redete, was ich von der Vorbereitung behalten hatte. Und ich redete lang – glaubte ich. Nachprüfen konnte ich es nicht, denn über der Armbanduhr lag der Ärmel des Jacketts. Nach dem Amen war ich schlauer: Knapp sechs Minuten hatte meine Predigt gedauert. Erfrischend kurz, wie jemand später wohlwollend meinte. Aber das war noch nicht alles. Beim Abendmahl sollte ich die „Einsetzungsworte“ sagen. Nach der Blamage auf der Kanzel wollte ich nicht zugeben, dass mir allein schon der Begriff fremd war. Ich wusste von nichts und faselte beim Austeilen des Abendmahls das, wovon ich glaubte, dass es die Leute hören wollten. Doch schon bahnte sich die dritte Prüfung an. Die Gemeindeglieder hatten inzwischen Platz genommen. Zurück blieben der Pfarrer, der das Abendmahl geleitet hatte, und ich. Wir standen vor dem Altar. Alle Leute starrten auf uns. Offenbar sollte ich schon wieder etwas sagen. Die Orgel verstummte, aber mir fiel nichts ein. Der Blick des Pastors über den Brillenrand signalisierte Ungeduld. Was gab es noch zu bereden? Worauf wartete er? Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Hau doch endlich ab, dachte ich verzweifelt. Dann fasste ich meine Gedanken in die feierlichen Worte: „Gehe hin in Frieden!“ Ich sagte es sehr laut und deutlich. Dabei hob ich theatralisch beide Arme. Der gute Mann zuckte zusammen und ging. Endlich. Er ging! Am Ende des Gottesdienstes gab es für mich nur noch eines: auf schnellstem Wege durch einen Seitenausgang ins Freie. Ich hatte versagt. Ich war gescheitert. Nie wieder würde ich einen Gottesdienst halten, schwor ich. Das war vor vielen Jahren. Inzwischen habe ich Hunderte Male auf Kanzeln gestanden und gepredigt.
Neu anfangen Neu anfangen Viele Neuanfänge sind nichts anderes als die Wiederholung alter Fehler. Das jedenfalls ist meine These. Nein, wissenschaftlich untermauern kann ich sie nicht, denn zum Akademiker habe ich es nicht geschafft. Im Gegensatz zu einem nahen Verwandten von mir. Er wäre Arzt geworden, hätte man ihn nur die Oberschule (so hieß das wohl damals) besuchen lassen. Der Glückliche. Er konnte sein Leben lang mit der Vorstellung leben, zu etwas Höherem geboren zu sein. Doch weil die Zeiten so schlecht waren, brauchte er das nie unter Beweis zu stellen. Bemüht hat er sich jedenfalls nicht darum. Mir dagegen standen alle Chancen offen, und ich habe sie nicht genutzt – trotz eines Neuanfangs durch einen überstürzten Schulwechsel. Verständlich, weshalb mich das Thema „Neu anfangen“ so tief berührt. Es ist ein Stück meiner Lebensgeschichte. Zurück zu meiner These. Ich kann sie mit drei Beispielen belegen. 1. Erst kürzlich wieder stimmte man in einer Gemeinde den Gesang zu hoch an. Bis zur Mitte der Strophe kämpfte man sich mit der Kopfstimme durch, dann ging es nicht mehr. Irgendein beherzter Sänger stimmte neu an. Tiefer, wie er meinte. Doch tiefer war nur der Anfangston, nicht aber die Tonlage. Sie entsprach exakt der vorigen ... 2. Eine Irin erzählte mir, wie sie um einen Schwaben freite. Damals hatte sie erhebliche Mühe, ihre zukünftige Schwiegermutter zu verstehen. Oft wusste sie einfach nicht, was da breit geschwäbelt wurde. Statt sich deut(sch)licher zu artikulieren, verstärkte die werte Dame bei der Wiederholung lediglich die Phonstärke. Sie schien das Problem nicht begriffen zu haben, deshalb war auch die Wiederholung nutzlos. 3. Sie waren die Innovation des Bibellesebund-Freizeitzentrums: Frischhaltedosen fürs Frühstücksbrot. Einfach chic, aber kompliziert zu bedienen. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht eines der guten Stücke mitsamt dem Inhalt zu Boden fiel. Also gab ich eine Bedienungsanleitung, und zwar so einleuchtend, dass sie auch der größte Trottel begreifen musste. Nur einer eben nicht: ich selbst. Meine Worte waren kaum verhallt, da griff ich tatkräftig zu. Aber entgegen meiner eigenen klüglichen Anweisungen eben falsch! Und das vor einem Publikum, das sich kaum noch auf den Stühlen halten konnte. Wie gemein Leute aber auch sein können!
„Jetzt wehre ich mich!“ „Jetzt wehre ich mich!“ Das Buch mit diesem aggressiven Titel lag wie eine Kampfansage auf dem Schreibtisch einer Mitarbeiterin. „Hast du schon gesehen ...?“ In der Art, wie mein Kollege die Frage stellte, wusste ich schon, wovon er sprach. „Ich habe“, fiel ich ihm kurzsilbig ins Wort und warf bedeutungsvoll einen Blick auf die „Waffe“. Wir waren ratlos. Gut, auf Händen getragen hatten wir die Kollegin nie, das war uns schon klar. Aber hatten wir ihr so zugesetzt, dass sie sich gegen uns wehren musste? Ich äußerte die Vermutung, dass ihr vielleicht unsere männliche Dominanz zum Problem geworden sei. Unsere Gemüter beruhigten sich wieder. Dennoch beschloss ich, ab sofort meine Naivität aufzugeben und psychologischen Scharfsinn an den Tag zu legen. Ich brauchte nicht lange, um fündig zu werden. Eine Mitarbeiterin, schlank wie eine Tanne, hatte einen äußerst festen Schritt: Na klar, jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen, das musste Körpersprache sein. Warnsignale sozusagen, die ich bisher nicht wahrgenommen hatte: „Pass auf, hier komme ich!“ oder so. Bei einer anderen Person entdeckte ich eine fast apokalyptisch anmutende Wehrhaftigkeit: Als Knoblauch-Esser konnte sie sich allein mit dem Hauch ihres Mundes verteidigen. Je länger, desto klarer sah ich die Dinge: Da war jemand, dessen Worte wie Maschinengewehrsalven Schutz vor dem Hinhören gaben. Hatte man ihn vielleicht in zarter Jugend allzu hart getadelt? Neue Dimensionen der Menschenkenntnis eröffneten sich. Als ich in einem Buchkatalog blätterte, fiel mir sofort jener Titel ins Auge: „Sag, was du meinst, dann erreichst du, was du willst. – Wie man sich erfolgreich durchsetzt.“ Ich grübelte. Sollte ich an meiner eigenen Persönlichkeit arbeiten und aufrüsten? Der Blick auf den Umfang des Buches ließ mich zögern. Vielleicht sollte ich mich doch eher den Tugenden des Pazifismus zuwenden, denn zum Nachgeben hatte ich ja nach langen Ehejahren im Übermaß Gelegenheit. Es kam alles ganz anders. Ich hatte völlig vergessen, dass ich mein Herz künftig nicht mehr so auf der Zunge tragen wollte. Ich sprach mit der Kollegin über jenes besagte Buch und seine Wirkung. Dabei stellte sich heraus, dass es gar nicht für sie persönlich gewesen war. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich konnte also (im Wesentlichen) so bleiben, wie ich war. Angesichts dieser Tatsache fiel es mir jetzt nicht mehr schwer, die anderen mit ihren Eigenheiten zu akzeptieren. Vielleicht waren deren Verhaltensweisen gar nicht gegen mich gerichtet, sondern einfach Ausdruck ihrer persönlichen Prägung. Ganz ausschließen sollte man das nicht.
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