»Auch gut«, sagte sie und blickte wieder auf die Quittung. »Wie ist der Name? Sughrue?«
»Stimmt.«
»Meine Mama hatte Verwandte in Oklahoma, bei Altus, glaub ich, die auch Sughrue hießen«, meinte sie. »Haben Sie da Angehörige?«
»Ich habe Verwandte überall in Texas, Oklahoma und Arkansas«, gab ich zu.
»Mensch, dann sind wir praktisch verwandt«, sagte sie und hielt mir die Hand hin.
»Durchaus möglich«, sagte ich und drückte ihre feste, freundschaftliche Hand.
»Die Leute versteh’n das mit den Angehörigen nicht mehr«, erklärte sie.
»Die Welt ist zu groß dafür. Ich fahre wohl am besten in die Stadt, um nachzusehen, ob mein anderer Klient noch frisch und munter ist.«
»Wollen Sie ein Bier mit auf die Reise?«
»Gern«, sagte ich und ging aufs Klo, um Platz dafür zu schaffen. Als ich zurückkam, hing sie über der Theke, um mir das Bier zu geben, und sagte: »Sie sind selber einer, der gern trinkt.«
»Nicht so wie früher.«
»Wie das?«
»Bin eines Morgens in Elko, Nevada, aufgewacht und habe Aschenbecher ausgeleert und Böden geschrubbt.«
»Aber aufgehört nicht«, sagte sie.
»Es langsamer angehen lassen, bevor ich aufhören musste«, sagte ich. »Jetzt versuche ich zwei Gläser vor der Wirklichkeit und drei hinter einem Vollrausch zu bleiben.«
Sie lächelte mit überlegenem Wissen, als sei ihr klar, dass der Gedanke, mit dem Trinken aufhören zu müssen, mich so arg erschreckte, dass ich nicht einmal daran denken konnte.
»Würden Sie auf Mr. Trahearnes Cadillac aufpassen?«, fragte ich.
»Holen Sie den Zündverteilerkopf«, sagte sie, »und ich lass Fireball im Wagen schlafen, wenn ich nachts zumache.«
Nachdem ich den Kopf vom Zündverteiler genommen und die Motorhaube zugeklappt hatte, wies Rosie mit dem Kinn auf mein Kennzeichen aus Montana und fragte: »Wird’s da oben nicht kalt?«
»Wenn es das wird, fahre ich einfach nach Süden.«
»Muss schön sein.«
»Was meinen Sie?«
»Fahren, wohin man will«, sagte sie leise. »Ich bin keine zehn Meilen über den Drecksort hier rausgekommen, seitdem ich vor elf Jahren bei der Beerdigung meiner Mama in Fresno war.«
»Frei und ungebunden ist auch nicht immer das, was man sich darunter vorstellt«, gestand ich.
»Daheimbleiben auch nicht«, sagte sie, dann lächelte sie, und die in ihr Gesicht eingegrabenen Falten wurden milder und glatt, sodass einige der Jahre harten Lebens wie glückliche Tränen fielen. »Passen Sie auf, ja?«
»Sie auch«, sagte ich. »Bis Ersten nächste Woche.«
Als ich in meinen El Camino stieg, kam ein Auto voll Bauarbeiter in schmutzigen Overalls und mit grellgelben Schutzhelmen schleudernd neben mir zum Stehen. Die Männer kletterten lachend heraus, schrien auf Rosie ein, stießen sich die Knie in die Hinterteile, waren glücklich in der wilden Freiheit des Biertrinkens nach Arbeitsschluss und stürzten sich wie ein Schwarm kleiner Hühnchen in Rosies offene Arme.
Ich wusste, dass die Männer wahrscheinlich schreckliche Kerle waren, die hübschen Mädchen nachpfiffen, ihre Ehefrauen wie Dienstboten behandelten und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Nixon ihre Stimme gaben, aber was mich anging, waren sie einer Volvo-Ladung Liberaler, was harte Arbeit und eine frohe Zeit betraf, weit überlegen.
Als ich in seinem Krankenzimmer eintraf, hatte man Trahearne in einen tiefen, brummelnden Schlaf gespritzt, aus dem ihn aufzuwecken ein Verbrechen gewesen wäre. Ich fand den Notarzt, der ihn behandelt hatte, und er meinte, Trahearne werde am Leben bleiben. Bei Oney und Lester war er seiner Sache aber nicht ganz so sicher. Nachdem ihre Wunden gesäubert und verbunden worden waren, hätten sie das Weite gesucht und wären auf ein, zwei Bier wieder unterwegs zu Rosie. Während der Doktor kopfschüttelnd den Korridor entlangging, benutzte ich meine Münze endlich dazu, die gewesene Mrs. Trahearne auf ihre Kosten anzurufen. Wie üblich, schien sie zu zögern, bevor sie die Kosten übernahm.
»Na«, sagte ich flotter, als ich vorgehabt hatte – ich schob das auf den Whiskey –, »ich habe den alten Halunken endlich aufgespürt.«
»Endlich«, sagte sie kalt. »In San Francisco?«
»Nein, Ma’am«, sagte ich. »In einer prima kleinen Bierkneipe gleich bei Sonoma.«
»Ist das nicht drollig«, murmelte sie. »In welchem Zustand haben Sie ihn vorgefunden?«
»Betrunken«, sagte ich, ohne hinzuzusetzen, wen von uns ich meinte.
»Davon bin ich ausgegangen, Mr. Sughrue«, sagte sie scharf. »Wie ist seine körperliche Verfassung?«
»Gut.«
»Ja?«
»Ja, Ma’am«, fuhr ich ausweichend fort. »Es geht ihm sehr gut. In drei oder vier Tagen müsste er aus der Klinik entlassen werden, und da wird er so gut wie neu sein.«
»Es mag anmaßend von mir sein, danach zu fragen«, sagte sie unbeirrt, »aber wenn er in so großartiger Verfassung ist, was tut er dann im Krankenhaus?«
»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte ich.
»Ist das nicht immer so?«
»Doch, Ma’am.«
»Sie sind unnötig schweigsam, Mr. Sughrue«, sagte sie. Ihre Stimme klang freundlich und kultiviert, aber befehlsgewohnt.
»Und?«
»Nun, er hatte einen kleinen Unfall.«
»Ja?«
»Er ist von einem Barhocker gefallen und hat sich das Rückgrat verrenkt«, sagte ich schnell.
»Wie wunderschön«, meinte sie. »Vielleicht liefert ihm das eine sehr notwendige Lektion«, dann lachte sie tief und elegant, was wie das satte Schnurren eines Nerzmantels klang, der nachlässig eine Marmortreppe hinuntergezogen wird. »Aber nichts allzu Ernstes, hoffe ich?«
»Eine kleine Verrenkung«, sagte ich.
»Freut mich zu hören. Ich erwarte, dass Sie bei ihm bleiben, bis er entlassen wird, und ihm dann bei seiner Auferstehungssauftour Gesellschaft leisten.«
»Ma’am?«
»Geschundenes Fleisch besteht darauf, sich im Fleisch zu suhlen«, sagte sie. »Vor allem Trahearne.«
»Ma’am?«
»Er wird auf einer Trunkenheitsorgie bestehen, sobald er entlassen wird«, fuhr sie fort. »Sie wissen schon, Wein, Weib und Gesang – teurer Whiskey, kostspielige Nutten und schließlich das alte, triste Reuelied. Ich erwarte, dass Sie sich während der paar Tage um ihn kümmern.«
»Ich werde mein Bestes geben«, sagte ich.
»Davon bin ich überzeugt. Und wenn er so weit ist, dass er nach Hause kommen und seine Wunden lecken möchte, erwarte ich von Ihnen, dafür zu sorgen, dass er das auch tut.«
»Ja, Ma’am«, sagte ich und hoffte, dass von Trahearne nur bildlich erwartet wurde, seine Wunden zu lecken.
»Wenn Sie ihm vielleicht mitteilen, dass seine geliebte Melinda wieder einmal in den Schoß der Familie zurückgekehrt ist und die ganze Nacht mit Töpfen wirft oder was sie da macht, dann möchte er seine Orgie vielleicht abkürzen.«
»Ja, Ma’am«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, von wem oder was sie sprach. Ich hatte keine Ahnung, was Trahearne von meiner Anwesenheit nach seinem Unfall halten würde.
»Außerdem erwarte ich nach Ihrer Rückkehr einen vollständigen Bericht«, sagte sie. »Vielen Dank und gute Nacht.«
»Bericht worüber?«, fragte ich, aber sie hatte schon aufgelegt. »Nur ein Verrückter arbeitet für Verrückte«, erklärte ich der toten Leitung, und eine gehetzte Krankenschwester, die vorbeieilte, stimmte mit hastigem Nicken zu.
Da es nicht mein Geld war, und weil ich wusste, wo ich vermutlich die nächste Nacht verbringen würde, stieg ich im besten Motel von Sonoma ab, bestellte ein Riesensteak und einiges von dem teuren Whiskey, den Mrs. Trahearne erwähnt hatte. Dann fuhr ich hinaus zu Rosie, betrank mich mit Lester und Oney und schlief auf dem Billardtisch.
»Wo sind Sie gewesen, zum Henker?«, knurrte Trahearne, als ich zwei Tage später morgens sein Zimmer betrat.
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