Die Sonnenterrasse, aus denselben silbrigen Brettern wie das Haus, von derselben Großranke bedroht, war in Schmiedeeisen und heiterer Leinwand in Orangerot ausgeführt. Jedenfalls waren wir im Freien. Mit einem tiefen, bebenden Seufzen sank Gleeson in einen Regiestuhl und bot mir vornehm den Stuhl gegenüber an.
»Für mich ist es ein bisschen früh, aber möchten Sie ein Cerveza?«, sagte er, lässig die Eiswürfel in dem mundgeblasenen mexikanischen Glas wirbelnd, das er von dem adretten kleinen, zu seinem Stuhl passenden Tisch genommen hatte. »Ein Bier?«, fügte er hinzu, nur für den Fall, dass ich nicht verstanden hatte.
»Klar«, knurrte ich, »für mich ist es nie zu früh.« Dann lachte ich in mich hinein wie Aldo Ray. Wenn ich seine l’homme du monde -Rolle ertragen musste, hatte er meinen weltüberdrüssigen, alkoholischen Privatdetektiv zu erdulden.
»Gewiss«, murmelte er, griff in einen kleinen Kühlschrank auf der anderen Stuhlseite und holte eine Dose Tecate heraus, eine ideale Prise Steinsalz und einen Schnitz Limone schon auf dem Dosendeckel. Er hatte sich vorbereitet, der Halunke. »Mögen Sie mexikanisches Bier?«
»Ich mag Bier«, sagte ich.
»Verstehe«, sagte er und versuchte mit hochmütig emporgezogenen Brauen ein überlegendes Lächeln zu tarnen. »Mexikanisches Bier ist ganz hervorragend. Vielleicht das beste auf der Welt. Ich schätze es selbst sehr. Den Sommer verbringe ich nämlich in Mexiko, San Miguel de Allende, jedes Jahr. Führt mich weg aus der prosaischen Welt der Highschool«, sagte er, während er mir das Bier gab.
»Muss Spaß machen«, meinte ich und stellte mir vor, dass er im Sommer ein Toupet für dreihundert Dollar trug, das aussah wie eine tote Beutelratte, und sämtliche Leute auf vierzig Meilen im Umkreis langweilte.
»Ein herrliches Land«, sagte er seufzend, dann hob er den Kopf. »Eine Spur Salz auf die Zunge, dann das Bier trinken und in die Limone beißen.«
»Klar«, sagte ich, dann schluckte ich das Salz, kippte das ganze Bier hinunter, aß den Limonenschnitz samt Schale und warf die leere Büchse ins Gras. Gleeson sah aus, als wolle er ehrlich zu weinen anfangen, und als ich rülpste, zuckte er zusammen. »Ham’ Sie vielleicht noch so’n mexikanisches Bier?«, sagte ich heiter. »War gar nicht schlecht.«
»Versteht sich«, sagte er, der perfekte Gastgeber, dann teilte er mir eine zweite Dose zu, als sei das Bier rationiert. Bevor ich auch die vernichten musste, wurde ich vom Gong gerettet. Oder vom Zirpen. Sein Telefon zirpte wie ein Vögelchen. »Ach verdammt«, sagte er. »Bitte, entschuldigen Sie mich.«
Als er hineingegangen war, stand ich auf, um das schwere Bier zur Ruhe zu bringen. Aus alter Neugier sah ich mir Gleesons Glas an. Moosbeerensaft und ein Hektoliter Wodka. Er war entweder ein heimlicher Säufer, ein krankhafter Lügner oder durch meinen Besuch nervöser geworden, als er mir anvertrauen wollte.
Ich schlich mich ans Küchenfenster, konnte aber nichts hören als das ferne Pulsieren seiner Stimme und das irre Summen einer verzweifelten Fliege. Ich öffnete die Hintertür, um den armen, verhungerten Teufel herauszulassen, dann setzte ich mich, um einem Kolibri zuzusehen, wie er Zuckerwasser aus Gleesons Vogelhaus saugte. Ich konnte nicht glauben, dass der kleine Halunke deshalb von Südamerika bis hier heraufgekommen war. Oder dass ich den weiten Weg zurückgelegt hatte, um über ein Mädchen zu sprechen, das vor zehn Jahren davongelaufen war.
Gleeson kam zurück und murmelte Liebenswürdiges über die kleinen Schwächen seiner ganz einfachen wunderbaren Schüler.
»Also«, sagte er, als er sich zurücklehnte und die Knie mit den Händen umfasste, sodass die Silberringe leise klirrten. »Was kann ich für Sie tun?«
»Betty Sue Flowers.«
»Gewiss.« Ein kurzes Stirnrunzeln legte seine Stirn bis zur duftenden, glänzenden Weite seiner Kopfhaut empor in Falten.
»Betty Sue Flowers«, sagte er seufzend, dann schüttelte er den Kopf und lächelte schief. »Ich habe seit Jahren nicht an sie gedacht.«
»Was fällt Ihnen dabei ein?«
»So ein primitiver Name für ein so wunderschönes, begabtes Kind«, sagte er. »Als sich zeigte, dass sie mehr war als nur eine gute Amateur-Schauspielerin, riet ich ihr sofort, den Namen zu wechseln und wie alles kindliche Zeug abzulegen.«
»Mir gefällt der Name irgendwie«, sagte ich. Ich mochte Frauen, die ihren Namen wechseln, nicht. So wenig wie Männer, die vor Sonnenuntergang Schmuck tragen.
»Gewiss«, sagte er. »Was wollten Sie eigentlich genau wissen? Ich habe seit dem Freitag, bevor sie weglief, nichts mehr von ihr gesehen oder gehört. Wann war das? Vor sechs, sieben Jahren?«
»Vor zehn.«
»Wie die Zeit verfliegt«, flüsterte er mit verträumtem Beiklang, den Gemeinplatz von sich gebend wie einer, der wusste, was er bedeutete.
»Gewiss«, sagte ich.
Er hob den Kopf und verengte die Augen, als sehe er mich zum ersten Mal.
»Es ist nicht höflich, mich zu verspotten«, meinte er höflich. Er schien sich aber halb darüber zu freuen, dass ich mir die Mühe gemacht hatte.
»Bedaure«, sagte ich. »Eine schlechte Angewohnheit von mir. Worüber hat sie damals gesprochen?«
»Ich fürchte, ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte er, dann hob er den einen Finger. »Warten Sie, ich glaube mich erinnern zu können, dass sie in meinem Büro vorbeikam, um mir zu sagen, sie hätte für den nächsten Abend Karten fürs ACT. Ich fürchte, ich weiß nicht mehr, was gegeben wurde. Es ist ziemlich lange her, Sie verstehen?«
»Zu lange«, räumte ich zum zehnten Mal ein.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich nach Ihren Motiven in dieser Angelegenheit erkundige?«
»Ihre Mutter hat mich gebeten, nach ihr zu suchen.«
»Machen Sie das als Beruf, oder gehören Sie zur Familie?«
»Beides«, sagte ich. »Ich bin ein Vetter ihrer Mutter und zugelassener Privatdetektiv.«
»Wären Sie beleidigt, wenn ich Sie bäte, mir einen Ausweis zu zeigen?«
»Nee«, sagte ich und zog meine Lizenzkopie heraus.
»Ihrer Aussprache nach hätte ich angenommen, dass Sie vom Teil der Familie in Texas oder Oklahoma stammen«, sagte er, als er sie zurückgab.
»Texas«, sagte ich. »Aber heute dürfen wir fast überall wohnen, wo wir wollen.«
»Verstehe«, sagte er. »Hat es irgendwelche neuen Informationen über Betty Sue gegeben, die ihre Mutter veranlassten, Sie zu beauftragen?«
»Nee«, erwiderte ich. »Ich war zufällig zur Hand. In einer anderen Sache hier unten. Und beide Söhne von Mrs. Flowers sind jetzt tot, sodass sie ihr Töchterchen einfach wiedersehen wollte.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie noch ein Töchterchen ist«, sagte er, über seinen eigenen Witz lächelnd. »Aber an Ihrer Stelle würde ich mich mit ihrem Vater in Verbindung setzen. Aus Gründen, die ich nicht ganz begreife – vielleicht, weil er ihr seine Zuneigung vorenthielt –, war Betty Sue auf ungesunde Weise auf ihn fixiert. Ich möchte annehmen, dass sie mit ihm Verbindung aufgenommen hat. Ja, ich würde nach dem Vater forschen«, sagte er, lehnte sich zurück, schlürfte sein Getränk und seufzte schwer wie ein Detektiv, der in einem existenzialistischen Film gerade einen großen, traurig korrupten Fall gelöst hat.
Mein Temperament und mein Mundwerk hatten mich schon immer in Schwierigkeiten gebracht. Und mich gelegentlich daran gehindert, das zu erfahren, was ich wissen wollte. Ich hätte Gleeson am liebsten erklärt, er sollte sich seinen dummen Rat irgendwo hinstecken. Statt zu meckern hielt ich aber den Mund und mein Temperament im Zaum.
»Ich hatte nie Gelegenheit, Betty Sue kennenzulernen, als sie aufwuchs«, sagte ich, die Richtung wechselnd. »Was für ein Mädchen war sie?«
»Einmalig«, antwortete er schnell, aber leise, dann verstummte er plötzlich, als hätte er etwas eingestanden. Jetzt hatte ich ihn.
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