James Crumley - Der letzte echte Kuss

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Zunächst sieht alles nach einem harmlosen Auftrag aus: Privatdetektiv Chauncey Wayne Sughrue aus Montana soll den Schriftsteller Abraham Trahearne ausfindig machen, der sich auf einer Sauftour quer durch Amerika befindet, und ihn zurück zu seiner Frau und an seinen Schreibtisch bringen. Sughrue trinkt sich von Tresen zu Tresen, doch als er den Autor endlich findet, nimmt das Unheil erst so richtig seinen Lauf. Barbesitzerin Rosie heuert die beiden für gerade mal 87 Dollar an, ihre seit zehn Jahren verschwundene Tochter Betty Sue zu finden. Und weil Sughrue bisweilen selbst hinter der Theke steht, um nicht davor hocken und saufen zu müssen, und weil er ein Herz für die Barkeeperin hat, nimmt er den Auftrag an. Ein wilder Roadtrip beginnt – mit der durstigen Bulldogge Fireball Roberts und dem ramponierten Schriftsteller im Schlepptau.

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James Crumley

Der letzte echte Kuss

Der erste Fall für Sughrue

Aus dem Amerikanischen von Tony Westermayr

Kampa

Für Dick Hugo,

den großen, alten Detektiv des Herzens

Du kommst vielleicht sonntags in einer Laune hin. Sagen wir, dein Leben ist kaputt. Der letzte schöne Kuss, den du bekommen hast, ist Jahre her. Du gehst durch diese von Irren angelegten Straßen, vorbei an Hotels, die nicht von Dauer, an Bars, die es doch waren, am gequälten Versuch der Fahrer, ihr Leben zu beschleunigen. Nur Kirchen werden instand gehalten. Das Gefängnis ist dieses Jahr 70 geworden. Der einzige Gefangene ist immer zu Hause, ohne zu wissen, was er getan hat …

Richard Hugo, Degrees of Gray in Philipsburg

1

Als ich Abraham Trahearne endlich einholte, trank er in einer baufälligen Kneipe direkt vor Sonoma in Kalifornien Bier mit einer Säufer-Bulldogge namens Fireball Roberts und soff einen schönen Frühlingsnachmittag kaputt.

Trahearne war schon fast drei Wochen auf dieser Wander-Sauftour, und der große Mann in zerknittertem Kaki sah aus wie ein alter Soldat nach einem langen Feldzug; er trank langsam ein Bier nach dem anderen, um den Geschmack des Todes fortzuspülen. Der Hund kauerte wie sein müder kleiner Kumpel zusammengesunken auf dem Nachbarhocker und hob nur gelegentlich den Kopf, um aus einem schmutzigen Aschenbecher auf der Theke Bier aufzuschlabbern.

Keiner von beiden machte sich die Mühe, einen Blick auf mich zu werfen, als ich mich auf einen Barhocker zwischen der Bulldogge und den zwei anderen Gästen dort schob, stellenlosen Baumschatten-Mechanikern, die über ihre verlorenen Arbeitslosen-Schecks, ihre letzte Vorstrafe wegen Volltrunkenheit und den vermutlichen Verbleib der Steuerkette eines 57er Chevrolet sprachen. Ihre knorrigen Gesichter und die nasale Sprechweise stammten aus einer anderen Zeit, einem anderen Ort. Aus den dreißiger Jahren mit der großen Dürre und einem selbst gebastelten Klapperkasten von Lastwagen Model T, der untergehenden Sonne entgegen. Als ich mich hinsetzte, warfen sie mir mit den schmalen Augen der Leute vom Land Blicke zu und musterten mich von oben bis unten, als wäre ich ein aufgegebenes Autowrack, das sie ausschlachten wollten. Ich nickte freundlich, um ihnen klarzumachen, dass ich ein Wrack sein mochte, aber noch kein Totalschaden. Sie erwiderten meinen stummen Gruß mit leeren Augen und nachdenklichem Nicken, das anzudeuten schien, man könnte für Unfälle sorgen.

Von zu vielen Meilen auf den falschen Straßen schon erschöpft, ließ ich sie denken, was sie mochten. Als ich bei dem älteren Barmädchen ein Bier bestellte, kippte sie aus ihren Tagträumen in ein schläfriges Grinsen. Sie machte die Flasche auf, und der Hund erwachte aus seinem Trunkenheitsschläfchen, rülpste wie ein Drache, stemmte seine mageren Hinterbeine hoch und watschelte über drei wacklige Hocker durch die muffige Wolke aus schalem Bier und Bulldoggen-Atem, um mir für einen Schluck von meinem Bier einen nassen, fadenziehenden Kuss anzubieten. Ich gab ihm nichts, und er erhöhte den Einsatz, indem er meinen ganzen sonnenverbrannten Ellenbogen besabberte. Trahearne knurrte scharf einen Befehl und schüttete etwas Bier in den Aschenbecher. Der Hund starrte mich traurig klagend an, dann wackelte er zu einer sicheren Sache zurück.

Während ich mit einem feuchten Lappen, der vor zu kurzer Zeit und zu oft denselben Zweck erfüllt hatte, den Hundespeichel von meinem Arm wischte, fragte ich das Barmädchen nach einem Münztelefon. Sie deutete stumm auf die grauen staubigen Bereiche hinter dem Billardtisch, wo ein schwarzes Telefon hing.

Als ich an Trahearne vorbeiging, hatte er seinen schweren Arm um die faltigen Schultern der Bulldogge gelegt und rezitierte Lyrik in das Stummelohr. »Der Fels vor uns beginnt zu reißen … vor diesem grünen Meereswind … die … Der Salzgestank des Wales … ach, Mensch … hundsgemein waren wir, alter Freund, hundearm sind wir geworden, und Hundekacke werden wir sein …« Dann kicherte er ziellos in sich hinein, wie ein alter Mann, der seine Brille sucht.

Es störte mich nicht, wenn er Selbstgespräche führte. Das machte ich selbst auch schon lange.

Das hatte ich ebenfalls an dem Nachmittag gemacht, als Trahearnes geschiedene Frau mich angerufen hatte – in meinem kleinen Blechwandbüro in Meriwether, Bundesstaat Montana, sitzend, während ich über die Gasse hinweg auf den überquellenden Müllcontainer gestarrt und mir gesagt hatte, es mache mir nichts aus, wenn das Geschäft schlecht ginge, es sei mir sogar recht. Dann schnurrte das Telefon. Trahearnes Ex-Frau war ganz sachlich. In weniger als einer Minute hatte sie erklärt, dass sowohl die Gesundheit als auch die Trinkgewohnheiten ihres Ex-Ehemannes schlecht seien und sie den Wunsch habe, ich solle ihn finden, ihn auf seiner langen Sauftour aufspüren, bevor er sich in ein frühes Grab hineintrinke. Ich schlug vor, dass wir uns über den Auftrag unter vier Augen unterhalten sollten, aber sie wollte mich sofort auf der Straße haben; ich sollte keine Zeit mehr damit verlieren, dass ich die drei Stunden nach Cauldron Springs hinauffuhr. Um Zeit zu sparen, hätte sie bereits ein Lufttaxi ab Kalispell bestellt, das in eben diesem Augenblick Richtung Meriwether fliege und mir einen Barscheck als Vorschuss, eine Liste von Trahearnes Lieblingskneipen im Westen – vor allem jene, über die er nach anderen Sauftouren Gedichte geschrieben hatte – und ein Schutzumschlag-Foto von seinem letzten Roman bringe.

»Und wenn ich den Auftrag nicht annehmen will?«, fragte ich.

»Wenn Sie gesehen haben, wie hoch der Vorschuss ist, werden Sie ihn wollen«, erwiderte sie kühl und legte auf.

Als ich am Flugplatz Meriwether den großen braunen Umschlag abholte, warf ich einen Blick auf den Scheck und beschloss, den Auftrag zu übernehmen, bevor ich mir noch das Foto ansah.

Trahearne schien ein großmächtiger Mann zu sein, ein Dockarbeiter im Ruhestand, wie er an einer Säule auf der Veranda des Cauldron Springs Hotels lehnte, in einer Hand ein leuchtendes Getränk, in der anderen eine rauchende Zigarre. Man sah ihm sein Alter sogar durch das jungenhafte Grinsen hindurch an, aber zur Kur war er gewiss nicht nach Cauldron Springs gegangen. Hinter ihm schlurften zwei arthritische Gespenster in gleichen Karo-Bademänteln durch den breiten, dunklen Eingang in die Sonne. Ihre uralten Gesichter schienen vor Vorfreude darauf zu lächeln, ihre spröden Knochen in die heißen Mineralquellen zu tauchen.

In den Jahren, die ich damit verbracht hatte, nach vermissten Ehemännern, Ehefrauen und Kindern zu suchen, hatte ich gelernt, nicht zu glauben, ich könnte in ein eindimensionales Gesicht blicken und den Menschen hinter der Fotografie erkennen. Der große Mann wirkte aber wie einer, der eine breite Bahn zieht und eine unübersehbare Spur hinterlässt.

Anfangs war es zu einfach. Wieder in meinem Büro, rief ich fünf oder sechs von den Bars an und erwischte den Alten in Ovanda, Montana, in einer großartigen kleinen Bar, die Trixi’s Antler Bar hieß. Trahearne war aber schon fort, bis ich die achtzig Meilen zurücklegte, und hatte dem Barmann erklärt, er sei unterwegs nach Two Dot, um sich die Bierdosensammlung in einer der beiden Bars von Two Dot anzugucken. Ich verfolgte ihn durch ganz Montana, aber als ich Two Dot erreichte, war Trahearne zur 666 in Miles City weitergefahren. Von dort aus fuhr er in Richtung Süden nach Buffalo in Wyoming, um ein episches Werk über den Krieg im Johnson County zu schreiben. Das erzählte er jedenfalls der Kellnerin. Wie sich herausstellte, unternahm Trahearne nie einen Schritt, ohne ihn mit allen Leuten im Lokal zu besprechen. Dadurch konnte man ihm mühelos folgen, ihn aber nicht einholen.

Wir machten die Tour durch die Bars, sahen uns die Sehenswürdigkeiten an. Das Hotel Chugwater unten in Wyoming, das Mayflower in Cheyenne, das Stockman’s in Rawlings, eine Stacheldrahtsammlung in der Bar des Hotels Sacajawea in Three Forks, Montana, Gesteinsbrocken in Fossil, Oregon, betrunkene Mormonen in ganz Nord-Utah und Süd-Idaho – ziellos im Kreis herum. Zweimal charterte ich Privatflugzeuge, um dem Alten zuvorzukommen, und zweimal tauchte er erst auf, als ich wieder fort war. Sein Geschmack an Bars gefiel mir, aber ich betrat und verließ so viele davon, dass sie alle anfingen, wie stets dieselbe Bar auszusehen. Mitte der zweiten Woche wurden meine Spesen sogar mir peinlich, sodass ich die gewesene Mrs. Trahearne anrief, um zu fragen, wie viel Geld sie in das rollende Saufloch schütten wolle.

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