»Woll’n Se mich nen Lügner nenn?«, fragte Lester, während er die Fäuste ballte.
»Durchaus nicht«, sagte ich, und machte einen zweiten Fehler, während ich zu meinem Bier an die Theke zurücktrat: Ich versuchte, die Dinge zu erklären. »Hören Sie, ich bin Privatdetektiv, und die geschiedene Frau des Herrn hat mich beauftragt …«
»Was’n los?«, unterbrach mich Lester verächtlich, »is er mit seinen gottverdammten Al-ü-menten im Rückstand, was? Ihre Sorte kenn ich, Freundchen. Ein mieser, hinterlistiger Dreckskerl wie Sie is mir mal bis zu meiner Mama in Barstow nachgefahr’n, nur weil ich der Hure, mit der ich verheiratet war, ’n paar Monate nischt bezahlt hab, un’ ich will Ihn’ bloß sagen, ich hab ihm sauber den Arsch versohlt, und gute Lust, dass ich’s mit Ihn’ genauso mach.«
»Wollen wir uns einfach beruhigen, hm?«, sagte ich. »Ich spendiere den Herren eine Runde und erzähle Ihnen alles, ja?«
»Ich will hier kein’ Ärger«, warf Rosie leise ein.
»Kein Ärger«, sagte ich. Lester und Oney mochten Komikergesichter, eine seltsame Redeweise und schlechte Zähne haben, aber sie hatten auch Handgelenke, so dick wie Zaunpfähle, knochige, beschwielte Hände, klumpig, wie Socken voll Steinbrocken, und ein Leben voller Zorn und Groll hinter sich. Ich war mit solchen Menschen aufgewachsen und hütete mich, ernsthaft mit ihnen in Streit zu geraten. »Gar kein Ärger«, sagte ich. »Ich gehe schon.«
»Das reicht aber hint’n und vorne nich«, knurrte Lester, als er zwei Schritte auf mich zutrat und einen Schwinger auf mein Gesicht loslassen wollte.
Ich duckte ab, dann hieb ich ihm mit einer Rückhand die halbvolle Bierflasche auf den Kopf. Sein rechtes Ohr verschwand in einem blutigen Schaumregen, er fiel seitlich um und krabbelte ein Stück, während er fluchend die Hand aufs Ohr presste. Oney stand auf und setzte sich wieder, als er die abgebrochene Flasche in meiner Hand sah.
»Reicht das?«, fragte ich.
Oney stimmte mit einem nervösen Nicken zu, aber Lester hatte gerade in seine Hand geguckt und kleine Stückchen von seinem Ohr gefunden. Er schrie mit dünner, hoher Stimme: »Verdammich, Oney, hol die Pistole!«
Hinter mir hörte ich Trahearne aufstehen und verträumt fragen, was denn los sei. Niemand antwortete. Oney und Rosie und ich guckten einander starr an. Dann reagierten wir alle gleichzeitig. Rosie hetzte die Bar hinunter zur Pistole, während Oney hinüberkletterte. Ich warf einen Blick auf die Dogge, die immer noch wie ein Murmeltier schlief, dann suchte ich das Weite. Ich hätte es auch geschafft, aber der gute olle Lester rollte sich herum und rammte mir eine Schulter in mein Knie. Wir brachen zusammen. Genau auf sein kaputtes Ohr. Er wimmerte, klammerte sich aber fest. Sogar noch, als ich aufstand und ihm eine Handvoll schmutziger Haare ausriss.
Hinter der Theke rangen Rosie und Oney immer noch um die Pistole. Trahearne war so weit nüchtern geworden, dass er sie sah, aber als er davonzulaufen versuchte, krachte er an den Billardtisch und versuchte dann, unter ihn zu kriechen, als Oney Rosie die Pistole aus der Hand riss und sie wegstieß. Im Fallen schrie sie: »Fireball!« Ich gab auf und hob die Hände, fand mich mit einem Nachmittag Spaß und Spiel als Strafe für Lesters Ohr ab. Aber als Oney die Pistole hob und mit dem Daumen den Sicherheitshebel umlegte, fuhr Fireball aus tiefem Schlaf hoch und setzte wie ein Blitz aus fettem grauem Licht mit einem einzigen Sprung über die Theke. Noch in der Luft verbiss er sich mit den gelben Stummelzähnen in Oneys Rücken, an der empfindlichen Stelle knapp unter den kurzen Rippen und über der Niere. Oney ächzte wie jemand, dem man einen Baseballschläger übergezogen hat, ließ die Arme fallen und erbleichte so stark, dass alte Pickelnarben auf seinem ganzen Gesicht glühend rot aufleuchteten. Er ächzte noch einmal, schluchzte kurz auf und drückte ab.
Der erste Schuss riss ihm einen erheblichen Teil vom rechten Fuß weg, der zweite richtete eine schaumige Verheerung im Wasserkühltank an, und der dritte durchschlug die dünne Hartfaserplatte der Thekenwand und fuhr Mr. Abraham Trahearne genau in seinen berühmten Hintern. Der vierte pulverisierte Billardkugel 14, der fünfte zerballerte eine Fensterscheibe, der Rest durchsiebte das Dach.
Als das Magazin endlich leer war, sank Oney hinter der Bar langsam zusammen, die Pistole mit der erhobenen Hand umklammernd und Fireball immer noch wie einen fetten grauen Blutegel am Rücken. Während der Pistolensalven war der Kater aus dem Nichts aufgetaucht und schoss nun wie ein schwarzer Blitz zur Eingangstür hinaus. Lester umklammerte wie ein verschrecktes Kind meine Knie. Oder wie ein Mann, dessen Erzählungen nun endlich wahr geworden sind.
»Verdammt noch mal, Lester«, sagte ich, als der Widerhall aufgehört hatte, die alten Balken zu erschüttern, »Sie verbluten mir.«
»Tut mir leid«, sagte er leise, als sei ihm ernst damit, dann ließ er mich los.
Als ich ihm mein Taschentuch für sein Ohr gab, kam Fireball um die Theke herumgetrabt. Seine hängenden Lefzen waren blutgerändert. Er kletterte auf den vorspringenden Thekensockel, auf einen Hocker und die Theke. Er arbeitete sich dort entlang, kippte Flaschen um, fing sie mit dem Maul auf und trank sie leer. Dann leckte er seinen Aschenbecher aus, rülpste und sprang auf demselben Weg, den er hinaufgekommen war, wieder hinunter. Mit erschöpftem Watscheln, aus dem bei jedem Schritt ein Seufzer zu kommen schien, wanderte er zum Eingang und streckte sich in einem Flecken Sonnenlicht aus, schlief schon, bevor sein Bauch den Boden berührte und kleine, zarte Schnarcher die Stäubchen in der Luft aufwirbelten.
»Ich glaube nicht, dass ich so etwas schon einmal gesehen habe«, sagte ich zu Lester.
»Gottverdammter Mistköter«, knurrte Lester, während er zu einer Nische ging, um sich hinzusetzen.
Ich ging hinter die Bar, um nach Oney und Rosie zu sehen. Oney war ohnmächtig geworden, und sie lag wie eine Leiche auf den Laufbrettern. Nur hatte sie die Hände auf die Ohren gepresst, statt sie auf der Brust zu kreuzen.
»Irgendjemand tot?«, fragte sie, ohne die Augen aufzumachen.
»Ein paar gehfähige Verwundete, aber keine Toten«, erwiderte ich.
»Wenn Sie warten würden, bis ich meinen Verstand beisammen habe, bevor Sie die Polizei rufen, wäre ich sehr dankbar«, sagte sie. »Wir müssen uns was ausdenken, wie wir den ganzen Scheiß erklären.«
»Richtig. Haben Sie Whiskey?«
Sie wies mit dem Kinn auf einen Wandschrank, wo ich eine halb leere Flasche Old Crow fand. Ich tat für Oneys Fuß, was ich tun konnte, zog seinen Arbeitsschuh und den Baumwollsocken aus und goss etwas Whiskey auf die Knubbel, wo seine beiden Mittelzehen gewesen waren; dann wickelte ich den Fuß in ein sauberes Spültuch. Nachdem ich den Hundebiss mit Kernseife ausgewaschen hatte, ging ich hinüber zu Lester, um ihm zu helfen, Glassplitter aus der Schläfe und dem zerfetzten Ohr zu ziehen.
»In das Ohr steckt keine Dame mehr ihre Zunge rein«, witzelte ich.
»Da war ich sowieso nie dafür«, sagte er steif. »Wie geht’s dem ollen Oney?«
»Hat sich zwei Zehen weggeschossen«, sagte ich.
»Große oder kleine?«
»Mittlere.«
»Mensch, das is gar nischt«, sagte Lester, während er vorsichtig sein Ohr berührte. »Un’ Rosie?«
»Ich glaube, sie macht ein kleines Schläfchen.«
»Der Große da, scheint’s, auch«, sagte Lester mit einem Nicken.
Ich hielt es für unliebenswürdig, darauf hinzuweisen, dass aus dem »Alten« auf irgendeine Weise der »Große« geworden war, also ging ich hinüber, um festzustellen, warum Trahearne immer noch unter dem Billardtisch kauerte.
»Alles in Ordnung, Mr. Trahearne?«, fragte ich, als ich niederkniete, um unter den Tisch zu gucken.
»Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich eine Kugel erwischt, glaube ich«, erwiderte er ruhig.
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