Vor dem Celtic Park gab es irische Trikoloren mit dem Celtic-Emblem zu kaufen und Schals, auf denen die Führer des irischen Osteraufstands von 1916 und Che Guevara verehrt wurden. Denn der findige Ire hat herausgefunden: Der Argentinier und Comandante der kubanischen Rebellenarmee hatte irische Vorfahren (wie vermutlich auch Adam und Eva – im Falle von Che Guevara stimmt es aber tatsächlich) und hieß eigentlich Ernesto Che Guevara Lynch. Den Che-Guevara-Schal ziert eine Aussage seines Vaters: „In my son’s veins flowed the blood of Irish Rebels“. 2017 gab die irische Post zum 50. Todestag des Comandante eine Sondermarke heraus.
Meine Annäherung an Celtic begann also über den Umweg Nordirland, wo ich realisierte, dass in einer Stadt wie Belfast die Celtic-Rangers-Rivalität eine genauso große Rolle spielt wie in Glasgow selbst. Und so wie der Konflikt in Nordirland nicht einfach nur einer zwischen zwei Konfessionen war – hierzulande war ja häufig von einem „Religionskrieg“ die Rede –, greift es auch zu kurz, die Celtic-Rangers-Rivalität auf Katholiken gegen Protestanten zu reduzieren und Celtic auf einen „katholischen“ Verein. Dies stimmte bereits bei der Gründung nicht. Zwar wird als Gründer des Vereins der aus Irland stammende Mönch Walfried verehrt, aber Celtic war vor allem ein Projekt irischstämmiger Geschäftsleute und der politischen Klasse der irischen Einwanderer, die für die Selbstständigkeit des Landes ihrer Herkunft agitierten. Später übte Celtic auch eine große Anziehungskraft auf Glasgows Sozialisten aus.
Heute befindet sich Celtic zwar international nur noch in der zweiten Reihe, ist aber unverändert einer der weltweit populärsten Fußballklubs. Verantwortlich hierfür ist eine Melange aus Fußball, Politik und Religion sowie die große irische Diaspora, auf die sich der Klub verlassen kann. Die Zahl der außerhalb Irlands lebenden Menschen mit irischen Wurzeln wird auf 70 Millionen geschätzt, davon allein 34,7 Millionen in den USA. (In Che Guevaras Argentinien sind es 350.000 bis eine halbe Million.)
Dieses Buch erzählt nicht nur Celtics sportliche Geschichte, sondern auch über die besondere Beziehung des Klubs zur irischen Insel, hier vor allem zur katholischen/republikanischen Community in Nordirland, sowie die Auswirkungen der Rivalität mit dem „protestantischen“ Stadtrivalen Rangers auf den Nordirlandkonflikt. Die Fan-Freundschaft zwischen Celtic und dem FC St. Pauli („The Rebel’s Choice“) darf natürlich auch nicht fehlen.
Dietrich Schulze-Marmeling
PS
Wer auf dem Weg von Dublin nach Belfast einen kleinen Umweg über Carlingford macht, der sollte hier unbedingt zwei Orte besuchen. Zum einen Dan’s Stone Wall Café, das am zentralen Platz liegt und u. a. exzellenten Kuchen serviert. Besitzer Dan McKevitt ist Celtic-Fan. Vom Café sind es nur wenige Schritte bis zu Guinness mit Austern im Pub PJ’s.
TEIL I
Die Geschichte von Celtic Glasgow
KAPITEL 1
Katholiken in einem reformierten Land
In den 1840ern wird Glasgow zur neuen Heimat von Zehntausenden Iren, die vor den Hungerkatastrophen in ihrer Heimat fliehen. Die meisten von ihnen sind Katholiken. In einem Land, wo die Reformation besonders stark triumphierte, stoßen sie auf Skepsis bis Ablehnung. Viele von ihnen lassen sich in Glasgows East End nieder und bilden dort die Basis für die spätere Gründung des Fußballklubs Celtic.
Der Celtic Football Club wird 1887 in Glasgow als Verein von Immigranten gegründet, die sowohl eine irische wie eine katholische Identität mitgebracht haben. Warum das in den Augen ihrer alteingesessenen schottischen Mitbürger ein gewaltiges Stigma ist, erschließt sich aus der Geschichte religiöser und sozialer Konflikte auf der britischen Insel und im benachbarten Irland.
Im 16. und 17. Jahrhundert fegt eine kirchliche Reformbewegung durch Europa, die die Autorität der katholischen Kirche und des Papstes in Frage stellt und zur Spaltung des westlichen Christentums in ein katholisches und ein protestantisches Lager führt.
In Schottland beschließt 1560 das Parlament den Bruch mit Rom und das Verbot der Messe. Das protestantische Lager ist in Europa nicht einheitlich, sondern besteht aus verschiedenen Strömungen, deren wichtigste Lutheraner und Reformierte sind. Zu den Reformierten zählen auch die schottischen Presbyterianer, die sich in ihrem Land durchsetzen. Die reformierte (presbyterianische) Kirche Schottlands wird Nationalkirche, ist aber nicht wie die anglikanische Kirche in England Staatskirche.
In Schottland feiert die Reformation einen Siegeszug wie in keinem anderen Land Europas. Der katholische Glaube ist bald nur noch spürbar in den gälisch sprechenden West Highlands, auf einigen der Hebriden-Inseln und in Banffshire im Nordosten zu finden.
Obwohl der Katholizismus nur noch eine Randerscheinung ist, herrscht weiterhin ein militanter Anti-Katholizismus. 1790 sind in Glasgow zwar nur 39 Katholiken registriert, trotzdem gibt es 49 antikatholische Vereinigungen.
1707 opfert das schottische Establishment im Act of Union freiwillig die politische Souveränität, um am wirtschaftlichen Aufstieg des Empires besser teilhaben zu können. Anders als im Falle von Wales ist die Union zwischen Schottland und England kein Produkt von Eroberung und Annexion, sondern von Verhandlungen zwischen zwei souveränen Partnern. Den Schotten wird gestattet, drei bedeutende zivile Institutionen – die presbyterianische Church of Scotland (auch „Kirk“ genannt), das schottische Erziehungs- und das schottische Rechtswesen – beizubehalten. Dies garantiert ein gewisses Maß an Autonomie und Eigenentwicklung.
Mit der Reformation und dem Act of Union driften Schottland und das benachbarte Irland – der protestantische Teil Ulsters ausgenommen – auseinander. Diese Entwicklung wird durch die um 1760 in Schottland einsetzende industrielle Revolution noch forciert. Zwischen den beiden Völkern entsteht nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine wirtschaftliche Kluft. Während Schottland nun an der Seite Englands eine der ersten Industrienationen wird, verharrt die unverändert gen Rom blickende irische Insel in wirtschaftlicher Unterentwicklung und in Opposition zur englischen Kolonialmacht. Die Ausnahme bildet der Raum Belfast, wo sich im Zuge der Plantation – der britischen Besiedelung Irlands im 16. und 17. Jahrhundert – viele der schottischstämmigen Siedler niedergelassen haben. Durch die Einbindung in ein industrielles Dreieck mit Liverpool und Glasgow avanciert Belfast zu einem Außenposten der englisch-schottischen Wirtschaft.
Industrielle Revolution
Mit der industriellen Revolution erlebt Glasgow eine Bevölkerungsexplosion. Ende des 18. Jahrhunderts leben 47.000 Menschen in der Stadt, 1830 sind es bereits 200.000 und Ende der 1880er, zum Zeitpunkt der Gründung von Celtic Glasgow, etwa 800.000. Glasgow entwickelt sich zum „Workhouse of the World“ und zur „zweiten Stadt“ des Empires. Glasgow wird zur viktorianischen Stadt schlechthin. Zunächst zieht es die Highlander in die Stadt am Fluss Clyde, später folgen irische Einwanderer, wodurch die Zahl der Katholiken wieder zunimmt und der schottische Katholizismus einen neuen Charakter erhält: Er wird nun ein stark irisch geprägter. „Katholisch“ und „irisch“ sind nun zwei Seiten einer Medaille, und zum anti-katholischen Sektierertum gesellt sich ein anti-irischer Rassismus.
Um 1800 gibt es in Glasgow nur wenige hundert Katholiken. Zu diesem Zeitpunkt ist Katholizismus noch primär ein Highland-Phänomen. Aber nun hält er wieder in den Städten Einzug. 1822 werden in Glenvilet, einer Hochburg des Katholizismus in den Highlands, 1.200 Katholiken gezählt, in Glasgow sind es bereits 15.000.
Für das protestantische Schottland sind die irischen Einwanderer potenzielle Unruhestifter. Auch die katholischen Bischöfe betrachten die Neuankömmlinge mit Skepsis. Für die wachsende katholische Community werden zusätzliche Priester benötigt. Als Schottlands Bischöfe in den 1780ern diesbezüglich in Rom vorstellig werden, machen sie deutlich, dass sie keine irischen Priester wollen. Denn die könnten unter den Neuankömmlingen den Widerstand gegen den britischen Staat und das Festhalten an einer irischen Identität befeuern. Man befürchtete eine „Kolonialisierung“ durch die irischen Kollegen. Außerdem könnte eine Verbindung von katholischem Glauben und pro-irischen Manifestationen den Anti-Katholizismus in der Stadt anheizen.
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