Werner Hansch - '… Alles andere ist Schnulli-Bulli!'

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Reporterlegende Werner Hansch prägte lange Zeit die Bundesliga-Konferenz im Radio. Danach wechselte er zu Sat.1 und sprach für 'ran' Kommentare, die noch heute unvergessen sind ('Alles andere ist Schnulli-Bulli!'; 'Ein geiles Tor!'). Nicht wenige bezeichnen den Sohn eines Bergmanns auch als die 'Stimme des Ruhrgebiets', weil Hansch ein unverkennbares Timbre besitzt und sehr farbig erzählen kann, sei es von Brieftauben, von Trabrennen oder vom Fußball. Neben Anekdoten aus der Welt des Fußballs und der Medien halten seine Memoiren auch viele Überraschungen parat. So hätte man wohl kaum vermutet, dass der wortgewaltige Hansch als Kind Deutsch verlernte und jahrelang nur Polnisch sprach. Warum es so kam, das hängt mit einer dramatischen Familiengeschichte zusammen, die Hansch hier zum ersten Mal erzählt. Das Buch blickt allerdings nicht nur zurück, sondern auch voraus: Hansch nimmt die Gelegenheit wahr, sein Engagement für jene zu erklären, deren eigene Erinnerungen sich trüben – die ständig wachsende Zahl der Demenzkranken.

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Werner Hansch

mit Uli Hesse

»… Alles andere ist

Schnulli-Bulli!«

Mein verrücktes Reporterleben

VERLAG DIE WERKSTATT

Bildnachweis:

Die Fotos stammen, soweit nicht anders nachgewiesen, aus der

Sammlung Werner Hansch.

Umschlag vorne: picture alliance

Innenklappe vorn: picture alliance

Innenklappe hinten: privat / Uli Hesse

Trotz intensiver Recherchen konnte nicht in allen Fällen die

Urheberschaft an den Fotos ermittelt werden. Der Verlag bittet um

entsprechende Hinweise, um berechtigte Ansprüche abzugelten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

Copyright © 2014 Verlag Die Werkstatt GmbH

Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt

ISBN 978-3-7307-0145-4

Inhalt Anpfiff Erinnern Kriegskinder Mein Vater, ein unbekanntes Wesen Bergmann, Kommunist, Oppositioneller Polnische Kinderjahre Die Leusbergstraße in Recklinghausen Süd Das Wunder von Bern findet ohne mich statt Der erste „Leusbub“ macht Abitur Bildungsprozesse Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd Eine neue Welt in Berlin Waise mit Anfang zwanzig Jobberei, Ehe und ein neues Studium Meine kurze Karriere als Lehrer Pferdemann und Fußballnovize Zum ersten Mal am Mikrofon Unvergessliche PolenreisenNorbert Nigbur, Startnummer einsWieder Student und Stadionsprecher auf Schalke SingvogelMit Oskar nach ZagrebMit den Pferden nach MoskauKurt Brumme holt mich zum Rundfunk Der Mann, der immer die Ansager spielt15.30 UhrGeschäftsführer und FilmstarEin großer Coup – und ein Reinfall Mein größter Tag am MikrofonIch sehe was, was du nicht siehstIch erzähle vom PferdAls Goldjunge bei OlympiaRundfunkkollegen Vom Radio ins FernsehenAls Reporter bei einer heißen WeltmeisterschaftHeribert Faßbender holt mich zum FernsehenBedrohlicher RosenmontagMit ran zu neuen Ufern Meine größte Nacht am MikrofonEin geiles TorEin unterschlagenes TorLate-Night-GästeZwei Hände am PottAuf Krücken zum Telestar Das schleichende Ende von ran Ein Freundschaftsdienst für Christoph DaumPferdepreise, PferdestärkenMeister der HerzenDie Kirch-KriseZimmer frei Holt die Demenz aus der TabuzoneBrummes Begräbnis„Das Beste in Kürze: Das Spiel ist aus!“Reporter im UnruhestandZwei besondere GesprächeEin kleiner Unfall mit schrecklichem AusgangRudi Assauer, ein Film und die Folgen Abpfiff Biografische Daten Werner Hansch in Bildern

Für Jakob und Ana,

Hannes und Ella

Anpfiff

Ich habe nie Fußball gespielt. Nicht als Kind auf der Straße, was damals üblich war in unserem Viertel, nicht in der Schule und im Verein schon gar nicht. Ich war wohl ein ganz guter Läufer, aber der Ball wollte mir einfach nicht folgen. Mein Untalent für diese Sportart wurde schon sehr früh abgestraft, wenn es darum ging, Mannschaften beim Straßenfußball aufzustellen. Zwei Anführer wählten dann abwechselnd ihre Lieblinge, nach der Methode: einen Fuß vor den anderen. „Ich nehm’ den Kalle.“ „Dann nehm’ ich den Nobbi.“ Einer blieb meistens übrig. Also stand ich mal wieder hinter einem der improvisierten Tore, um Bällen nachzurennen, die vorbeigeflogen waren. Es musste schnell gehen – für die anderen.

Wie sollte sich bei solcher Voraussetzung je ein gesteigertes Interesse oder gar helle Begeisterung für Fußball entwickeln? Wieviel Fantasie muss einer aufbringen, um sich vorzustellen, dass ausgerechnet dieser Sport später mal zum beruflichen Schwerpunkt meines Lebens werden sollte?

Und doch hat eine unwiederholbare Verkettung von Zufällen es tatsächlich so gefügt. Es begann im Februar 1973, mit 34 Jahren, als Stadionsprecher wider Willen. Der Fußball war also längst erfunden und mit ihm wohl auch die so spezifische Fußballsprache. Alle Bewegungsabläufe und Ereignisse, die typischerweise ein Fußballspiel ausmachen, hatten altgediente Sportreporterlegenden quasi schon in Blei gegossen. Als ich 1978 geradezu hineingeworfen wurde in den Reporterjob, erkannte ich schnell: Ohne stereotype Redewendungen und eingefahrene Floskeln kommt da keiner durch. Aber ich spürte schon bald auch eine reizvolle Versuchung, hier und da mal auszubrechen aus dem Stehsatz des Archivs – durch die Einführung neuer Sprachbilder.

Dieser verlockende Doppelpass zwischen Stimme und Sprache wurde schließlich ein nachhaltiges Erkennungsmerkmal meiner Reportagen. Es verblüfft mich immer wieder, wenn fremde Menschen, denen ich zufällig begegne, spontan bildhafte Wortpassagen aus längst verjährten Beiträgen zitieren. „Es war mal in Bochum, da haben Sie gesagt: Das Problem bei Uwe Leifeld liegt zwischen den Ohren!“ Nun ja, der Uwe war seinerzeit ein begehrter Torjäger beim VfL. Manchmal spielte halt sein Kopf nicht mit, dann war er zu rappelig vor der Kiste und vergab dicke Chancen.

Und wie war noch mal die Geschichte mit Olaf Dressel? Ehemals Verteidiger in Bochum von eher grobkantiger Natur. Einmal traf sein verspäteter Tritt nur noch den Fuß eines Gegenspielers. Der stöhnte lauthals auf. Diesen Kracher habe ich beinahe musikalisch vertont. „Dressels Beitrag zum Mozart-Jahr: Ein Foul aus dem Knöchelverzeichnis.“ (Es geschah 1991, im 200. Todesjahr des Komponisten.) Ohrenzeugen aus jener Zeit haben mir diesen „Fußball-Mozart“ noch Jahre später nachgetragen.

Im großen Fußball unserer Tage hat die Abteilung Humor kaum noch Raum. Immer öfter geht es um alles. Manche sagen – wenn auch mit einem Augenzwinkern –, es ginge gar um Leben und Tod.

Aus meiner Distanz habe ich die Dinge immer schon ein gutes Stück weit tiefer gehängt. Ein Spiel halt, mit überschaubaren Regeln, ausgetüftelten Systemansätzen und endlosen taktischen Varianten. Was dann auf dem Platz herauskommt, ist nicht selten langweilig, manchmal spannend bis prickelnd, bestenfalls auch mal begeisternd. Am Ende zählt doch immer nur das eine: Der Ball muss ins Tor – alles andere ist Schnulli-Bulli.

Erinnern

Schweigend fuhren wir durch die Novembernacht. Von Zeit zu Zeit blickte ich verstohlen hinüber zu dem Mann, der neben mir auf dem Rücksitz des Wagens saß. Dann schaute ich wieder aus dem Fenster in die Dunkelheit und überlegte, was ich sagen sollte. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass mir die Worte fehlen, aber auf dieser Fahrt von Raesfeld nach Gelsenkirchen war das der Fall. Dabei wusste ich, dass ich mit Rudi Assauer reden musste, bevor unsere Wege sich trennten.

Ich kannte Rudi seit vielen, vielen Jahren. Wir hatten durch den Fußball ein gutes Verhältnis mit immer wiederkehrenden Begegnungen. Aber das waren eher Inseln. Es ist sicher falsch zu sagen, wir wären Freunde gewesen. Denn dazu gehört eine andere Art von Vertrautheit – und vor allem mehr zeitliche Nähe. Rudi und ich hatten abseits des Fußballs so gut wie keine gemeinsamen Interessen, daher sahen wir uns nur alle paar Wochen mal, meistens zu einem Anlass wie dem, der uns an jenem Herbsttag nach Raesfeld ins westliche Münsterland geführt hatte.

Nachdem Rudi im Mai 2006 völlig überraschend als Manager des FC Schalke abberufen worden war, erhielt er viele Einladungen. Seine Aura war noch immer lebendig, so bekam er Anfragen von Firmen, Banken oder Versicherungen, die zu Gesellschafterversammlungen und Ähnlichem gerne Gastredner präsentieren, die für Unterhaltung sorgen. Rudi machte das ein- oder zweimal, stellte aber schnell fest, dass es nicht das Richtige für ihn war. „Ich bin nicht wie der Reiner Calmund“, sagte er zu mir. „Ich kann nicht eine Stunde lang über die Bühne rennen und aus dem Bauch heraus erzählen. Das liegt mir nicht.“ Nach einer kurzen Pause setzte er vorsichtig hinzu: „Ich habe mir gedacht, wir könnten das vielleicht zusammen machen?“

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