Ein allgemeines, vielsagendes Kopfschütteln. Hier wusste man mehr und wusste es früher als bei den anderen Parteien ...
„Der plötzliche Tod seines Enkels in Baden ... Majestät kommt nicht darüber hinweg ...“
Ein nachdenkliches Schweigen. Vielleicht würde es ja auch wieder besser ...
Der Fürst Hunold von Elch-Altelch, ein riesenhafter, blonder Mann, blieb im Vorbeikommen stehen.
„Wissen Sie vielleicht: Ist Moltke im Haus?“
Jawohl. Der Feldmarschall war da. Innen im Saal. Hörte gewissenhaft den Rednern zu, als die Verkörperung preussischen Pflichtgefühls. Immerhin erschien er nur bei grossen Anlässen. Dazu war heute kein Grund. Allerdings: Bismarck war in Berlin. Man konnte nie wissen, wann sich um die Ecke herum, von der ganz nahen Wilhelmstrasse her, Blitz und Donner entlud.
Durch die Glastüre der Wandelhalle erschien ein junger, schlanker, hochaufgeschossener Leutnant im Überrock der Gardeinfanterie, zu Mitte der zwanzig, einen dunkelblonden Schnurrbart in dem dienstlich-straffen, lebhaften und hochmütigen Gesicht. Er hatte eine zwingende Selbstverständlichkeit an sich, mit der er die Einwendungen des Türhüters durch eine lässige Handbewegung abschnitt, und der alte Herr von Bornim sprach erfreut zu den anderen: „Da kommt mein Jüngster!“
Achim von Bornim trat heran. Er verbeugte sich mit der lächelnden Wohlerzogenheit eines korrekten jungen Offiziers vor den Herren. Der Alte stellte ihn vor und sagte dann: „Ich hab’ dich kommen lassen ... ich muss etwas mit dir besprechen ... setz dich einstweilen ... ich bin gleich so weit ...“
Dabei eilte er auf einen kleinen, im Saal auftauchenden Herrn mit viel zu grossem Kopf und dem Gesicht eines geistvollen Froschkönigs zu, dem viele Blicke folgten. Er winkte: „Einen Augenblick, Kollege!“ Windthorst blieb stehen, und die beiden kleinen Exzellenzen, die sich trotz ihrer getrennten Lager in bibelfestem Glauben trafen, vertieften sich in ein eindringliches Wispern ...
Achim von Bornim war inzwischen, straff aufgerichtet, den Säbel zwischen den Knieen, bei den anderen Abgeordneten sitzen geblieben. Der Fürst von Elch, dem der junge Leutnant gefiel, zog ihn wohlwollend ins Gespräch.
„Wie lange sind Sie schon Offizier?“
„Drei Jahre, Durchlaucht!“
„Und es gefällt Ihnen?“
„Famos, Durchlaucht!“
„Gehen Sie denn auch viel aus?“
„Jawohl, Durchlaucht! Diesen Winter war ich auch zu Hof befohlen!“
„Nun — da haben Sie wohl Einladungen genug?“
„Zu Befehl, Durchlaucht! Beinahe in allen Ministerien und Botschaften!“
„Und das macht Ihnen Spass — wie?“
„Sehr, Durchlaucht!“
„Er ist nicht fürs Kasinohocken!“ sagte Exzellenz von Bornim, von seiner Unterredung mit der Perle von Meppen zurückkehrend, und klopfte seinem Sohn auf die Schulter. „Er weiss, dass man von Skat und Bier nur dick und dumm wird ... Und dumm ist er nicht! Ja, schau nur so scheinheilig drein, mein Sohn! Dich kennt man! ... Du bist ’n geölter Aal! Um dich ist mir nicht bange ...“
„Hans Christoph lässt grüssen, Papa!“ sagte Achim, sofort mit einem instinktiven Takt das Gespräch von sich abwendend. „Ich war gestern mit ihm zusammen und mit ’nem Haufen anderer Diplomaten. Ich glaub’, ein paar von denen wissen mehr von ihm als er selber. Sie machten so Anspielungen, als würde er nächstens nach Südamerika verschickt. Er hat aber nichts davon gemerkt!“
„Ach, er merkt ja nie etwas!“ meinte Exzellenz von Bornim trocken. Der Fürst von Elch-Altelch erkundigte sich leutselig: „Sie sind viel mit Diplomaten zusammen, Herr von Bornim?“
„Ja, Durchlaucht! ... Man hört doch mal was anderes als den Kommiss. Es rostet einem ja auch sonst das Englisch und Französisch ein ... Ich hatte vorige Woche den Vorzug, einem Neffen Eurer Durchlaucht während seines Berliner Aufenthalts als Begleiter dienen zu dürfen.“
„Ach ... der kleine Belgier! ... Der Christoph Bergham!“
„Jawohl, Durchlaucht! ... Seine Hoheit war sehr gnädig!“
Der Leutnant von Bornim sass straff und ehrerbietig da. Seine ganze Haltung drückte unauffällig das volle Gefühl der Ehre aus, sich im Gespräch mit einem Manne wie dem Fürsten Elch, dem allmächtigen schlesischen Magnaten und dreissigfachen Millionär, zu befinden. Herr von Pfeiffendorf, der derbe Landjunker, sagte unverblümt zu dem alten Bornim: „Hätten Sie lieber den da Diplomat werden lassen, Exzellenz, statt Ihres Ältesten!“
„Der Hans Christoph übernimmt doch einmal das Gut. Wieviel Seide er inzwischen im Auswärtigen Amt spinnt, ist schliesslich egal. Und der Bengel da — der beisst sich schon durch! Der verschimmelt nicht in der Kaserne. Den seh’ ich schon als prinzlichen Adjutanten oder zu einer auswärtigen Botschaft kommandiert. Vor dem liegt die Welt offen!“
Neben ihm lachte der sonst so würdevolle, riesige Fürst laut auf und meinte: „Woher wissen Sie denn nur um Gottes willen, in welchem Wahlkreis ich gewählt bin, Herr Leutnant von Bornim?“
„Oh, Durchlaucht — das interessiert mich doch — Ich hab’ die Wahlen voriges Jahr genau verfolgt, wo sie doch so kolossal anständig ausgefallen sind! Ich bin auch oft auf der Tribüne und hör’ zu!“
Der Magnat stand auf und drückte dem jungen Offizier die Hand: „Hat mich sehr gefreut, Herr von Bornim! ... Lassen Sie sich mal bei mir sehen, hier in Berlin!“
„Ich danke gehorsamst, Durchlaucht!“
Achim von Bornim verbeugte sich tief vor dem sich entfernenden Grossen des Landes. Sein Vater warf den anderen einen Blick zu: ‚So macht er’s! Wickelt sich die Leute um den Finger!‘ Dann rückte der junge Gardeoffizier seinen Ledersessel zu ihm heran und lachte vergnügt: „Zwei Fliegen mit einer Klappe, Papa! ... Von neulich her krieg’ ich todsicher einen belgischen Piepmatz versetzt — na, wenig, aber mit Liebe — und heute die Einladung zu den Elchs ... Bei denen in der Vossstrasse verkehrt, was gut und teuer ist ... Nächste Woche bin ich zum letzten Hofball befohlen. Nee: der Winter war wirklich tip-top ... hat mich kolossal vorwärtsgebracht ...“
„Nächsten Mittwoch ist unsere grosse Volksversammlung!“ sagte hinter ihm ein Herr zu den Abgeordneten. Er trug einen dunklen Kaisermantel und hielt seinen Schlapphut in der Hand, ein Zeichen, dass er nicht zu den Reichsboten selbst gehörte. „Kommen Sie nur hin, meine Herren! Entdecken Sie Berlin! Was wissen Sie hier von der Not des Nordens?“
Er sah in seiner straffen Haltung, mit seinem schnurrbärtigen energischen Kopf wie ein Hauptmann in Zivil aus. Der junge von Bornim sprang auf und begrüsste den Pfarrer Freiherrn Sittig von Slawatz, einen Mann von uraltem pommerschem Geschlecht, dessen Bruder als Rittmeister in Ostpreussen seit vielen Jahren mit Achims ältester Schwester in wenig glücklicher Ehe verheiratet war. Dann ging der Diener am Johannistisch, einer der Führer der inneren Mission und der Berliner Bewegung, weiter, und Exzellenz von Bornim sagte zu seinem Sohne: „Na, komm! Wir wollen einmal der Fraktion Schulze beitreten!“
Schulze war der Ökonom des Reichstags. Er verschenkte Sekt in Gläsern. Die beiden Bornim stärkten sich und liessen sich dann nieder, und der Vater hub an: „Ich hab’ dich wegen dem Lüdecke herzitiert, Achim! Du weisst, ich kenn’ ihn nicht mehr seit einem Jahr — seit er wegen seiner dummen Streiche hat die Uniform ausziehen müssen und nun unserem lieben Herrgott in Berlin die Tage stiehlt. Ich will ihn nicht mehr sehen und nicht mehr sprechen. Er kommt mir nicht mehr vors Gesicht! Aber leider zu Gehör! ... Was ist denn das für eine Geschichte, wo er dich gebeten hat, dass du bei mir vermitteln sollst ...?“
„Ja — diesmal ist die Chose ganz brenzlig, Papa! ... Mulmig bis in die Puppen! Er und Libochowitz und Rehfisch ...“
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