1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Da hast du sie!“ sagte der Alte, die zarte Anspielung verstehend, und steckte ihm ein Zwanzigmarkstück in die Hand. „Na — und was macht er denn nun?“
„Er liegt noch im Lazarett. Über seinem Bett hängt von der Decke eine lange Strippe und daran eine Eisblase. Die hat er auf dem Kopf. Sonst geht’s ihm gut!“
„Na ... und du ...“
„Gott ... ich ...,“ meinte der Fähnrich etwas verlegen.
„Kleine Reise in die Schweiz ... was?“
Nun lachte Achim von Bornim und gestand: „Ja, Papa! Acht Tage gelinden Arrest wegen unkameradschaftlichen Benehmens. Ich war ja auch dumm: Sie haben mir tüchtig den Kopf gewaschen. Was mir eigentlich einfiele? Der alte Lauckardt sei ein tadelloser, hochangesehener Herr, bei dem der Kommandierende und der Oberpräsident verkehrten ... klotzig reich ... hat als Landwehrhauptmann das Jahr siebzig mitgemacht und das Eiserne Kreuz ...“
Er zögerte und setzte freimütig hinzu: „Weisst du, Papa ... da hab’ ich mich doch eigentlich hinterher recht geschämt! Und wie ich aus dem Arrest war, hab’ ich am Sonntagnachmittag meinen Helm aufgesetzt und bin zu dem Lauckardt in das Lazarett gegangen und hab’ ihn aus freien Stücken um Verzeihung gebeten, dass ich ihn immer mit der Seife so gepiesackt hätte ... Wir haben uns die Hand gegeben! Nun ist Friede! Ausstehen kann ich ihn freilich immer noch nicht ...“
Der alte Bornim legte seinem Jüngsten die Hand auf die Achselklappe des Gardeinfanterierocks.
„Gut so! ... Man muss sein Unrecht eingestehen. Weisst du noch, was ich euch als kleine Jungens hab’ lernen lassen:
‚Der ist nicht flugs ein Edelmann,
Der geboren ist aus grossem Stamm‘ ...?“
„Ja, Papa ... ich kann das Ganze noch auswendig!“
„Nun, siehst du — das hast du wohl verstanden. Ich bin zufrieden mit dir, Junge! Aber nun kommt mal endlich ins Haus!“
Er trat mit seinen Söhnen durch das Tor von Sommerwerk. Lüdecke als der letzte. Wie immer ausserstande, ernst zu sein. Er blinzelte gerissen: „Evchen — was macht denn der bläuliche Husar?“
Das Fräulein von Bornim wurde feuerrot und schwieg. Ihr Bruder schnitt ein tieftrauriges Gesicht: „Das weisste doch, Maus: Mit dem Geld ist’s bei den Silleins man mau! Aber äusserst! Nischt haben sie ausser ihrer schlesischen Klitsche! ... Auch der blaueste Husar braucht Kommissvermögen, so gut wie andere Sterbliche ... Gott ... da kommt das Ilschen! Wo hast du denn deine Puppen, Kind? ... Was? Du spielst nicht mehr mit Puppen? Du wirst vierzehn? Respekt! ... Ihren Arm, meine Gnädigste! ... Siehst du ... so macht man das bei Hofe ... Voraus der Mann mit dem grossen Stock ...“
Das Kind lachte. Er führte es gravitätisch, sein Spazierstöckchen wie einen Hofmarschallstab aufstossend und auf den Fussspitzen wippend, in das Dunkel der Halle. Er musste schauspielern und Witze reissen. Er konnte nicht anders. Kaum dass er in der Kirche nachher, beim Gottesdienst, dem alle Bornims beiwohnten, eine dienstliche Ergebung zur Schau trug und nur durch die Nase gähnte. Als man wieder in die Sonnenhelle hinaustrat, frug Achim von Bornim seine jüngste Schwester, neben der er gesessen: „Sag mal: Warum bist du denn eigentlich so tiefsinnig, Evi? Der olle Schörlin geht einem doch nicht so an die Nieren! ... Der predigt doch seinen gewohnten Stiefel herunter ...“
Das blonde Landfräulein gab nicht gleich eine Antwort. Als sie eine Strecke hinter den übrigen zurückgeblieben waren, sagte sie merkwürdig aufgeregt, gar nicht die sorglose Arbeitsbiene wie sonst: „Du bist noch der Vernünftigste von euch dreien! Der Lüdecke ist überhaupt nichts und Hans Christoph ist nicht sehr gescheit. Merkst du denn gar nicht, Achim, dass hier bei uns nicht alles so ist, wie es sein sollte?“
„Wieso denn?“
„Ja, ich weiss selber nicht ... Es ist so ein drückendes Gefühl: Alles geht zurück ... langsam ... unaufhaltsam ... Niemand sieht’s! Niemand sorgt sich drum! ... Es ist, als müsst’ es so sein! ... Ich schufte weiss Gott strenger als ’ne Mamsell! Mir kann keiner Faulheit vorwerfen! Aber was ich unter mir hab’: Milch und Eier und das bisschen Geflügel und Gemüse, das macht den Kohl nicht fett. Es handelt sich eben um das ganze grosse Gut ... Ich werd’ den Verdacht nicht los, dass da schlecht gewirtschaftet wird ... rein in den Tag hinein!“
„Das lasse doch Papas Sorge sein!“
„Papa! Das ist ja eben das Elend! Papa merkt doch nichts!“
Ihr Bruder lächelte mitleidig. Dumm waren doch manchmal die Frauenzimmer! Nicht zu sagen!
„Du Schaf!“ sprach er. „Wenn du freilich unsern Vater zu den Minderbegabten rechnest ...“
„Was Papa ist, weiss ich so gut wie du! Aber hast du nicht beobachtet, wie er die Zeitung liest? Er hält sie ganz weit von sich. Er ist weitsichtig geworden. Er schaut nur noch in die Ferne: Zum Beispiel ... nein ... jetzt sei mal still und lass mich reden ... da ist Papa in der Budgetkommission vom Reichstag! Unter zweihundert Millionen Mark fangen die da gar nicht erst an. Und im Herrenhaus hat Papa vorigen Monat den preussischen Etat bewilligt. Das war, glaub’ ich, gleich ’ne Milliarde. So Zahlen freuen Papa! In denen lebt er. Was unterdessen hier aus Sommerwerk wird ...“
„Quatsch!“ sagte der Fähnrich.
„Und wenn er sich auch darum kümmern wollte, er hat ja nie Zeit! Und hat ja auch nie Landwirtschaft getrieben. Er war doch immer im Staatsdienst, sein Leben lang. Von euch wird ja auch keiner Landwirt. Manchmal kommt es mir vor, als wärt ihr alle hier blind und ich allein hätte die Augen auf ...“
Das Fräulein von Bornim brach ab. Ihr Bruder zog ein unmutiges Gesicht: das fehlte einem noch gerade, wenn man mal aus der Potsdamer Tretmühle heim zu Muttern kam, dann dies Ge-Unke und Geklöne.
„Ach, lass mich mit dem Zeug in Ruhe!“ sagte er. „Wo willst du hin? In die Räucherkammer, nach den Schinken sehen? Ja, tu das nur! Adieu!“
Er war aber doch recht nachdenklich, als er allein in die Vorderräume von Sommerwerk trat. Er tat, was er sonst nie tat: Er setzte sich auf einen Stuhl und schaute müssig vor sich hin. Es war niemand im Zimmer. Von nebenan hörte er die Stimme des Pfarrers Schörlin, der nach alter Gewohnheit, als früherer Hauslehrer der Söhne, am Sonntagvormittag im Herrenhaus vorsprach und der tauben Tante Brigitte seine Neuigkeiten in ihr Hörrohr trompetete.
„Die Cholera in Marseille wächst!“ schrie er, und die alte Dame, starkstimmig wie die meisten Schwerhörigen, schrie noch lauter: „Gottes Strafe! Gottes Strafe!“
„Das kommt davon, wenn man Bussgebet durch Petroleum und Karbolsäure ersetzt!“
„Hei und der Affenkultus! ... Menschen, die den neuen Schimpansen im Zoologischen Garten anbeten! ...“
„Bismarck hat sich dieser Tage dort auch die Raubtiere angesehen und ist dann weitergeritten!“
„Er ist selber ein Raubtier!“ schrie die alte Dame. Sie stand für ihre Person mit dem Reichskanzler auf gespanntem Fuss. Schon seit der Deklarantenzeit. Dann wurde es stiller. Die beiden, der Landpfarrer und das alte Fräulein, vertieften sich in einen Bericht über die lutherische Pastoralkonferenz in Köslin und das evangelische Diakonissenhaus in Kairo. Die kleine Ilse kam zu Achim herein. Sie prustete vor Lachen.
„Du ...“ — sie und der Nachbarssohn nannten sich seit Kinderbeinen ‚Du‘ — „der Lüdecke hat jetzt ein Rennpferd — das heisst Mäuschen, vom Flohtanz aus der Maus! Zu affig — nicht?“
„Tu mir den einzigen Gefallen und lass mich jetzt in Ruh’!“
Der Fähnrich ärgerte sich über den kichernden Backfisch. Er hatte jetzt Ernsteres im Kopf. Ilse von der Zültz meinte schnippisch: „Gott ... hab’ dich doch nicht so ... Du hast’s überhaupt nötig. Wo sie dich eben auf acht Tage eingesperrt haben! ... Ich hab’s schon gehört ...“
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