Ich wand mich unter ihm und stöhnte. Mit zitternden Fingern griff ich nach ihm und knöpfte sein Hemd auf. Er half mir, es über seine kräftigen Schultern zu streifen und zog es aus. Im Mondlicht bewunderte ich seinen gestählten Oberkörper. Er war so schön. Die harten Brustmuskeln, der flache Waschbrettbauch. Ich erkundete ihn mit den Händen, fühlte seine leichte Brustbehaarung unter meinen Fingerspitzen. Dann folgte ich dem Weg der Haare, die sich über dem Bauch zu einer schmalen Linie verjüngten und in seiner Anzughose verschwanden. Seine Hände wanderten über meinen Körper, während er mich bewundernd ansah. Mein Kleid hing verknotet um meine Taille. Er zog es mir aus und mein Slip folgte. Ich öffnete seine Hose und zog sie ihm samt der engen Boxershorts über die Hüfte. Weiter kam ich nicht, da strichen seine Hände schon über meinen Bauch und zwischen meine Beine. Er küsste mich wieder voller Verlangen und legte sich vorsichtig auf mich, sein Gewicht auf die Unterarme gestützt. Dann schob er sein Knie zwischen meine Schenkel und ich spreizte sie. Behutsam drang er in mich ein und bewegte sich langsam in mir. Ich hob ihm meine Hüften entgegen und er steigerte das Tempo. In meinem Bauch ballte sich die Lust zusammen, ich stand kurz vor der Klippe. Er küsste mich wieder, drang mit der Zunge in meinen Mund und stürzte mich so über den Rand. Während ich noch kam, stieß er noch ein paar Mal keuchend hart in mich, dann spürte ich, wie er sich in mir ergoss.
Er rollte sich neben mich und zog mich dabei in seine Arme. Während unser Atem sich langsam beruhigte, strich er sanft über meinen Rücken und hielt mich fest. Es war unglaublich, ich hatte noch nie zuvor einen One-Night-Stand gehabt und jetzt ausgerechnet hier, nachts an einem See, auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung mit einem Mann, vom dem ich nicht einmal den Namen wusste. Allmählich klärte sich mein Bewusstsein und mir dämmerte, was ich da gerade getan hatte. Jetzt, wo wir so still nebeneinander lagen, hörte ich auch die Musik und die Stimmen der Party wieder. Wir waren anscheinend einen Bogen gelaufen und der Feier näher, als wir gedacht hatten.
Oh nein, was, wenn uns jemand erwischte. Ich entwand mich seinem Arm und stand auf. Mit schläfrigem Blick sah er mich erstaunt an.
„Wo willst du hin?“
Schnell schlüpfte ich in mein Kleid, zog den Reißverschluss hoch und griff nach meinem Abendtäschchen, das im Gras lag.
„Ich muss gehen …“
Ich drehte mich um und ging in Richtung der Stimmen.
„Sehen wir uns wieder? Wie kann ich dich erreichen? Ich weiß noch nicht einmal deinen Namen.“
Ich ging schneller und sah über die Schulter, dass er aufgestanden war und sich in seine Hose kämpfte.
„Annie. Ich heiße Annie“, beantwortete ich nur noch seine letzte Frage, bevor ich auf den Weg zum Herrenhaus einbog. Ich warf noch einen Blick zurück auf ihn, wie er da am See stand, nur in seiner Hose, mit dem gemeißelten, nackten Oberkörper vom Vollmond beschienen. Der Wind trug noch einmal leise seine Stimme zu mir: „Annie …“
Er ist es. Vor mir steht der Mann, den ich eben im Coffeeshop umgerannt habe. Ich habe ihn nur kurz aus dem Augenwinkel gesehen, aber er ist eindeutig derselbe, wie in jener verhängnisvollen Sommernacht auf der Wohltätigkeitsveranstaltung. Der Mann, von dem ich seit vier Jahren immer wieder träume und mich frage, wer er ist. Zum ersten Mal sehe ich ihn im hellen Sonnenlicht. Ich bewundere sein schönes markantes Gesicht. Die schwarzen Haare sind noch immer eine Spur zu lang, seine schiefergrauen Augen sehen mich gerade so intensiv an, als könnte er in meinen Gedanken lesen, wie in einem Buch. Sein muskulöser Oberkörper zeichnet sich deutlich unter dem engen T-Shirt ab, seine langen Beine stecken in einer schwarzen Cargohose. Seine Haut ist leicht gebräunt, als käme er gerade aus dem Urlaub. Langsam kehrt mein Verstand in die Wirklichkeit zurück und ich merke, dass ich ihn noch immer anstarre.
„Annie? Geht es dir gut? Du bist ja kalkweiß!“
Er klingt besorgt. Seine Hand liegt noch immer auf meinem Arm. Ich sehe, wie er die andere zu meinem Gesicht hebt, als wolle er mir über die Wange streichen. Ich zucke zurück und er lässt mich sofort los.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken“, sagt er.
Ich bin zu geschockt, ich kann es nicht glauben, dass er tatsächlich vor mir steht. Er sieht noch besser aus, als in meiner Erinnerung. Was macht er hier, in meiner Kleinstadt, hier am Hafen. Ich muss hier weg ... ist mein einziger Gedanke.
„Sie müssen mich mit jemandem verwechseln“, kann ich grade noch herausbringen, bevor mir die Stimme versagt. Schnell drehe ich mich um und gehe weiter. Sehr glaubhaft, nachdem ich ihn gerade gefühlte zehn Minuten lang angestarrt habe. Er muss bemerkt haben, dass ich ihn genauso erkannt habe, wie er mich. Ich reiße mich zusammen, um nicht loszurennen. Zum Glück steht mein Auto nur ein paar Meter entfernt. Ich springe hinein und fahre los. Im Rückspiegel sehe ich ihn auf dem Fußweg stehen. Sieht er enttäuscht aus? Oder bilde ich mir das nur ein?
Ich zittere am ganzen Körper nach dieser Begegnung, fühle seine Hand noch auf meinem Arm, als hätte ich mich verbrannt.
Ich weiß nicht, wie lange ich wie blind durch die Gegend fahre. In meinem Kopf wirbeln Gedanken, Fragen umher. Was macht er hier? Wir sind 160 Meilen von Boston entfernt, wo damals die Feier stattfand und ich gelebt habe. Ein paar Monate vor der Veranstaltung habe ich hier in Boothbay Harbor von meiner Patentante ein Häuschen mit einem verwilderten Garten geerbt. Ein bisschen außerhalb dieses, im Sommer von Touristen bevölkerten, Hafenstädtchens. Das Grundstück liegt direkt an einem Abhang, von dem aus man über eine Treppe an einen kleinen Strand kommt. Eigentlich ein ideales Ferienhaus, vor allem für eine Großstadtpflanze wie mich. Zumindest war ich das, bis sich mein Leben vor vier Jahren grundsätzlich änderte. Es passierte einfach zu viel in zu kurzer Zeit, ich brauchte Abstand und einen Neuanfang. Den habe ich hier in meinem Strandhäuschen gefunden. Irgendwann schlage ich den Weg nach Hause ein. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.
In meiner Einfahrt bleibe ich kurz stehen und betrachte mein Zuhause, während die Erinnerungen und Gedanken weiter wie ein Platzregen auf mich einprasseln.
Ich sehe das kleine Holzhäuschen, das an drei Seiten von einer überdachten Veranda gesäumt wird. Links vom Haus schmiegt sich meine Garage an die Hauswand und rechts kann ich den Abhang erkennen, der zum Meer führt. Das alles hier war vier Jahre lang meine Oase, mein sicherer Zufluchtsort. Obwohl die Sonne weiterhin warm vom wolkenlosen Junihimmel strahlt, kommt es mir vor, als hätte sich meine Welt verdunkelt. Er ist hier. In meiner Stadt, in meiner Sicherheit.
Ich parke mein Auto und gehe langsam ins Haus. Eigentlich wartet mein Schreibtisch auf mich. Ich muss dringend mein angefangenes Buch fertigstellen. Damals habe ich meinen Job bei der Pharmafirma aufgegeben und bin aus meinem WG-Zimmer, in dem ich immer noch seit dem Studium gelebt habe, ausgezogen. Bei der Arbeit konnte ich den Anblick meiner ehemaligen Freundin mit meinem Ex nicht mehr ertragen und ich hatte auch schon lange vor dem Abend der Wohltätigkeitsfeier nach einer eigenen Wohnung gesucht. Mit 25 Jahren dachte ich, es wäre langsam an der Zeit mir etwas Eigenes zu suchen. Nach weiteren Katastrophen hatte ich ein paar Wochen später einfach meine Sachen gepackt und bin hierher, in das Haus meiner Patentante gezogen, um meine Wunden zu lecken und mich auf meine neue Zukunft vorzubereiten. Ich fing an, Bücher zu schreiben, Thriller um genau zu sein. Spannend und blutrünstig bis ins Detail, um mich von meinem eigenen Leben abzulenken und zu entfliehen. Ich hatte vorher gewusst, dass die Verlage sicher nicht auf jemanden wie mich warteten und trotzdem fand ich eine Verlegerin.
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