„Jawohl, Herr Kollund.“
„Dann 3. Genaue Untersuchung des Schreibzeugs in der Pension Jespersen. Der Brief ist mit einer sehr spitzen Feder geschrieben. Stellen Sie fest, ob es solche Federn bei der Jespersen gibt oder gegeben hat. — 4. Informieren Sie unsere gesamte Abteilung von den neuen Tatsachen im Falle Steeg. Die Fahndung nach Christian Larsen ist unter Berücksichtigung dieser Tatsachen energisch weiter zu betreiben. Hol mich der Böse, wenn wir doch nur diesen Burschen einmal packen könnten!“
„Wird schon kommen“, tröstet der Assistent, der ob seiner phlegmatischen Ruhe in Kollegenkreisen „Buster“ genannt wird. „Wir wissen ja, wie so was geht. Monatelang tappen wir ganz verzweifelt im Dunkel und dann — fallen wir sozusagen plötzlich über den Gedanken. Wird alles schon kommen.“
„Gott geb’s! Halt, Nörholm, da wäre noch eines. Sie können auch gleich mal an den Anwalt des Mr. Andrige schreiben. Teilen Sie ihm die Sachlage mit und bitten Sie ihn, die Erbschaft an niemanden auszuzahlen, bevor er von uns weitere Nachricht erhält.“
„Geht in Ordnung, Herr Kollund.“
„Monatelang tappen wir im Dunkel, und dann fallen wir plötzlich über den Gesuchten“, wiederholt sich im Geiste Kollung die Worte, als der Assistent im Nebenraum verschwunden ist. Ja, es ist manchmal, als ob das Schicksal sich den unziemlichen Scherz mache, mit einer hohen Polizeibehörde zu spielen. Da hat er schon recht, der Nörholm. Aber mir scheint ... hm, mir scheint, als ob es uns diesmal doch selbst gelingen sollte, Licht in das Dunkel zu bringen. Der Brief, dieser geheimnisvolle Brief, ist unschätzbar. Gehen wir mal von der Testamentsgeschichte aus. Jawohl, für mich ist es sicher, daß der Tod der armen Ingrid irgendwie mit den Dollarmillionen zusammenhängt. Überlegen wir mal! Da ist jemand, der Absichten auf den fetten Brocken hat. Er kann Ingrid Steeg nicht einfach verschwinden lassen, also bringt er sie um. Logisch. Um zu verhindern, daß die Erbschaft an Professor Frydendal ausgezahlt wird, muß er aber begründete Zweifel an dem Tode Ingrids erregen. War von vornherein seine Absicht. Also zwingt er die Unglückliche durch Drohungen oder durch einen verdammten Trick, eigenhändig diese Zeilen zu schreiben, bevor er sie ins ewige Dunkel schickt, und sorgt dafür, daß der Brief später dem Professor Frydendal, also damit der Polizeibehörde, in die Hände kommt. Wieder logisch. Der Verdacht, daß Professor Frydendal und dessen Frau — die einzigen, die aus dem Tode Ingrids einen Vorteil haben — die Urheber des Mordes sind, scheidet dann gänzlich aus. Stimmt genau mit meiner Überzeugung überein, denn ich glaube nun und nimmer, daß die Frydendals solche Banditen sind. Hm, die Kette scheint logisch und folgerichtig geschlossen. Halt, nein! Verflucht und zugenäht, da ist noch ein Loch! Meine Theorie vorausgesetzt, warum beläßt der Täter dann seinem Opfer Wertgegenstände und Kleider, die seine Identität verraten müssen, obwohl er den Körper unkenntlich entstellt hat? Wenn die Tote aus der Pension Jespersen nicht als Ingrid Steeg erkannt, sondern besagte Ingrid nur einfach verschwunden wäre, so müßte es doch viel leichter sein, sie später wieder auftauchen zu lassen. Auch ein Brief von ihr würde dann viel eher Glauben finden.
Inspektor Kollund zieht eine Weile gedankenvoll die Unterlippe zwischen die Zähne. Oho, auch dafür gibt es Erklärungen! Der Täter kann die Absicht gehabt haben, durch die verhältnismäßig rasche Identifizierung der Toten uns davon abzuhalten, allzu gründliche Nachforschungen nach dem Verbleib Ingrids anzustellen. Oder er hat einfach keine Möglichkeit mehr gehabt, Kleider und Wertsachen der Toten mitzunehmen. Er kann gestört worden sein oder sich gestört geglaubt haben. Selbst der abgebrühteste Verbrecher begeht so eine Scheußlichkeit nicht mit ganz kaltem Blut. Nein, die Kette ist richtig. Sollte mich gar nicht wundern, wenn demnächst bei dem Neuyorker Anwalt eine falsche Ingrid Steeg frischlebend auftaucht und Anspruch auf die Erbschaft erhebt.
Inspektor Kollund nickt seiner Sekretärin, die von der Mittagspause zurückkommt, zu und geht langsam zum Fenster. Blickt auf die Straße hinaus, ohne etwas zu sehen von dem Verkehrstrubel da draußen.
Wenn wir nur eine Spur des angeblichen Christian Larsen hätten, gehen seine Gedanken weiter. Freiwillig folgt so ein sauberes, gesund empfindendes Mädel wie Ingrid Steeg nicht einem Unbekannten abends in ein Fremdenheim. Die Auffassung des jungen Frydendal hat etwas für sich — hm — hat etwas für sich. Bei dem Täter kann es sich also nur um jemand aus dem engeren Bekanntenkreis der Steeg handeln, jemand, dem sie vertraut hat, denn an Hypnose glaub ich nicht. Menschen, die unter schwerer Hypnose stehen, zeigen Symptome, die sowohl Frau Jespersen wie den andern Zeugen aufgefallen sein müßten.
Aber wer zum Geier könnte das sein? Wir haben doch den ganzen Bekanntenkreis durchgekämmt, ohne auch nur auf den Schatten eines Verdachts zu stoßen. Wäre es möglich, daß die Tote wirklich nicht Ingrid Steeg ist? Daß die Leiche eben deshalb unkenntlich gemacht wurde, um dies zu verbergen? Wenig wahrscheinlich. Die Frydendals, der Hausarzt, alle waren damals der Überzeugung, Ingrid Steeg vor sich zu haben. Und nicht nur der Kleider wegen. Das sonst unbegreifliche Verschwinden der Steeg, die Zeugenaussagen aus der Pension Jespersen, alles sprach dafür. Professor Frydendal glaubt es heute im Innersten noch, trotz des seltsamen Briefes aus Neuyork. Laß sehen. Der oder die Täter — hm — müßten, wenn meine Theorie richtig ist — ein Interesse daran haben, daß man an die Echtheit des Briefes glaubt, also daß Ingrid Steeg noch lebt.
Noch lebt! So betonte der junge Frydendal ja so sehr energisch. Hm, hm. Der junge Mann ist der einzige, der felsenfest davon überzeugt ist, daß die Botschaft aus Neuyork stimmt. Möchte mir diese Überzeugung auch aufdrängen. Sollte am Ende dieser junge Mann ...? Merkwürdig, auf was für Gedanken man so kommt. Der junge Anker Frydendal? Aber das geht doch nicht so! Das muß erst mal ruhig und gründlich durchgedacht werden.
Inspektor Kollund dreht sich mit einem Ruck um und stürzt sich, um seinen plötzlich wie toll kreisenden Gedanken zu entgehen, kopfüber in die praktische Arbeit.
„Fräulein Bendixen, rufen Sie mal die ‚Forenede Dampskibs Selskab‘ an. Bitten Sie um eine Liste aller Passagiere, die seit dem 4. Februar mit einem der Überseedampfer nach Neuyork ausgereist sind. Dann Anruf an die Staatspolizei. Ich bitte um Bericht, ob es festzustellen ist, wieweit die an den Grenzübergangsstellen visierten Pässe der seit dem 4. Februar Ausgereisten ein USA.-Visum trugen. Jawohl, sämtliche Grenzübergangsstellen.“
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