«Ja!»
«Hallo», sagte eine Frauenstimme, «könnte ich mit Frau Tarantová sprechen?»
«Sie meinen Fräulein Tarantová», sagte ich (den prächtigen Namen meines Ehegatten hatte ich längst meiner Nachfolgerin überlassen, die den einstigen Kraftmeier erpreßte, bis er mir leidtat, Gábina hingegen hatte ihn aus Rachsucht behalten, Soll die feine Stiefmutter sich doch grün und blau ärgern!) und dachte ängstlich, man sei meinem Faultier wegen Schmarotzertums auf den Fersen (ein Reflex aus der Zeit der Totalitären).
«Nein, ich meine ihre Mutter.»
«Das bin ich. Aber ich heiße anders.»
«Sind Sie Petra ...?» (Was redet die so seltsam?)
«Ja, wer ist da?» (Halt! Das war doch slowakisch!)
«Ich heiße Králová. (Nein! Sie! Vanessa die Seine!) Ich bin die Frau von Professor Král, Viktor Král, wissen Sie? (Ich weiß, nur weiß ich nicht, was du weißt, und schon gar nicht, was du wissen willst, so daß ich absolut keine Ahnung hab, was ich dir sagen soll! Sie wartete aber meine Antwort nicht erst ab.) Mein Mann hat gestern dringend mit Ihnen sprechen wollen, doch Sie hatten wohl andere Sorgen. Heute früh ist mir klargeworden, daß er sich ein zweites Mal nicht trauen wird, und da habe ich mich selbst dazu entschlossen.»
Stumpf sah ich zu, wie sich zu meinen Füßen ein Wasserfleck auf dem Läufer ausbreitete, ich fand mich im Spiegel genauso wie gestern, als er anrief, und auch die Wanne, die Waschmaschine, das unberührte Bett – falls das immer noch derselbe Traum ist, ist es nicht genug damit?
«Sind Sie da?» fragte sie gleich ihm.
«Ja.»
«Ich habe Sie nicht gehört.»
«Ich habe nichts ... (ich riß mich von diesen Refrains los) ich höre Sie ...»
«Es ist für Sie gewiß ungewöhnlich, so früh von einem unbekannten Menschen gestört zu werden, aber ich habe einen so gewichtigen Grund, daß Sie bestimmt Verständnis dafür hätten. Ich rufe ohne Viktors Wissen an und bitte Sie dringend um ein Treffen.»
Da haben wirs! Sie wird mich auffordern, ihr nicht den Gatten und ihrem Kunigundchen (nie hab ich den Namen wissen wollen) nicht das Papilein zu stehlen. Sie wissen selber, wird sie mir sagen (falls er ihr von der Nacht berichtet hat), wohin das führt ...
«Ich halte Sie nicht länger als eine halbe Stunde auf», fuhr sie eindringlich fort, als drehte sie mir eine Lebensversicherung an, «glauben Sie mir, es hängt ungemein viel davon ab, ich weiß, daß Sie ihm sehr nahegestanden haben ...»
Dieses betonte Perfekt brach den Zauber, mit dem sie mir per Draht Saft und Kraft genommen hatte, meine Starre wich dem Entschluß, den angebotenen Waffengang anzunehmen, gut, wenn du willst, dann führ ich dir nicht nur vor, warum ich ihm nahegestanden habe, sondern warum ich ihm weiter nahestehe und immer nahestehen werde, falls ich es mir nicht freiwillig anders überlege! Es ging auf neun, Gábina wacht nicht vor Mittag auf, ich brauche eine Stunde, um wie ein Phönix aus der eigenen Asche zu steigen.
«Ich kann um halb elf im Slavia sein.»
Ich gedachte, das Café mit gebührender Verspätung zu betreten, damit sie gewahr werde, wie sich die Hälfte der Männer nach mir umdreht (ein weiteres Zeichen meines Abstiegs).
«Ginge es nicht irgendwo im Park ...? (Ehe ich mich widersetzen konnte, stimmte sie zu.) Gut! Wo ist das? (Dann kennt sie Prag überhaupt nicht? Meine Erklärung unterbrach sie jedoch.) Ach, ich weiß schon ungefähr. Und wie erkennen wir uns?»
Du erkennst mich daran, hatte ich Lust zu sagen, daß ich seinen Skalp am Gürtel trage!
«Ich werde einen dunkelroten Pullover anhaben», sagte ich und fragte mit Absicht nicht, wie ich sie erkennen sollte.
Im Winter hatte er ihn mir aus London mitgebracht, so mächtig und grobgestrickt, daß er fast auch ohne mich Form hielt. Ja! hatte mein Liebster mir dazu erklärt, er hat mich an eine Rüstung erinnert, ich wollte, daß er deine Schätze für mich schützt! so romantisch sprach er und drückte mich herrlich an sich, während draußen das Taxameter für die Fahrt zu seiner Jüdin tickte. Ich blieb allein mit dem Pullover, und es fiel mir nichts Besseres ein, als das kratzige Ding wie ein Büßerhemd über den bloßen Leib zu ziehen und dem Mann, der in diesem Augenblick bestimmt auch seine Angetraute beschenkte (und umarmte), die ewige Treue zu schwören, die ihn mir schließlich für immer zurückbringen würde.
Ja nun: Versprechen – Verbrechen, Wahrheit – Narrheit, ich stand nicht einmal diese lächerliche Prüfung auf die kurze Dauer durch, und nun begebe ich mich in dieser nutzlosen Brünne auch noch zu einem Rendezvous mit der Frau des gerade frisch betrogenen Spenders, um ...
Um was eigentlich??
Aber natürlich: um ihn dem Schoß der Familie zurückzugeben, der ich ihn ums Haar entführt habe. Meine Pein wird barmherzig gelindert durch das selige Gefühl, daß ich die Kraft gefunden habe, einer Todsünde zu widerstehen und damit dem Teufel selbst. Endlich wird mir dann die Pforte aufgetan, die zu durchschreiten ich begehrt habe, seit ich mich erinnern kann, doch zu allem hat eine verkommene weltliche Macht sie mir verrammelt. (Geh in ein Kloster, Ophelia! Ja, ich werde gehen und nicht den Verstand verlieren, im Gegenteil, ich werde das Heil erlangen.)
Das darf es schon wieder geben, die gottesfürchtigen und nützlichen Orden, die man so sehr zur Ader gelassen hat, warten auf neues Blut, und meines ist immer noch frisch genug. Christus habe ich von Kindesbeinen an geliebt, noch weit vor Viktor und sogar vor meinem schönen jungen Ehegatten (für Ihn habe ich mein erstes Gedicht geschrieben: ‹Lieber Gott, ich flehe Dich auf Erden/laß mich Deine Schwiegertochter werden ...›), höchste Zeit, daß ich Seine Braut werde. Ihm werde ich jetzt treu sein bis zum Tode, und Er wird mich vor dieser idiotischen Welt bewahren, wird seinem verlassenen und verwirrten Schaf Petra Márová den Frieden bringen.
Ich legte ruhig und hochbefriedigt den Hörer auf, badete ohne Panik zu Ende, zog mich an (es blieb auch so bei dem herausfordernden Pullover, sie sollte nicht den Eindruck gewinnen, daß ein armseliges Wesen vor ihr kapitulierte), kämmte und schminkte mich (puderte auch den rubinroten Knutschfleck, obwohl er verborgen blieb), so daß ich besser aussah als kaum je zuvor. In andauernder Hochstimmung betrat ich pünktlich um halb elf das Lokal, ohne Nervosität und ohne jegliche Ansprüche. (Nach dem befreienden Entschluß war mir kein Mensch mehr eine Show wert.)
Mich begrüßten hier nie gesehene Reihen leerer Tische, besetzt waren nur die Logen an den Fenstern, und Tschechisch vernahm man kaum, die Rentner und Studenten also auch da aus ihrem Paradies mit dem Feuerschwert der Preisfreigabe vertrieben (folglich auch durch Zutun meines ... nicht mehr Liebsten? aber ja, er war es noch, so wahr, wie ich immer noch die ungeläuterte Sünderin blieb). Ich durchquerte den weitläufigen Raum mit meinem Paradeschritt (durchgedrückte Knie in langsamer Kadenz machen dich unheimlich sinnlich! Zitat: der gute Olin, als er mich ins Bett kriegen wollte, aber was das betrifft, hat er wohl nicht gefaselt), und die meisten Männerköpfe drehten sich meinem Gang entsprechend um. Geradeaus blickend (ich suche nicht, ich bin gesucht), strebte ich zu den Fenstern auf der Moldauseite, in der Absicht, mich niederzulassen, mir eine anzuzünden und abzuwarten, wer da käme.
Als sich vor mir eine unauffällige Frauensperson erhob, verlangsamte ich höflich den Schritt, um sie vorbeizulassen, doch statt dessen sprach sie mich an.
«Frau Petra?»
Unter den Frauen ihres Alters, die hier herumsaßen, hätte ich nie und nimmer auf sie getippt. Meinen Liebsten hatte mir ein mageres Mädchen mit kurzem mausfarbenem, nicht besonders gutem Haar abspenstig gemacht. Die mächtige Rivalin, das Gespenst meiner schlaflosen Nächte, in denen ich ihn mir eifersüchtig in der betörenden Umarmung einer leidenschaftlichen Tochter Judäas ausmalte, trug eine starke und viel zu wuchtige Hornbrille, die trotzdem nicht ihre Runzeln um Augen und Mund verdeckte (ich, die über zehn Jahre Ältere, habe fast noch keine!), das ganze Gesicht wirkte müde (vielleicht hatte sie auch nicht geschlafen oder hatte es nicht geschafft, sich anzuhübschen), was ihr elegant unauffälliges Kleid noch betonte. (Und ein teures, das sieht man gleich, auch aus London oder Paris ...) Sie drückte im Aschenbecher ein wievieltes dünnes Zigarettchen aus und versuchte mich anzulächeln.
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