«Das ist doch Viktor!» warb ich um ihr Vertrauen zu ihm (beinahe hätte ich ‹mein› gesagt) – «Viktor Král, Vít’a, erinnerst du dich?»
Erinnern konnte sie sich an mancherlei: Wie er mich samt dem Kinderwagen so lange durch den Baumgarten begleitet hatte anstelle ihres Vaters (der fleißig für seine künftige Karriere Marxismus büffelte), bis wir uns unter der Kastanie dort während eines Aprilschauers zu küssen getrauten (sie guckte streng mit ihren noch nicht einjährigen Augen zu, als verstoße das gegen ihren Geschmack). Sie war sogar dabei, als ich meinen Liebsten daheim (gottlose Buhlerin ich, deren immer noch rechtmäßig angetrauter Ehegatte bei seinen Eltern in Pardubice weilte) verführte, ja verführte! er selbst (bis auf den heutigen Tag ein lascherer Katholik als damals ich) hätte nie seines Freundes Frau begehrt, und ich ihn höchstwahrscheinlich auch nicht, doch sein geradezu selbstmörderischer Einsatz für einen krepierenden Straßenköter verwandelte meine warme Sympathie binnen einiger Minuten in glühende Liebe. Danach schlief mein (soeben vergewaltigtes) Mädelchen noch gute sechs Jahre zum Glück fest in Hör- und Reichweite unserer Umarmungen, unserer Szenen (ich war es, die wie eine Marktschreierin tobte, wenn ich seine berechtigten Vorwürfe nicht zurückweisen konnte) und auch unserer Versöhnungen, die unerbittlich meine nächsten Verrätereien einleiteten, welche bewirken sollten, daß er von Eifersucht gequält wurde und mich wieder mehr als seine Wissenschaft liebte. Als er mich ohne Vorwarnung mit seiner Flucht bestrafte (ich war mir in meinem Übermut sicher, daß ich sein Magnetberg war ...), holte ich mir die Erotik (die Zeit der wahren Liebe war abgeläutet) auswärts, um meine erwachende Jungfer nicht zu verderben (wodurch ich sie verlor).
Eigenartig! dachte ich auf der marsähnlichen Straße, als Viktor sie in der schmutzigen Telephonzelle weckte, daß sein Name bei uns zehn Jahre lang nicht gefallen ist; die unerwartete Niederlage hatte mich so umgeworfen, daß ich ihn aus meinem Bewußtsein verdrängt hatte ... und vor der Tochter selbst seine Rückkehr zu mir geheimhielt, die unter den gegebenen Umständen nicht einmal eine war.
«Müssen Sie behandelt werden?» wandte er sich zu ihr (warum siezt er sie?), als wir hinter seinem Rücken Platz nahmen, «ein guter Bekannter von mir ist Arzt.»
«Nee», entschied sie mit angeborener Sachlichkeit, die mich immer aus der Fassung brachte, «sonst hat er mir nix getan.»
Keine Spur mehr davon, daß sie vor einer halben Stunde wie ein Balg gegreint hatte. In mir erwachte das Muttertier, das die Höchststrafe für den Schänder seiner Tochter verlangt.
«Weißt du, wer es war?»
«Joo, ein Zigo.»
«Wer ...?»
«Na, ein Zigeuner halt.»
«Und wo hat er dir ... wo hat er dich ...»
«Im Taxi.»
«Um Christi willen, hat dich denn der Fahrer nicht beschützt?»
«Das war doch er. Der Zigo.»
«Gábinka, ich bitte dich, sprich so, daß wir es verstehen!»
Sie drehte die Augen zu Viktor und sagte ohne Umschweife.
«Erst zu Hause, joo?»
«Ich hab dir gesagt, Viktor ist mein ... (Achtung!) unser alter Freund, deshalb hab ich ihn gebeten, mich zu fahren!»
Sie machte Augen, als wollte sie ihn röntgen, er schien sie mehr zu interessieren als der flüchtige Gewalttäter. Ich kannte allzugut ihre Blicke, mit denen sie ein für allemal ihre Noten vergab, ein Ungenügend hatte mich Josef gekostet, ich wollte ähnlichem vorbeugen.
«Er war lange Jahre in Kanada, ist dort Professor für Ökonomie geworden und arbeitet hier als Regierungsberater.»
Eindruck machte auf sie erst seine Frage.
«Sie möchten wohl nicht Anzeige erstatten, wie?»
«Ich denk nicht dran.»
Ich verstand die beiden nicht.
«Einen Taxler, der Zigeuner ist, finden sie doch sofort!»
«Beim hiesigen Zustand von Polizei und Presse ist es nicht ausgeschlossen, daß ihr Name veröffentlicht wird, obwohl sie nicht volljährig ist. Und wenn sie gegen diesen Lumpen vor Gericht aussagt, kann ihr das der ganze Clan heimzahlen. Sie sollte ausschlafen und sich morgen normal untersuchen lassen, als wäre sie bei einem Jungen gewesen, den sie nicht gut kennt.»
Alles in mir sträubte sich, doch das Opfer sagte anerkennend.
«Super.»
Es mußte mir genügen, daß sie immer noch meinen Arm um sich duldete (sonst entwand sie sich mir längst wie eine Schlange, wenn mich mütterliche Zärtlichkeit übermannte). Auf dem Rückweg schwiegen wir alle drei, und mir fiel ein, daß uns beide, Mutter wie Tochter, das männliche Geschlecht zur gleichen Zeit gezeichnet hat. Und da ich davon in meinem Alter so mitgenommen war, würde sie da nicht für alle Tage geschädigt sein? In meinen Armen schlummerte der Fratz, den ich (wenn auch schlecht, doch von den nassen Windeln über die komplette Garnitur der Kinderkrankheiten bis hin zu den Menses) selbst aufgepäppelt habe, und die Vorstellung, daß ein Zigeuner sie roh nimmt, war mir ungeheuerlich. (Bin ich deswegen eine Rassistin?)
Nach ein paar Minuten waren wir bei uns, ich mußte Gábi erneut wecken, doch sie verabschiedete sich von Viktor ohne eine Spur von Ruppigkeit.
«Danke!» sagte sie sogar, was ich von ihr höchst selten zu hören bekam.
«Ahoj ...» konnte ich noch zu ihm sagen, «und verzeih!»
Das Wasser in der Wanne war immer noch fast heiß (vorhin müssen meine Sinne total abgestumpft gewesen sein, die beiden Anrufe hatten mich vor dem Verbrühen gerettet), ich hievte mein teures Gabrielchen hinein und seifte es mit dem Waschlappen wie vor Urzeiten ab. Auch das ließ sie sich gefallen. Natürlich suchte ich dabei nach Spuren von Gewalt an ihrem Körper, doch nirgendwo auch nur ein blaues Fleckchen (geschweige denn ein Knutschfleck). Sie hielt die Augen geschlossen, so hatte sie von klein auf gebadet (wie ihr junger Vater, der schlief in der Wanne, frühstückte, las, lernte für das Staatsexamen, zog mich manchmal auch im Morgenrock herein, um mich im klatschnassen Frottee zu lieben).
Lange hatte ich keine Gelegenheit gehabt, sie mir so gründlich anzuschauen. Mein Mädel war dabei, sich in ein reifes Weib zu verwandeln, ihre Brüste hatten schon fast meine Kurve (der Rodin-Konus, Zitat: Olin), die zuletzt diesem langen Lulatsch heut nacht den Kopf verdreht hatte, ach, Mädchen, daß du nur nicht so endest wie deine Mutter ... nein! wie könnte sie? aus dem Wasser ragte das junge Gesicht ihres Vaters heraus, der auch unter dem neuen Regime weiterhin erfolgreich war, indem er schlaumeierisch vorgab, ein ebenfalls vergewaltigtes Opfer des alten zu sein. (Nur, nur: Wo ist diese erbliche Gerissenheit heute nacht geblieben??)
«Gábina, schläfst du?»
«Nee.»
«Dann sag mir um Gottes willen, was passiert ist!»
«Ich habs dir doch gesagt.»
«Ich bitt dich, ist für dich eine Vergewaltigung ein ganz normales Ding?» (Das berührte sie erstaunlicherweise.)
«Nee, aber ... es ist peinlich.»
«Ich bin doch deine Mama!»
«Was soll ich dazu sagen? Wir sind mit Mikan in der Droschke gefahren, und er ist halt früher ausgestiegen, na.»
Mikan, ursprünglich vielleicht Milan oder Michael, war ihr letzter ‹Fund›, wie sie es nannte, ein Architektensohn, vor der ‹samtenen› Revolution Architekturstudent, momentan Geldwechsler (billige Ausrede: Ich räche mich, weil sie uns die Revolution geklaut haben!), doch ich vertraute auf die Langzeitwirkung eines guten Stalles.
«Hat er dich allein fahren lassen?»
«Na, er wohnt unterwegs, hats näher gehabt.»
«Für den Umweg reichts bei ihm wohl noch!»
«Warum sollte er Geld rausschmeißen?»
«Fragst du? Vielleicht, daß dich keiner vergewaltigt, mein Gott!»
«Im Taxi wird normalerweise nicht vergewaltigt.»
«Jesus Christus (sie hatte mich wieder soweit, daß ich den Namen Gottes fast in jedem Satz eitel nannte), hast dus nicht gerade erst erlebt?»
Читать дальше