Es hatte sich stark abgekühlt, und ich durfte mich gerade jetzt nicht erkälten. Ich streckte mich nach den Fensterflügeln, dabei gewahrte ich ein Geräusch und eine Bewegung, auch einen Schatten erblickte ich in der Straßenschlucht, der sich in die Türnische des Mietshauses gegenüber drückte. Die Vorstellung, daß sich dort ein Liebespaar aneinander wärmte, brachte mir meine Tochter in Erinnerung, die höchstwahrscheinlich gerade mit ihrem gerissenen Mikan in dem wieder weltberühmten Badeort die Liebeswonnen genoß (von der Pharmazeutik geschützt), während ich ...? Mich beschlich das gewohnte Gefühl von Verlassenheit, aus dem ich sogleich durch die Freude gerissen wurde, daß hier zwei Schritte von mir mein Allerliebster saß!
Ich schlug recht unachtsam das Fenster zu und hätte fast das Rollo abgerissen. Ich drehte mich um. Er schaute mich an. (Ich niesele! wollte ich ihm sagen, doch das mußte er selbst sehen.) Ich löschte die große Lampe, knipste die kleine an (Liebeslicht nannte er es, bei ihm hatte er seine Scham verlernt), kniete vor ihm nieder (mein Ritual) und legte seine Hände auf mein Herz.
«Hör auf, dich zu quälen. Ich tu, was ich kann. Ich liebe dich!» (Endlich drückte er mich so fest, daß es wunderbar schmerzte.)
«Und ich dich. Und ich dich. (Dann lockerte er den Druck.) Verzeih ... ich kann heute nicht.»
«Macht nichts.» (Ich log tapfer.)
«Stört dich das sehr?»
Auf einmal war ich froh, daß er gerade heute nicht das Mal fremder Liebe auf meiner Haut erblickte, es wäre der denkbar schlechteste Augenblick dafür.
«Nicht doch!»
«Ich verlange so viel von dir und kollabiere selber!»
«Was sagst du da! Mir ist, als wäre ich mit der Keule geschlagen, wie muß dir da erst zumute sein?»
«Du bist meine einzige Liebe, Petruška!»
Mit dieser Koseform ging er schon immer äußerst sparsam um. Tränen schossen mir in die Augen.
«Und du meine. Und du meine.»
Und du wirst der Meine sein, denn ich, allein ich werde dich ganz und gar von diesem Unflat säubern, selbst wenn ich diesen Josef ... (was? na, sag es, sags!) ja, umbringen sollte!
Die Treppe hinunter gingen wir schweigend und mit verschlungenen Fingern, so wie ich ihn einst hinausbegleitete (den Familienfreund, der bis dahin brav geholfen hatte, das Töchterchen zu baden), als wir meinen jungen Gatten in Abwesenheit betrogen hatten. (Als ich mich bald dazu bekannte, hatte mich dieser mit dem Vorschlag schockiert, wir sollten die Ehe ‹jeder auf seinem Gleis› weiterführen; danach hatte ich schon leichten Herzens unsere ersten Koffer mit seiner wie immer sorgfältig gewaschenen und gebügelten Wäsche gepackt.) Mein Körper war erschöpft wie nach dem Lieben, doch in ihm frohlockte kein befreiter Geist. Zu der Spannung war die Angst getreten.
Sein japanisches Auto stand diesmal direkt vor meinem Haus. (Natürlich: mit Erlaubnis seiner Frau.) Müde küßten wir uns, und er fuhr zu den Höhen von Barrandov, heim zu ihr ... (Ach, weh!) Die Arme über meinem verlassenen Busen gekreuzt, sah ich ihm stumpf nach, als mich plötzlich ein nahes Hüsteln aufschreckte. Aus dem Schatten der Hausnische vis à vis taumelte – er.
«Guten Abend ...»
An der Hauptstraße glühten noch die großen roten Teller am Wagen meines Liebsten, der sich auf der menschenleeren Kreuzung (sicherlich in kanadischer Manier) vorschriftsmäßig umschaute, und vor mir stand in Leinenhose und Blouson (er mußte frieren wie ein Schneider), wie ich ihn in der Kantine immer wieder sah, mein schimpflicher Fehltritt von gestern, mit der Miene heuchlerischen Bedauerns.
«Seien Sie mir nicht böse ...»
Meine ganze Wut, die ich seit gestern hatte zurückhalten müssen, auf die Schänder, auf die Geheimen und auf die Gattinnen, hatte endlich das passende Opfer gefunden.
«Daß Sie sich nicht schämen! Mich wie eine Hure zu behandeln und obendrein wie ein Spitzel zu belauern! Wagen Sie sich mir noch einmal zu nähern, und ich ruf die Polizei!!»
Wie eine Furie stürzte ich ins Haus, schloß ab, machte aber kein Licht, die Beine versagten mir den Dienst, ich ließ mich auf die unterste Stufe fallen und fragte mich, woher ich für all das die Kraft nehmen sollte.
Wider Erwarten schlief ich wie eine Tote. Mit neuer Energie war auch die Hoffnung wieder aufgetankt, überschlafen schien das Problem meines Liebsten lösbar, wenn ich nur den richtigen Druck ausübte. (Die Wahrheit siegt, doch das kostet Mühe! Zitat: Masaryk jun.) Noch einmal rief ich meinen Chef an, um mir frei zu nehmen. Da es Freitag war, gab er sich gekränkt.
«Warum haben Sie mir nicht schon gestern klipp und klar gesagt, daß Sie sich ein langes Wochenende machen wollen? Mit mir kann man doch reden!»
Er hatte seine allgemein verhaßte Vorgängerin nur mit Hilfe der Wende abgelöst, sie waren einander praktisch gleich (obwohl im Dienst der scheinbar katholischen Presse, hatten sie noch vorletztes Jahr die Unterschriftenaktion der Katholiken für Glaubensfreiheit verurteilt), doch kein anderer hatte Lust, den öden Papierkram zu machen, und er buckelte wenigstens nett vor uns allen.
«Ich hab familiäre Sorgen, die waren nicht vorauszusehen.»
«Rufen Sie von Ihrer grünen Bleibe an?» versuchte er, mich plump zu fangen.
«Dafür hat meine Gage bei Ihnen bisher nicht gereicht, nein, ich rufe von zu Hause an und bin sofort da, wenns sein muß.»
Meine Gereiztheit zeigte Wirkung, er begann zu scharwenzeln.
«Mein Gott, das war ein Scherz, Herr im Himmel, bleiben Sie dort, wie Sie es für nötig halten, Sie sind die einzige, die auf Vorrat arbeitet.»
«Danke», schloß ich in Rage, «und Sie sollen den Namen Gottes nicht in einem fort eitel nennen.»
Josef Beneš hat nie im Telephonbuch gestanden (daß mich das nicht gleich damals stutzig gemacht hat, wozu hat ein gewöhnlicher Betriebsökonom eine Geheimnummer nötig?) und war längst aus meinem Adreßbuch getilgt. Da jedoch sein immerwährender Blumenstrauß auch letztes Jahr gekommen war, muß er die Revolution jedenfalls glimpflich überstanden haben. Es schien also geraten, es zuerst mit der mir bekannten Adresse zu versuchen.
Daß Gábina sich melden könnte, dazu war es noch zu früh, und zu meiner Angst um sie noch weit, und die Überzeugung, daß ich meinem Liebsten helfen würde, wuchs. (Meine Stimmung besserte sich erheblich bei der Feststellung, daß der blöde Biß über Nacht violett geworden war und auf seine Art attraktiv wirkte.) Ich war imstande zu überlegen, was eine Frau anziehen soll, die selbst nach Jahren Eindruck auf ihren einstigen Liebhaber machen und den Staatssicherheitsmann in ihm zur Einkehr bewegen will. Der Fenstertest bewies, daß es wieder spürbar wärmer geworden war und ich in voller Frühlingsmontur ausrücken konnte. (Ein anderes Geschenk meines Liebsten war ein lilafarbenes Seidencomplet; zu den pluderigen türkischen Pantalons gehörte ein knapp zuknöpfbares Jäckchen, das als Korsett fungierte.)
Die Wahl hatte mir jedenfalls gutgetan, ich schwebte durchs Treppenhaus abwärts, als ginge ich zu einem Rendezvous, was psychologisch vorteilhafter war, als sich von dem Gedanken nerven zu lassen, daß mir höchstwahrscheinlich ein häßlicher Konflikt bevorstand. Fast überraschte es mich, daß draußen weder ein Sportcabriolet wartete noch ein junger Elegant seinen Diener vor mir machte. Ich nahm ungern zur Kenntnis, daß ich eine zwar wahnsinnig, dafür aber nur heimlich geliebte Bürgerin mittleren Alters und Einkommens war (fünfhundert Kronen über dem von der Regierung garantierten Minimum), und begab mich wie immer per pedes apostolorum zum nächsten Verkehrspunkt.
Das Haus befand sich am Ende der Straße oberhalb des Krankenhausgeländes, wo ein Unschuldslamm, auf Gabriele getauft, das Licht der Welt erblickt hatte (mein damals noch geliebter junger Gatte hatte eine solche Menge herrlicher Sträuße angeschleppt, daß Ärzte und Schwestern ihn einstimmig zum vorbildlichen Vater des Jahres erklärten, später gestand er mir fröhlich, ihm habe das gesamte Grünzeug für eine gute Flasche ein früherer Schulkumpel besorgt, der im Krematorium Blumen zu vernichten hatte). Den ganzen ‹Josefs-Sommer› hindurch war ich mit schlechtem Gewissen an der Geburtsklinik vorbeigegangen, im Grunde hatte ich von vornherein gewußt, was daraus wird, und hatte trotzdem in einer Art Besessenheit (heute unverständlich, ja: abstoßend!) darauf hingewirkt, daß Gábis Beziehung zu mir in die Brüche ging.
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