Wir kamen an die Marne. Da standen die Franzosen und empfingen uns. Es wurde aufmarschiert und der Kampf an der Marne begann, tagelang. Wir hatten vorher schon Verluste gehabt und unsere Einheiten waren Anfang September nicht mehr so stark. Unser Nachschub von zu Hause bestand aus jungen Soldaten, Schülern zumeist, die sich zu Anfang des Krieges gleich freiwillig gemeldet und lediglich acht Tage als Infanteristen ausgebildet worden waren. Ich höre sie noch heute schreien, die Jungen. Sie hatten keine Ahnung. Ich sagte einem Schüler: »Auf Kommando ›Feuer‹ musst du abziehen.« Da fing er an zu weinen, er konnte einfach nicht. Mit dem war nichts anzufangen. Er zitterte. Ich habe gesagt: »Mein lieber Junge, hier, du kochst uns das Mittagessen.« Da ging es ihm schon besser. Nachher ging er an die Front.
Plötzlich hieß es: »Wir ziehen uns zurück, in Ostpreußen sind die Russen eingefallen.« Aus unserem Abschnitt wurden zwei Armeekorps herausgezogen. Unsere zogen sich zurück, ohne die Marne-Schlacht verloren zu haben. Wir waren ein paar Kilometer vor Paris und dann ging mein Abschnitt bis Soissons zurück. Soissons liegt unten im Tal und wir befanden uns auf den Höhen über Soissons. Unten lagen die Schwarzen, grausige Schwarze. Wir konnten sie mit dem Fernglas sehen, wenn sie mit ihren französischen Mützen liefen. Auf dem Rückmarsch überholten wir noch Infanterie-Regimenter, und da sah ich einen meinen früheren Schulkollegen. Er gehörte zur Nachhut. Wir ritten im Trab vorbei, ich rief: »Behrend«. Er winkte und winkte.
Gustav Schöning, geb. 1894:
In Aachen sind wir ausgeladen worden. Und dann sind wir auf Lüttich zumarschiert. Vor Lüttich, den Ort weiß ich nicht mehr, haben wir Ulanen noch eine Attacke geritten. Nur brach sie im Maschinengewehrfeuer zusammen. Wir hatten damals noch unsere Lanze auf dem Rücken, mit der ich auf dem Exerzierplatz ausgebildet worden bin. Dort mussten wir auf Befehl auf die Pferde springen und mit der Lanze auf die Puppen stechen, die am Boden lagen oder aufgehängt waren. Und mit dem Säbel zu fechten habe ich noch gelernt. Aber mit dem Gewehr war ich nicht richtig ausgebildet und vom Machinengewehr 08 wusste ich schon gar nichts. Nun, bei der Attacke hat mein Pferd einen Schuss abgekriegt. Es schlug auf und ich stürzte herunter. Mein Sattelzeug konnte ich nicht mehr mitkriegen und bin in einen Graben gekrochen. Am nächsten Tag mussten wir uns wieder sammeln, und ich habe mir ein Pferd von den Franzosen beschafft. Wir sind dann weitermarschiert, manchmal Strecken von 20 bis 30 Kilometern, bis ziemlich nach Paris. Auf den Feind sind wir gar nicht wieder gestoßen. Später wurden wir aufgelöst und wurden Kavallerie-Schützen. Wir mussten neu ausgebildet werden wie die Infanterie.
Heinrich Dudel, geb. 1893:
Wir sind am 7. Mobilmachungstag in Berlin ausgerückt und kamen nachher in das Gebiet von Malmédy an der deutsch-belgischen Grenze. Nach zwei Tagen hatten wir bereits Feindberührung, Franzosen und Belgier. Das war eigentlich alles zu hitzig. Der Schwung! Die Ausbildung der Soldaten war ja auf den Krieg ausgerichtet gewesen und nun kam er. Jeder wollte raus, vorwärts, vorwärts. Ganze Abteilungen sind in die Falle geraten, wurden zusammengeschossen oder gefangen genommen. Dies wurde bald von der Heeresleitung gedämpft, die merkte, dass alles vorwärtsdrängte. Die Franzosen haben sich ergeben. Die sagten: »Für mich ist der Krieg zu Ende.« Es kam die Nacht und dann wurde sortiert. Es wurden die Gefangenen abtransportiert, die Verwundeten versorgt und jeder sah zu, dass er was zu essen kriegte.
Die belgische Zivilbevölkerung verhielt sich neutral, denn sie wusste genau, was ihr für den Fall des Widerstands blühte. Es passierte zu Anfang, dass Belgier auf deutsche Soldaten geschossen haben. Wenn einer erwischt wurde, war er dran. Er wurde verhört, ein Protokoll aufgenommen und die Todesstrafe vollstreckt. Er wurde vor einen Baum oder an eine Mauer gestellt. Dann hieß es: »Eine Gruppe von acht Mann legt an!« Bums, da war es geschehen. Bekanntmachungen von den Erschießungen, die gleich im Umdruckverfahren vervielfältigt wurden, wurden überall ausgehängt. Sie waren sehr schnell dabei, Todesurteile zu fällen. Das waren eben Kriegsurteile, Hitze des Gefechts. Da gab es keine Revision, und nachher krähte kein Hahn danach.
Wir marschierten gleich zu Anfang auf Paris zu, dann schwenkten wir nach Norden ab, weil die Engländer mittlerweile in Flandern gelandet waren. Dort kämpften die Spinner, die neu aufgestellten Regimenter 202, 203. Am 11. November 1914 kam ich nach Flandern in die Verteidigungslinie. Da waren die Kämpfe aber schon abgeflaut und es ging alles in Stellungskämpfe über. Östlich von Ypern wurden wir eingesetzt, Geluveld hieß das. Die Engländer waren hartnäckiger, sie waren als Soldaten tapferer als die Franzosen. Das lag ja sowieso im Wesen der Engländer, und sie hatten vorbereitete Gräben gefunden. In Flandern war nicht viel zu machen, denn man latschte dauernd in Wasser rein. Die Stiefel waren damals nicht so dicht und man hatte den ganzen Tag nasse Füße. Wenn mal die Sonne durchkam, aber das war im November selten, hat man versucht, etwas trockene Füße zu bekommen.
Dr. Bernhard Lehnert, geb. 1896:
Es kann Ende Oktober 1914 gewesen sein, dass wir an die Front kamen. Auf unserer Fahrt zur Front, irgendwo in Belgien, hatte unser Zug einen Aufenthalt. Und neben uns lag ein anderer Zug mit Soldaten, die ebenfalls an die Front gingen. Aber das waren Regimenter, die vollständig aus Kriegsfreiwilligen bestanden und die dann in die Schlacht von Langemarck geworfen wurden. Es waren fast alles Studenten, denn sehr viele von ihnen trugen an ihrer Uniformjacke das Korporationsband ihrer Burschenschaft. Die meisten von ihnen, die wir als sehr lebendig und aktiv, ich will mal sagen als siegesgewiss erlebten, sind wahrscheinlich gefallen. Wir hatten keine Vorstellung, wohin sie fuhren. Das wussten die ja selber nicht. Sie wurden unmittelbar aus ihrer Ausbildung heraus an die Front geschickt, aber nicht wie wir einem aktiven Regiment zugeteilt. Sie hatten keinerlei gründliche militärische Ausbildung gehabt und keine Kameraden an ihrer Seite, die was vom Krieg verstanden. Als wir zum Essenempfang gingen, kamen wir ins Gespräch. Sie waren fröhlich, absolut vergnügt. Wir landeten anschließend im Schützengraben.
Theodor Hein, geb. 1893:
Als Tannenberg zu Ende war, kamen wir wieder zurück in den Westen. Wir lagen in Flandern im Wijtschate-Bogen und dann bei Langemarck. Das ganze Land war überschwemmt. Buddelte man nur etwas, hatte man klares Wasser. Wir hatten wenig Verluste, weil die Granate in einem solchen Gelände gar keine Wirkung hat. Vor uns befanden sich die Studentenregimenter aus lauter Freiwilligen. Bei Langemarck gab es viele Hopfenanlagen, in denen die Engländer ihre Maschinengewehre versteckt hatten. Diese jungen Bengels sind mit dem Deutschlandlied auf den Lippen vorgegangen. Wir haben weiter hinten gelegen als Reserve, und ich habe zu einem Offizier gesagt: »Warum springen die nicht wieder auf? Warum gehen die nicht vor?« Wir haben das doch alles von hinten mit einem Fernglas beobachtet. Sie lagen alle still in Reih und Glied, alle kaputt, hingeschlachtet. Sie haben angegriffen, ohne Deckung zu nehmen, und wurden dabei zusammengeschossen. Wir waren gedrillt, waren ausgebildete Soldaten. Wir haben uns hinter einen Grashalm gelegt und sind in Löcher reingesprungen, wenn Granaten einschlugen. Die aber waren doch alle unerfahren. Man konnte es ihnen nicht verdenken. Und dann wurden wir eingesetzt und haben erst einmal versucht, die feindlichen Maschinengewehrnester kaputtzukriegen. Es gelang uns, die Engländer rauszuschlagen. Ein Student lag neben dem anderen. Wir sind über sie hinweggelaufen. Es gab auch Verwundete, alles junge Bengels. Wir haben gesagt: »Das sind ja noch Kinder.«
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