Otto Frahm, geb. 1896:
Obgleich schon acht Tage vorher vom Krieg geredet wurde, kam er dann doch unerwartet. Alle Welt hier oben im Exportgeschäft war bestürzt. Wir handelten mit Indien, Japan. Die Schiffe mit unseren Gütern blieben unterwegs liegen. Die Hälfte des Personals wurde gleich einberufen. Nach einem Jahr war ich ganz allein in der Firma und wurde schließlich auch eingezogen.
Hermann Gieselmann, geb. 1895:
Im März 1914 hatte ich bei der Post auf dem Telegrafenamt angefangen. Als der Krieg losging, wurden unsere alten Kollegen eingezogen und wir Jungen mussten für sie arbeiten. Wir verstanden an und für sich so gut wie gar nichts vom Telefon. Dann wurde ich nach Harburg versetzt, wo ich auf der Strecke schwer arbeiten musste. Die 15-Meter-Stangen mussten wir tragen. Ich hatte einen Rückstellungsschein vom Heer, dass ich nicht eingezogen zu werden brauchte. Den hab ich aber nicht abgegeben, da ich bei der Post wieder weg wollte. Die Arbeit war mir zu schwer und ich wollte doch Soldat werden.
E. E., geb. 1896:
Ich wurde zunächst noch reklamiert, weil meine Firma, Getreide und Kohlen en gros, von der Reichsgetreidestelle beauftragt worden war, das gesamte Getreide im Amtsbezirk Varel zu beschlagnahmen. Betriebe oder kleine Leute, die mindestens 25 Pfund Roggen ernteten, mussten einen Teil abliefern. Die Einlagerung war ja nicht vorbereitet gewesen, und so wurden einfach die großen Bauernhöfe im Marschland und außerdem die Windmühlen, die ja drei, vier, fünf Böden übereinander hatten, beschlagnahmt und das Getreide eingelagert. So hatte ich zum Beispiel die Dangaster Mühle unter mir. Ich bin dort mit Marinesoldaten gewesen und habe die Mühle gefüllt. Als der Mitlehrling Klemm in Oldenburg eingezogen wurde, haben wir das erste weibliche Wesen als Lehrling eingestellt.
Wilhelm Garmsen, geb. 1896:
Mit der Mobilmachung wurden auch junge Bauern eingezogen. Einer, Hans Kalsen hieß er, kam zu mir und sagte: »Ich bin schwer in Druck, ich werde in den nächsten Tagen eingezogen. Nun brauche ich jemanden, der meinen Hof weiterführen kann. Würdest du das übernehmen? Ich weiß, du kannst das.« Ich sag: »Hans, da gibt es ein Problem. Du weißt ja, dein Vater ist dauernd auf dem Hof und kommandiert. Wenn ich den Hof übernehmen sollte, dann will ich es in eigener Regie machen. Ich muss das zur Bedingung machen.« Ein paar Tage später kommt er an: »Du, Wilhelm, ich hab das mit meinem Alten geschafft. Das war eine schwere Arbeit.« Ich habe geantwortet: »Dann übernehm ich den Hof und du kannst beruhigt eingezogen werden.« Bis zum 2. November 1915 habe ich den Hof geführt. Hans Kalsen ist aus dem Krieg zurückgekommen. Er war schon etwas älter. Auf die älteren Jahrgänge nahm man etwas Rücksicht, und so war er in Dänemark als Wachbeamter.
Dr. Richard Wege, geb. 1898:
Die Ernte war noch nicht ganz fertig, aber das nützte nichts, die Reservisten wurden sofort eingezogen. Die Aufregung im Dorf wurde noch dadurch größer, dass gleich anschließend die Pferde gemustert und mitgenommen wurden. Natürlich mussten wir die besten liefern. Da gab es beinahe wieder Tränen. Ich bin mit meinem Vater in die Stadt gefahren, wo wir noch einmal mit einigen Reservisten sprachen. Sie sagten: »Ja, weißt du, entweder wir gewinnen den Krieg, dann kommen wir wieder. Oder wir verlieren den Krieg, dann kommen wir nicht wieder.« Die Bauern, die sich von ihrem Zuhause trennen mussten, jubelten nicht, aber sie sagten sich: »Na ja, das macht die Frau schon, der Nachbar hilft mir, das haben wir schon so organisiert.« Ich war in diesen Tagen einmal zu Fuß auf dem Weg zur Schule im Nachbarort, als mir ein Radfahrer entgegenkam, rechts und links zwei Polizisten. Ich guckte, und da kam mir mein Englischlehrer entgegen. Er rief mir zu: »Richard, mein Vaterland braucht mich!« Das war alles. Es war erschütternd für mich, weil es mein liebster Lehrer war.
Hans Seidelmann, geb. 1898:
Als uns die ersten Nachrichten von dem glorreichen Durchmarsch der deutschen Truppen erreichten, erschien mein Vater eines Tages mit einer Karte und Fähnchen und sagte zu mir: »Du musst jetzt Fähnchen stecken, wo unsere Fronten sind.« Dies musste laufend verändert werden, wenn neue Nachrichten kamen. Der erste Kudower, der starb, war der zweite Lehrer an der Evangelischen Schule. Es handelte sich bei ihm um einen jungen, unverheirateten Lehrer, der den alten Lehrer unterstütze. Er fiel, und da fand in Kudowa ein Trauergottesdienst statt, in dem mein Vater sang, und zwar, das weiß ich heute noch, »Dank sei Dir, Herr«. Dann fing es an, entschuldigen Sie das schreckliche Wort, etwas Alltägliches zu werden. Man hörte eben: »Ach, der ist auch gefallen. Die Familie hat die Nachricht gekriegt.«
Es kam eine Zeitschrift »Der Weltkrieg« heraus, für die wir Schüler Abonnenten werben mussten. Wir waren natürlich unglaublich begeistert, vor allen Dingen, als im Herbst Hindenburg oben in Ostpreußen die Russen besiegte. In Brieg lag das Regiment der 157er. Vor dem Rathaus stand ein Denkmal des Alten Fritzen, der mit seinem Degen auf Mollwitz zeigte. Anlässlich des Sieges von Tannenberg hielt ein General unter dem Denkmal eine Rede. Die Garnison war aufmarschiert, es waren natürlich schon Reservisten, weil die anderen ja sofort eingezogen waren. Ein paar Tage darauf erhielt ich von meinen Eltern die Nachricht, ein Vetter von mir, ein Sohn des damaligen Hamburger Gymnasialdirektors Wilhelm Wegerhoff, der Hans Wegerhoff, sei in den Rückzugskämpfen bei Tannenberg gefallen. Er war im Stab Reserveoffizier gewesen, seine Truppe hatte in einem Gutshof gelegen. Sie wurden überfallen und in barbarischer Weise niedergemacht. Sein Vater gab dies mit tiefem innerem Schmerz und Leid kund. Aber mein Vater war immer noch mit ganzem Vaterlandsstolz dabei. »Bei einer so großen Sache muss jede Familie bereit sein, ein Leid hinzunehmen.«
Wir haben den Krieg in diesen Tagen genommen, wie er war, und haben uns über die Erfolge gefreut. Es mögen sich Ältere über den Grund des Krieges Gedanken gemacht haben, aber wir Jungen taten dies nicht. Den Augenblick, in dem der Vormarsch nach Paris zum Stillstand kam und sich in einen Stellungskrieg an verschiedenen Fronten umwandelte, haben wir zu damaliger Zeit gar nicht richtig begriffen. Da war ein Nest und das wurde umkämpft. Fähnchen habe ich in dieser Zeit nicht mehr gesteckt.
Prof. Dr. Wilhelm Wortmann, geb. 1897:
Etwa im Oktober 1914 sagte ein Freund zu mir: »Wir haben eine ganz große Schlacht verloren an der Marne.« Davon war in der Presse kein Wort zu lesen gewesen. Rundfunk gab es ja noch nicht. Die Presse war das einzige Mittel, um Mitteilungen zu verbreiten.
A. S., geb. 1899:
Mit Kriegsbeginn waren die Herren plötzlich alle Soldaten, und alle waren frohen Mutes. Da gab es einen Postschaffner Müller, der erschien in Uniform. Der eine Nachbar, er war Maurer von Beruf, wurde zum Landsturm eingezogen. Die Truppen erzielten Erfolge. Ich weiß nur, dass die »Cellische Zeitung« täglich ein Extrablatt herausgab, das in der Stadt umhergetragen wurde. Wir freuten uns immer, wenn der Mann mit dem Extrablatt kam und wir jetzt erfuhren, was wieder geschehen war. Ich persönlich habe mich dann gewundert, als mit einem Mal die Nachricht kam, Lüttich sei gefallen. »Mein Gott, was ist denn das? Die kämpfen doch gegen Frankreich. Lüttich ist aber in Belgien.« Da wurde man gewahr, dass die deutsche Armee über Belgien nach Frankreich zog. Besonders war dann noch, dass der Kommandeur vom X. Armeekorps in Hannover, das war der General von Emmich, für seine Fahrten von unserem Chef einen Personenwagen bekam. Es wurden immer wieder Leute einberufen, entweder Reservisten oder Landwehrleute. In Celle lag das Infanterie-Regiment 77, das rückte gleich in den ersten Tagen aus, und ebenfalls die Celler Artillerie, die war eine Abteilung mit den Wolfenbüttlern zusammen. Dann wurden neue Regimenter aufgestellt. Da war das Infanterie-Regiment 232, das hier noch stationiert wurde.
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