Alfred Hardt, geb. 1898:
Ich wurde nahe dem Hamburger Hafen auf der Veddel geboren. Obwohl dies eines der SPD-Viertel ist, wurde dort bei Kriegsbeginn höllisch gefeiert. Ich habe noch gehört, wie einer sagte: »Erst hat Kaiser Wilhelm nur vom roten Arbeiterpack geredet. Jetzt aber kennt er nur noch Deutsche und da gehören wir zu.«
Wilhelm Eddelbüttel, geb. 1894:
Ich bin direkt am Hamburger Hafen an den Vorsetzen aufgewachsen. Ich gehörte schon früh der Sozialdemokratie an. Vor dem Krieg fanden Versammlungen statt, die gegen den Krieg gerichtet waren und an denen ich immer teilnahm. In unserer Partei war eigentlich jeder Gegner des Krieges. Als nachher der Krieg in Gang kam, wunderte ich mich, dass überall Kriegsbegeisterung zu spüren war. Andere Stimmen kamen gar nicht mehr zum Tragen. Es war erstaunlich und machte uns stutzig, dass im Reichstag bis auf zwei Mitglieder alle für den Krieg gestimmt hatten. Allmählich sagte ich mir: »Ja, wenn alle dafür sind und du allein dagegen, dann irrst du dich wohl.« In der SPD kamen wir jetzt nicht mehr zusammen. Ich war schon im Frühjahr 1914 angesetzt worden, und als ich dann einige Wochen später eingezogen werden sollte, ging ich eigentlich mit einer Selbstverständlichkeit mit.
Karl Theil, geb. 1893:
Ich war damals in meinem zweiten Dienstjahr, hatte eine schöne Extra-Uniform, blau, schick, und auch einen langen blanken Säbel. Alles wurde eingepackt, die feldgraue Kriegsuniform angezogen. Wir zogen 1914 mit der Pickelhaube los. Wer noch einmal nach Hause gehen mochte, konnte fahren. Ich bin noch einmal bei meinen Eltern gewesen. Was war da los: »Krieg, Krieg, hoffentlich überstehst du das.« Die Eltern waren natürlich geknickt, wie man das von Eltern annehmen kann. Ich war jung, damals 21 Jahre. Man selbst ist mitten drin in dem Wirrwarr, Mobilmachung usw., das lenkt ab. Wir wurden dann mit der Bahn von Belgard bis Aachen transportiert. Unterwegs auf den Bahnhöfen standen die jungen Menschen, vor allem viele Mädchen und Kinder, und winkten. Die Begeisterung war damals groß. »Heil Dir Kaiser«, das war nichts Besonderes. Es war alles wie beim lieben Gott.
Dr. Bernhard Lehnert, geb. 1896:
Als der Krieg ausbrach, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich mich dem Vaterland zur Verfügung stellen musste. Ich habe mich also kriegsfreiwillig gemeldet für das Infanterie-Regiment 36, das damals in Halle stand. Ich brauchte dafür die Zustimmung meiner Mutter, die mir diese aber ohne Weiteres und ohne darüber zu diskutieren erteilte. So bin ich also mit Kriegsausbruch sofort Soldat geworden. Sorgen hat man sich damals eigentlich kaum gemacht. Die Begeisterung, dem Vaterland zu dienen, war so groß, dass überhaupt keine Überlegungen angestellt wurden. Ich weiß nur, ich hatte mir seinerzeit durch Nachhilfestunden Geld verdient und hiervon ein paar Schuhe gekauft. Als ich ausrückte, habe ich zu meinem jüngsten Bruder gesagt: »Sollte ich nicht wiederkommen, die Schuhe schenke ich dir.« Es war die allgemeine Auffassung bei Kriegsausbruch: »Zu Weihnachten ist der Krieg zu Ende. Die enormen Waffen, insbesondere das Maschinengewehr, lassen es nicht zu, dass der Krieg lange dauert, da eben zu viele totgeschossen werden.«
H. W., geb. 1897:
Ich fuhr mit dem Sohn meiner Wirtin zuerst nach Magdeburg, um mich bei der Fußartillerie zu melden. Ich war früh gemustert und, da ich ziemlich kräftig gebaut war, der Fußartillerie zugewiesen worden. In Magdeburg wurden wir nicht angenommen. Wir fuhren dann nach Wittenberg. Der Feldwebel, der uns anhörte, wollte uns zunächst auch abweisen. Da erklärte ich ihm: »Nehmen Sie uns doch 14 Tage auf Pump.« Daraufhin lachte er und sagte: »Bleibt beide hier.« Ich kam dann mit dem Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 49 im November 1914 an die Ostfront.
R. S., geb. 1896:
Wir fanden Aufnahme in der großen Atmosphäre, der vaterländischen Begeisterung, die damals alle bewegte. Das ist etwas Einmaliges gewesen, das wohl nie wiederkommt, da heutzutage den jungen Menschen die großen Gedanken fehlen. Ich war damals in der Oberprima, und wir haben uns alle gemeldet. Wir machten das Notabitur. Unser Aufsatzthema hieß: »Was berechtigt uns zu der Hoffnung, mit freudigem Mut in den Kampf zu ziehen.« Es wurden natürlich alle Fächer geprüft, aber in kürzerer und freundlicherer Form. Das war für mich ein großes Glück, normalerweise wäre es schwieriger geworden, die Sprachen Latein, Griechisch sowie Mathematik. Die Schule, die es mir sehr schwer gemacht hat, war nun erledigt. Jetzt herrschte die Begeisterung, für das Große da zu sein. Es wird nie wieder so eine Begeisterung geben.
J. E., geb. 1895:
Es waren die ersten Tage im August 1914, als ich mich als Lehrling in Hamburg wie Millionen Deutsche hingerissen fühlte, dem Vaterland zu dienen. Ich ging abends nach Geschäftsschluss in die Sedanstraße in Hamburg-Altona, um mich freiwillig zu melden. Als ich zum dritten Mal da war, wurde es dem Unteroffizier, der die Abfertigung machte, zu dumm und er fragte mich: »Wo wohnen denn Ihre Angehörigen?« Ich sagte: »In Breslau.« Da sprang er wie von der Tarantel gestochen auf und sagte: »Mein Gott, dann gehen Sie doch nach Breslau. Was meinen Sie, was da für Militär liegt. Da sind zwei Infanterieregimenter, ein Kürassierregiment, ein Artillerieregiment. Da werden Sie eher drankommen als hier.« Ich folgte seinem Ratschlag, setzte mich am nächsten Tag, nachdem ich zum Entsetzen meines Chefs all meine Verbindungen in Hamburg abgebrochen hatte, in den Zug und fuhr nach Breslau.
Die Züge waren so überfüllt, dass man nicht einmal auf die Toilette gehen konnte. Mitunter hielt der Zug auf Bahnhöfen für mehrere Stunden, da andere Züge Vorrang hatten. Dann rannten viele von uns in die nächstgelegenen Dörfer und kamen einige Zeit später mit den Maruschkas und den Bäuerinnen zurück mit Körben voll Brot, Selters, Zigarren und Zigaretten, Obst und allem Möglichen. Also, das war eine Freude! Nach zwei Tagen waren wir dann endlich in Breslau. Mein Vater betrieb dort das Café »Vier Jahreszeiten« und wir hatten unter unseren Gästen viele Reserveoffiziere. Ich bat meinen Vater: »Frag doch bitte mal deine Gäste, ob mir nicht einer einen Rat geben kann, wie ich bei den Soldaten angenommen werde.« Es dauerte drei Wochen. Einer der Gäste hatte meinem Vater gesagt, in einer Schule in der Nähe von Breslau sei eine Notkaserne eingerichtet worden und da würden noch Kriegsfreiwillige angenommen. Ich meldete mich und kam dorthin.
Gerhard Bahrmann, geb. 1896:
Anfang Juli 1914 bin ich mit dem Wandervogel für 14 Tage in den Böhmerwald gefahren und habe den Ausbruch des Krieges im Böhmerwald miterlebt. Mir ist noch im Gedächtnis, wie die Frauen weinend ihre Männer in den Krieg entließen. In diesem Augenblick dachten wir aber noch nicht daran, dass es auch uns treffen würde. Wir hielten uns vielmehr an das Wort von Kaiser Wilhelm II.: »Wenn die Blätter fallen, seid ihr alle wieder zu Hause.« Wir dachten an einen Blitzkrieg. Als ich nach Hause kam, war schon acht oder zehn Tage vorher der Aufruf an die deutsche Studentenschaft ergangen, sich kriegsfreiwillig zu melden. Es war eine ungeheure Begeisterung aller Schichten, auch der Gebildeten.
Ich habe mich gleich 1914 freiwillig gemeldet, »kriegsmutwillig«. Sich freiwillig zu melden war für mich aufgrund der patriotischen Einstellung meines Elternhauses eine Selbstverständlichkeit, obwohl ich als Wandervogel schon eine gewisse Kulturkritik in mir hatte. Zudem herrschte 1914 eine allgemeine Ansteckung, eine idealistische Massenpsychose. Wie wir dann später im Dreck von Flandern lagen und froren, habe ich mich schon manchmal gefragt: »Deine Klassenkameraden sitzen zum größten Teil noch in Leipzig zu Hause und du bist einzig draußen. Warum hast du das eigentlich getan?« Und meine Antwort war: »Für meine Mutter und meine Schwester!« Das waren weniger vaterländisch-nationalistische Gedanken, sondern es war eine Verpflichtung.
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