Dennoch wagte er nicht, ihn zu berühren. Er ging vielmehr auf und ab, drehte dabei den Kopf, aber so, dass er den Gegenstand seiner Wünsche nicht aus dem Auge verlor. Der große König der Affen gebrauchte seine langen Arme, wie ein Mensch sich der Krücken bedient; bei jedem Schritt rollte er seinen schweren Rumpf weiter, knurrte oder stieß auch einen jener ohrenbetäubenden Schreie aus, die das Schreckenerregendste im ganzen Dschungel waren.
So ging er auf und ab.
Auf einmal machte er Halt vor dem Gewehr. Langsam streckte er die Hand danach aus, bis er den glänzenden Lauf beinahe berührte, zog sie abermals zurück und setzte seine eiligen Schritte im Zimmer fort.
Und doch schien es, als ob das große Tier zeigen wollte, dass es keine Furcht kenne und durch sein wildes Brüllen seine Wut bis zu dem Punkte steigern wolle, dass es das Gewehr in die Hand zu nehmen wagte.
Abermals blieb Kerschak stehen, und diesmal gelang es ihm, seine widerstrebende Hand an den kalten Stahl zu führen, um sie aber augenblicklich wieder zurückzuziehen.
Von Zeit zu Zeit wiederholte er diesen seltsamen Griff, aber jedes Mal mit wachsendem Vertrauen, bis er schließlich das Gewehr vom Nagel herunterriss.
Da er sah, dass ihm kein Leid geschah, untersuchte er es genauer und befühlte es von einem Ende zum anderen, schaute in die schwarze Mündung hinein, betastete das Visier, den unteren Teil, den Schaft und schließlich den Hahn.
Während er so mit der Waffe hantierte, saßen die anderen Affen, die mit ihm hereingekommen waren, in der Nähe der Tür zusammengedrängt und beobachteten ihren Herrn, während die da draußen sich drückten und drängten, um wenigstens etwas von dem zu erblicken, was da drinnen vorging. Plötzlich bewegte Kerschak den Hahn. Da gab es einen fürchterlichen Knall in dem kleinen Raum, und die Affen, die innerhalb und außerhalb der Tür waren, stolperten einer über den anderen in wilder Angst davon.
Kerschak war ebenfalls erschrocken und zwar so sehr, dass er ganz vergaß, dieses merkwürdige Ding, das den schrecklichen Knall von sich gegeben hatte, beiseite zu werfen, und dass er, es fest in der Hand haltend, zur Tür hinauspolterte.
Beim Hinausstürmen stieß er mit dem Gewehr an die offene Tür, sodass sie hinter ihm zuflog.
Als Kerschak in kurzer Entfernung von der Hütte Halt machte, ließ er das Gewehr fallen, als ob es ein Stück heißen Eisens wäre. Er versuchte auch nicht mehr, es aufzuheben. Der Knall war für die Nerven des wilden Tieres zu fürchterlich gewesen. Aber er war nun überzeugt, dass der schreckliche Stock ganz harmlos sei, wenn man ihn in Ruhe ließ.
Es verging eine Stunde, bis die Affen es wagten, sich wieder der Hütte zu nähern, um ihre Nachforschungen fortzusetzen, aber zu ihrem Leidwesen fanden sie, dass die Tür geschlossen war und dass sie nicht imstande waren, sie zu öffnen.
Die geschickt gearbeitete Klinke, die Clayton an der Tür angebracht hatte, war nämlich zugeklappt, als Kerschak hinausstürzte. Die Affen wussten auch nicht, wie sie sich durch die stark vergitterten Fenster Zutritt verschaffen könnten. Nachdem sie eine Weile um die Hütte herumgestreift waren, zogen sie sich in das Dickicht zurück, um wieder zum höher gelegenen Land zu wandern, von wo sie hergekommen waren.
Kala war die ganze Zeit über mit ihrem angenommenen Kinde auf dem mächtigen Baume geblieben, aber Kerschak rief sie mit den anderen herunter, und da seine Stimme keinen Zorn verriet, ließ sie sich leicht von einem Ast auf den anderen herunter und gesellte sich zu den anderen auf den Heimweg.
Wenn einzelne versuchten, Kalas merkwürdiges Kind zu besehen, so zeigte sie ihnen knurrend die Zähne und stieß sie warnend zurück.
Als sie aber versicherten, dass sie dem Kinde kein Leid antun wollten, erlaubte Kala ihnen, näherzukommen, aber niemand durfte es anrühren.
Kala schien zu wissen, dass ihr Säugling zart und gebrechlich sei, und sie fürchtete, dass die rauen Hände ihrer Kameraden das kleine Wesen verletzen könnten. Sie dachte an den Tod ihres eigenen Jungen, und um nicht auch ihr neues Kind zu verlieren, drückte sie dieses auf dem Marsche fest an sich, sodass der Weg für sie natürlich sehr beschwerlich war.
Die anderen Jungen ritten auf den Rücken ihrer Mütter, wobei sie die kleinen Arme fest um den haarigen Hals legten, während ihre Beine sich unter den Achselhöhlen der Mutter festhielten.
Der kleine Lord Greystoke war an der Brust seiner neuen Mutter besser geborgen, und seine Händchen spielten mit den langen schwarzen Haaren ihres Busens.
Kala pflegte ihren kleinen Findling zärtlich, wunderte sich indessen im Stillen, warum er nicht so kräftig und so gewandt wurde, wie die kleinen Affen der anderen Mütter. Es war nun beinahe ein Jahr, das der kleine Schelm in ihren Besitz gelangte, und doch konnte er kaum allein gehen, und was gar das Klettern betraf, — o du meine Güte! wie dumm war er dabei!
Manchmal unterhielt sich Kala mit den anderen Weibchen über ihr hoffnungsvolles Kind, aber sie konnten nicht verstehen, dass ein Kind so langsam für sich selbst sorgen lernte. Schon mehr als zwölf Monate waren vergangen, seit Kala das Junge mitgebracht hatte, und es konnte noch nicht einmal allein Futter suchen.
Hätten sie gar gewusst, dass das Kind schon dreizehn Monate alt war, als es in Kalas Besitz kam, so hätten sie den Fall als völlig hoffnungslos angesehen, denn die kleinen Affen ihres Stammes waren in zwei bis drei Monaten derart fortgeschritten, wie dieser Findling in fünfundzwanzig Monaten. Tublat, Kalas Ehemann, war sehr ärgerlich, und wenn das Weibchen nicht so wachsam und besorgt gewesen wäre, hätte er das Junge beiseite geschafft.
Er wird niemals ein großer Affe werden, sagte er. Immer wirst du ihn zu tragen und zu beschützen haben. Was kann er dem Stamme nützen? Nichts! Er wird nur eine Last sein! Wir wollen ihn in das hohe Gras legen und ihn dort ruhig einschlafen lassen. Dann kannst du Mutter anderer, stärkerer, junger Affen werden, die uns in unsern alten Tagen pflegen können.
Niemals, gebrochene Nase, antwortete Kala, ich behalte ihn, und wenn ich ihn mein ganzes Leben lang tragen müsste.
Und dann ging Tublat zu Kerschak und drängte ihn, seine Autorität bei Kala geltend zu machen, dass sie Tarzan aufgeben sollte; so nannten sie nämlich den kleinen Lord Greystoke: Tarzan, das heißt Weißhaut.
Als aber Kerschak mit Kala darüber sprach, drohte sie, vom Stamme wegzulaufen, wenn man sie mit dem Kinde nicht in Ruhe ließe. Da das Fortlaufen eines der unveräußerlichen Rechte des Dschungelvolks ist, sobald ein Mitglied mit den Angehörigen unzufrieden ist, so plagte man Kala weiter nicht mehr damit, denn sie war ein wohlgebautes, junges Weib und man mochte sie nicht verlieren.
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