„Verlobung!!“ —
Da fasste die Alte mit energischem Griff den Arm des jungen Mädchens. „Danken Sie dem lieben Gott auf den Knien, wenn ein solch gutgestellter Mann wie Hettstädt um Sie wirbt! Auf was wollen Sie warten? Einer Mamsell Habenichts fliegen die Prinzen und Grafen nicht in die Arme. Wollen Sie dem Onkel etwa ewig zur Last liegen, sich zeitlebens von dem alten Mann durchfuttern lassen? Er hat’s jetzt schon satt. Er darbt um Ihretwillen, er kann nicht mal seine notwendige Sommerreise machen, weil wir nun einen Fresser mehr im Hause haben. — Bitten Sie den lieben Gott, dass Hettstädt sich Ihrer erbarmt und Sie nimmt, ein grösseres Glück könnte Ihnen gar nicht blühen!“ — Schier drohlich funkelten sie die grauen Augen an, dann schlug die Tür schmetternd hinter der Sprecherin zu, — Margret aber fühlte ihre Knie erzittern. Als habe sie jählings ein Faustschlag zu Boden gestreckt, sank sie auf den Stuhl nieder. Sie weinte und seufzte nicht. Leichenblass, regungslos wie ein Bild von Stein starrte sie in den Frühling hinaus.
So kam es Schritt um Schritt näher, das Elend.
Als der Amtsrichter am nächsten Abend erschien, um seine Partie „Schach“ mit dem Professor zu spielen, hob Margret das bleiche Antlitz voll herber Entschlossenheit und sagte zu Frau Agnes: „Entschuldigen Sie mich mit Krankheit, — ich mag nicht in die Stube gehen.“ —
Da gab es einen bösen Austritt.
Das junge Mädchen aber entfloh in ihr Stübchen, schloss sich ein und war selbst dem zornigsten Klopfen der Wirtschafterin gegenüber taub.
Herr Hettstädt wunderte sich, dass Fräulein von Uttenhofen weder vor noch nach dem Essen erschien, und auch der Professor fragte erstaunt, wo seine Nichte denn bleibe?
„Sie hat sich beim Kochen die Hand verbrüht!“ seufzte Frau Agnes. „Du liebe Zeit, das arme Seelchen will es immer so besonders gut machen, wenn der Herr Amtsrichter kommt, dass sie jede Vorsicht und Schonung hintenansetzt!“
„Oh! Oh!“ nickte der ältliche Freier voll wohlwollender Rührung. „Es ist schön, wenn ein Weib so selbstlos und wirtschaftlich veranlagt ist!“
„Ei, da muss ich doch mal nach ihr sehn —“, sagte der Professor und schob das Schachbrett zurück, die liebe, gute Agnes aber hielt ihn energisch am Ärmel fest und befahl: „Sie bleiben hier! Das Mädel ist jetzt besser allein! Aber ein neues Paketchen Tabak können Sie geben, Herr Professor, der Beutel ist leer, und der Pfeifenkopf unseres lieben Gastes dampft kaum noch!“
„O, ich bitte Sie ... das hat noch Zeit ...“ wollte der Amtsrichter bescheiden ablehnen, — Frau Agnes schob aber ihren Brotherrn bereits dem Nebenzimmer zu.
Als sie die Tür hinter ihm geschlossen, lehnte sie sich freundlich und gewichtig auf den Sessel des Amtsrichters. Na, wie hat das Kalbskopffrikassee heut abend geschmeckt?“
„Ah — grossartig! Delikat!“ schmunzelte Hettstädt und sah noch bei der Erinnerung ganz verklärt aus.
„Das ist eher zu kauen, als wie wilde Karnickel und Musbrot?“ kicherte die Alte, und dann nickte sie seufzend vor sich hin: „Hat die Margret so schön gekocht, — das arme Wurm das!“
„Armes Wurm, — ei so ... wegen der Hand ...“
„Ach was! Hand! — Die ist ja längst wieder gut, wegen solcher Kleinigkeit verzieht ein Mädchen wie unsere Kleine überhaupt keine Miene! Nein, nein, — dem armen Kind liegt ein anderer Kummer auf dem Herzen ...“
„Ei, ei! — Doch nicht etwa der Leutnant?“
„Narrheit! Wo denken Sie hin!“
„Hm, — wäre mir auch ärgerlich!“
„Nein, es ist was anderes!“ — und Frau Agnes seufzte noch tiefer.
„Können Sie es mir nicht anvertrauen, meine liebe Freundin? Sie wissen, das Mädchen interessiert mich!“
„Je nun — wenn Sie es denn durchaus wollen — es betrifft nämlich auch Sie ...“
„Auch mich? — Ei, das wäre ja! —“
„Sie wissen ja, wie die Leute hier sind — —“
„Und ob ich das weiss!“
„Na, sehen Sie, da haben so ein paar giftige Zungen dem kleinen Unschuldslamm zu hören gegeben, sie angele nach Ihnen und wolle Sie dem alten Reff, der Doktorslina, abspenstig machen! Als ob Sie je an die gedacht hätten ... die mit den Salzheringen und dem wilden Karnickel ...“
„Ich denke nicht daran! Kein Pferd denkt daran!“ fuhr Herr Hettstädt entrüstet auf.
„Sag’ ich’s nicht! Und nun machen Sie schon wieder die Margret und Sie zum Stadtklatsch! Na, das mag ja kein anständiges Mädchen leiden, noch dazu, wenn ihr Herz dabei getroffen wird ...“
„Ihr Herz?!“
„Na, na, Sie Schäker, das haben Sie doch längst gemerkt, dass das Mädel bis über die Ohren in Sie vernarrt ist? Den Leutnant, trotz aller Schönheit und Schneidigkeit, haben Sie glänzend aus dem Sattel gehoben!“ —
„Was der Tausend!!“ Der Amtsrichter machte ein etwas sauersüsses Gesicht, teils geschmeichelt, teils etwas ängstlich besorgt um seine so viel begehrte Hand.
„Und weil dem nun mal so ist, kann die Margret das Geklatsch erst recht nicht aushalten!“ fuhr Frau Agnes fort und stemmte die Arme resolut in die Seiten. „Und darin hat sie recht, denn ein feines Fräulein darf nicht in den Mund der Leute kommen, und unsere Margret am wenigsten. Wenn Sie nicht Ernst machen und um sie anhalten, schadet ihr das Gerede furchtbar, und wenn der Berliner Anbeter davon hört, dann zieht er sich womöglich zurück. Das geht aber nicht, denn er ist reich und kann heiraten. Die Margret ist aber eine arme Waise — freilich beerbt sie später mal den Professor — und das ist ein tüchtig Stück Geld — vorläufig aber muss sie noch sehen, wie und wo sie unterkommt. Und da wird sie eben den Husar nehmen müssen, falls eben ein anderer nicht zuvorkommt —“
„Na, so eilig ist die Sache doch nicht —“
„Doch sie ist eilig! Der Berliner kommt noch im Laufe des Monats her — und da darf kein Geklatsch mehr sein, bis dahin müssen Sie wieder zu Doktors gehn —“
„Ich? Fällt mir gar nicht ein!“ Der Amtsrichter rückte sehr unbehaglich auf dem Sessel hin und her, während Frau Agnes ihm seufzend das Glas voll Wein schenkte.
„Was hilft’s? Sie müssen, lieber Freund, denn hierher können und dürfen Sie nicht mehr kommen —“
„Wa — was da?!“
„Nein, es geht nicht. Sie bringen dadurch unser armes Mädel ins Gerede. Entweder verloben mit ihr — — oder wegbleiben! — Schade, schade! Das liebe Kind wollte gerade für das nächstemal so eine feine Leberpastete mit Trüffeln machen, und der Professor hat ein neues Fass Moselwein bestellt — wenn die Krebszeit anfängt, Herr Amtsrichter — wir essen viel Krebse ... o und die arme Margret ... ihr wird ja das Herz brechen, wenn Sie wegbleiben!“ —
Die Sprecherin hob den Schürzenzipfel an die Augen und schütterte vor innerlichem Schluchzen derart, dass ihre massige Gestalt wogte: „Die schlechten Menschen! — Die abscheulichen Klatschmäuler, wie waren wir so harmlos froh mitsammen!“ — Der Amtsrichter war aufgesprungen und fuhr mit gespreizten Fingern durch sein spärliches Haar. Mit grossen Schritten rannte er in der Stube auf und nieder.
„Ja, diese Elenden — diese Gottvergessenen! Infame Bande hier!!“ schimpfte er ingrimmig, und dann blieb er mit blinzelnden Augen vor Frau Agnes stehen: „Aber sagen Sie, Liebe, Teuerste! Liesse sich denn kein Ausweg finden? Wenn ich nun zum Beispiel öffentlich erkläre, dass ich überhaupt niemals zu heiraten gedenke, dass ich weder die eine noch die andere nehme ... dass ich nur aus Freundschaft für den Professor hier so viel im Hause verkehre — —“
Frau Agnes kniff entschlossen die Lippen zusammen.
„Glaubt ja kein Mensch! Im Gegenteil — das stellt die Margret erst recht bloss. — Nee, nee, Freundchen, is nich. Entweder verloben, oder wegbleiben!“
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