Nataly von Eschstruth
Roman
Saga
Lebende Blumen
© 1921 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711472859
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com
Wenn man die lange, tiefschattige Lindenallee, welche aus der Stadt heraus in die an und für sich recht reizlos flache Umgegend führt, bis zum Ende hinabgewandert ist, so wogt auf warmen Sommerlüften oder mildem Frühlingsodem ein fast berauschender Duft daher.
Woher?
Die Leute in der Stadt wissen es und ihr liebster Spaziergang führt sie hinaus in das Stücklein unverlorenen Paradieses, welches hier, vor all dem Lärm und Grossstadtgetriebe selig versteckt, ein märchenhaftes Dasein träumt.
Man muss schon dicht vor den gewaltigen Ligusterhecken stehen, wenn man einen Blick in dieses wonnevolle Reich von Knospen, Blüten und Früchten werfen will.
Ein hohes, spitzgiebeliges Ziegeldach ragt über die Gruppen erlesen schöner Bäume empor.
Im Frühling zauberhaft anmutig in allen lichten Farbenmischungen, von dem zarten, fast weissgrünen Leuchten der Silberpappel durch dicke Tuffs maifrischer Birken, Kastanien, Linden, Ulmen und Ahorn, bis zu dem voll gesättigten Braunrot der Blutbuche und -nuss.
Dazwischen lachen Jasmin und Syringen, schüttet der Goldregen sein gleissendes Füllhorn aus übervollen Zweigen, und der Rotdorn prunkt mit dem glühenden Pirus um die Wette, dieweil neben ihnen in reizendem Wettbewerb all die vielen Ziersträucher mit weit offenen Blumenaugen und ausgebreiteten Zweigarmen dem segenspendenden Himmel entgegenstreben.
Wie artigen Kindern hat ihr Wärter ihnen kleine Täfelchen umgehängt, wie schmucke Serviettchen, auf welchen ähnlich wie „Mamas Liebling“ die schönen Namen prangen, nach welchen der liebe Frühling seine Kleinen benannt haben wollte!
Wer diese anmutigen Lenzeskinder lieb hat, kann viel Reizendes hier schauen, immer neue Wunder an Form, Farbe und Duft, welche sich täglich frisch erschliessen, in oft verschwenderischer Fülle und Abwechselung.
So oft wie Gott der Herr sein allmächtiges „Werde“ über die ehemals so öde und dunkle Welt gerufen, so oft haben sich entzückende Blütenkelche erschlossen, haben helle, liebe Äuglein dankbar zu ihm emporgestrahlt!
An dem sehr alten, weissgetünchten Haus scheint alles zusammengetragen zu sein, was da rankt, klettert und sich in graziösen Gewinden an Blatt und Bäumen emporschlingt.
Da sind alle Rosen, Glizienias und Klematisarten vertreten, ihre neu importierten Schwesterchen aus Japan und Amerika sind bald zwischen ihnen heimisch geworden und grüssen die ungezählten Freundinnen aller Gattungen und Sorten, welche sich auf den breiten Rabatten vor dem Hause, sowie auf den samtweichen, kurzgeschorenen Rasenflächen der Gartenanlagen zu imposanter Fülle und Vollendung entwickeln.
Die Nachtigallen bauen ihre Nester dazwischen und Schwälbchen und Stare finden voll treuer Sehnsucht alljährlich den Weg hierher zurück.
Hinter dem Haus, dessen schneehelle Tüllstores in dem Sonnenglanz leuchten, dehnen sich weite Felder wie zauberholde Blumenteppiche, je nach Jahreszeit und Modegeschmack mit den Massen von Veilchen, Narzissen, Hyazinthen und Tulpen bedeckt, welche zu Tausenden auf den Markt hinauswandern.
Da weben sich alle Fäden, welche den ungezählten Menschenleben das Muster wirken, in die Formen hinein, zu welchem all die Blumen und Knospen gebunden werden.
Die Rosengirlanden, welche dem jungen Erdenbürger glückverheissend in das Taufbecken nicken, die feierlich schönen Konfirmationsbuketts und die fröhlichen Kotillonsträusschen im Geleit der duftenden Blumenarrangements für Festtafeln aller Art’ — das keusche, heilige Weiss von Mrythe und Orange, welche im Brautkranz zum Symbol der Liebe werden, bis die ernsten, dunklen Zypressen und Imortellen sich zum letzten Gruss für selig in ihrem Gott Gntschlafene, im Palmenschmuck zusammenschliessen!
Es ist eine gar beredte Sprache, welche die kleinen Blumen duften, aber nicht ein jeder Mensch hört und versteht sie, denn dieses Lallen geht nicht in das Ohr, sondern in das Herz ein, und es sind meist nur die ganz Gottbegnadeten, welche so fein mit dem Herzen hören können, dass ihnen der Blumenduft die seligsten und tiefsinnigsten Psalter der Ewigkeit singt! Das ist ein ganz besonderes Himmelsgeschenk von dem, welcher sich selber den „guten Gärtner“ genannt hat, nicht nur für die Blümlein, welche draussen in Feld und Garten wurzeln, sondern vielmehr für all die zarten, liebreizenden Menschenblüten, welche er so gern hegt und pflegt, durch seine Gnadensonne erwärmt und erfreut und durch milden Regen nach Hitze und Wettergraus erquickt und stärkt.
Sie müssen nur kommen und den so freundlichen und barmherzigen Gärtner bitten, dass er sie als die Seinen anerkennen und freundlich in seine treue Hand schreiben will.
Dann fehlt es an keinem Guten, nur geduldig ausharren müssen sie in der Trübsalshitze und Gewitternot, wie die Schwestern in Wald und Heide. Wenn es noch so dunkel und traurig in der unheilschwülen Welt aussieht, einmal wird es doch wieder hell, — die rechte Zeit muss nur dafür kommen!
An dem grossen Gartentor ist ein breites Schild angebracht.
„Handels- und Kunstgärtnereien von Tobias Maximilian Eicklingen.“
Nicht nur stadt-, sondern weltbekannt ist seine Firma, Geschmack, Kunstsinn, tadellose Ware garantiert die alte Tradition des Hauses.
Heute sieht die Einfahrt, welche sonst als einzige ohne Blumenschmuck nur der Beleuchtung dient, ebenso imposant aus wie sonst bei hohen Fest- und Feiertagen, wo entweder die Pfingstmaien sie überragen oder die Christbäume fröhliches Willkommen bieten.
Heute schlingt sich eine grosse Girlande von Pfeiler zu Pfeiler, und die Menschen, welche aus den herzurollenden Wagen steigen, tragen ein Sonntagskleid und sehen alle so fröhlich aus, als wollten sie schon auf ihren Gesichtern den Sonnenschein des Frohsinns in das Haus tragen.
Bei Kommerzienrat Eicklingens ist Taufe!
Wunderbar! Das sechste Mädel!
Sonst wünschen sich die Väter zu ihren Töchtern doch meist auch einen Sohn, Herr Eicklingen macht jedoch eine Ausnahme von dieser Regel.
Er ist ein Germane, ur- und kerndeutsch „bis auf die Knochen!“ wie er selber sagt, und die Deutschen haben es schon von alters her bewiesen, dass sie das Weib als ihr Liebstes und Heiligstes stets in Ehren gehalten!
So auch er.
„Ich bin Gärtner und sollte mir nicht als reizendste Zierde meines Hauses Töchter wünschen?“ lacht er, und dabei reckt er seine hohe, markige Gestalt, und das blondlockige Haupt auf den breiten Schultern hebt sich stolz an der Wiege seiner Sechsten —: „Unsere Frauen und Mädchen sind die lebenden Blumen, welche unser arbeits- und mühereiches Leben schmücken, idealisieren und inhaltsreich machen! Würden wir Rosen pflegen, wenn sie nur Dornen trügen? — Ist nicht seit alters her die Blume zur Helmzier ritterlicher und streitbarer Männer erkoren? — Ich kann des Guten nie zu viel haben und meine Sechste hier ist mir noch willkommener wie die Fünfte!“
Und dabei hob er das süsse kleine Bündel im Taufkleid mit starken Armen empor, dass die himmelblauen Seidenschleifen aufwogten, küsste zärtlich das rosige kleine Gesicht und sagte: „Als erstes Blümchen bist du gekommen, du herziger Frühlingsgruss! Just mit den blauen Cillas zu gleicher Zeit! So sollst du auch ihren Namen tragen, und mit deinen himmelsfarbenen Augen, so Gott will, dein Lebenlang die fröhliche Lenzesverheissung zu denen tragen, die dich lieb haben: ich bringe euch den Frühling mit!“
Читать дальше