1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 „Barmherziger Gott!“ —
„Na, nur kein Geheule! Das hilft nichts! Aber wenn der Amtsrichter heute abend kommt, dann mal alle Minen springen lassen! Wer so hübsch ist wie Sie, kann schon einen Mann toll machen, dass er um Ihretwillen der ganzen Stadt trotzt! Also zärtlich! Sehr zärtlich! Schätzchen hier — und Schätzchen da! Und dann vergessen Sie nach Tisch sein Bullrichsalz nicht! Sie wissen, dass er es einnehmen muss! Und ausserdem können Sie ihm einen hübschen, grünen Augenschirm sticken, Sie wissen, dass er kranke Augen hat — —“
Wie vernichtet sank Margret auf den Stuhl und nickte nur stumm und mechanisch vor sich hin. — Wie Schauer des Entsetzens rieselte es durch ihre Glieder.
Ach, so schwer, so furchtbar schwer hatte sie sich ihr Martyrium doch nicht gedacht!
Wehe ihr, dass sie den Ring an ihren Finger gestreift, nun lag er als schwere, erdrückende Kette an ihr, nun konnte keine Macht der Welt ihn wieder lösen und zerbrechen, — und sie musste die qualvolle Last durch das Leben schleppen — durch ein ganzes, langes — trostloses Leben!
Frau Agnes war gegangen.
Margret regte die bebenden Hände so fleissig wie zuvor, stopfte die groben Küchenhandtücher und schaute mit grossen, glanzlosen Augen in den dämmernden Lenz, der mit tausend jungen Blütenknospen hinaus — weit fort und hinaus lockte, während die Myrtenblüten an ihrer Seite trauernd die bleichen Blättchen streuten, als fehle ihnen Kraft und Mut, zu der grossen, lügenhaften Tragödie einer Vernunftsheirat die lieblichsten Symbole zu leihen.
Die Uhr nickte und holte zum Schlage aus. Margret hob jählings das Köpfchen, wie aus schweren Träumen erwachend.
Ein weiches, wehmütiges Lächeln huschte über ihr bleiches Antlitz.
Sieben Uhr! Die Stunde, wo sie hineilen durfte zu ihrem guten, freundlichen Musiklehrer, bei träumerischen Klängen und süssen Harmonien das Elend ihres Lebens zu vergessen!
Margret erhob sich hastig, faltete ihre Arbeit zusammen und schob sie in den Flickkorb. Dann griff sie nach Mantel und Hut, öffnete ihr Fensterchen und eilte lautlos und hastig, als liesse die Sehnsucht ihr Flügel wachsen, die Treppe hinab.
Weiche, wonnige Frühlingsluft wehte ihr entgegen.
Die letzten Glutengarben des Abendrotes flammten noch über den westlichen Himmel, während über ihr, auf blassblauem Meer der Unendlichkeit, die matte Mondscheibe schwebte wie eine einsame, verlassene Seele, die kein rettendes Ufer mehr erreichen kann.
Ohne rechts und links zu blicken, eilte Margret die einsame Allee entlang, deren rechte Seite nur vereinzelte Häuser säumten, während sich zur Linken weite Felder dehnten.
Hier ausserhalb der Stadt, wo die meiste Ruhe herrschte und die beste Luft wehte, hatte der Professor seine Wohnung gemietet, und auch der Musikdirektor wohnte in einer der freiliegenden Vorstadtstrassen, weil hier die Quartiere noch billig und geräumiger waren, ja, wo er sich den Luxus eines Gartens gestatten konnte, was bei seiner zahlreichen Familie immerhin ein grosser Vorteil war.
Musikdirektor Halm gehörte zu jenen Stiefkindern des Schicksals, die es trotz alles Fleisses und bester Begabung nicht zu wirklichen Erfolgen bringen können.
Zu schüchtern und gutmütig, um sich in der Grossstadt voll rücksichtsloser Energie durch alle Kabalen und sperrenden Hindernisse Bahn brechen zu können, liess er sich wieder und immer wieder von anderen zur Seite schieben und überflügeln, und trotz seiner Begabung und seiner recht bedeutenden Kenntnisse musste er schliesslich froh sein, bei sehr schmalem Gehalt als Leiter der kleinen Stadtkapelle in Rügenfurt angestellt zu werden.
Zwar verdiente er noch durch Privatmusikstunden und kleine Konzerte, die er in der Umgegend arrangierte, aber dennoch blieb der Wohlstand seiner kinderreichen Familie fern.
Seine tapfere kleine Frau mühte und quälte sich redlich, den grossen Haushalt mit Hilfe nur eines einzigen jugendlichen Mädchens zu bestreiten, und Margret hatte schon oftmals in freier Stunde die wilde, kleine Schar „gehütet“, wenn Mutter und Magd voll edlen Wetteifers in Küche und Keller tätig waren.
Auch heute hallte Fräulein von Uttenhofen ein lärmender Jubel aus dem Garten entgegen, der ihr schon von weitem bewies, dass die Kleinen sich ungebundenster Freiheit erfreuten.
Selbst das Allerkleinste sass noch weinend in dem niederen Holzwägelchen, sicherlich hungrig und müde, und dennoch fand sich keine hilfreiche Hand, es droben zu betten.
Beim Anblick des jungen Mädchens stürmte die ausgelassene Schar sofort auf sie ein.
„Fräulein Margret! Fräulein Margret! Die Mama ist schlimm gefallen! Sie liegt im Bett! Und wir dürfen heute aufbleiben, solange wie wir wollen!“
„Gefallen?!“ Erschrocken schob Fräulein von Uttenhofen die lärmenden Trabanten beiseite und stürmte die Treppe empor.
Alle Türen standen sperrangelweit offen, und aus dem Schlafzimmer tönte ihr die leise klagende Stimme der Musikdirektorin entgegen. „Marie! bist du wieder da? Ach, hole doch Lieschen schnell herauf, ich höre das Kind schon seit einer halben Stunde schreien!“ —
Margret trat auf die Schwelle, und die Kranke ward dunkelrot vor Schreck.
„Ach, Sie sind es, gnädiges Fräulein! O, vergeben Sie, dass die Stunde nicht abbestellt ist, — ich hatte keine Menschenseele zum Schicken ...“
„Frau Halm! Sie sind krank? Um alles in der Welt, was ist passiert?! —“
Die Kranke drückte herzlich die dargebotene Hand. „O, gottlob nichts Allzuschlimmes! Es hätte sehr viel übler ablaufen können. Wir wollten Gardinen aufstecken ... die Leiter rutschte ... und da habe ich mir den Fuss gebrochen! Besser doch den als den Hals!“
„Und liegen so ganz allein?“
„Mein Mann ist telegraphisch für drei Tage nach Lutzenburg gerufen, — die Marie hat erst den Doktor geholt und ist nun zu meiner Freundin, der Registratorin, ob sie wohl zur Hilfe herkommen kann? Ich hoffe es! Sie hat keine Kinder, und der Mann ist so gut! — Na, und nun toben die Kinder im Garten, keins lässt sich hier oben blicken, und Lieschen schreit so sehr ...“
Ein angstvoller Ausdruck trat auf das Gesicht der Kranken, und die heisse Röte ihrer Wangen vertiefte sich. Ungeduldig strebte sie empor: „Ach, welch ein Unglück, so hilflos liegen zu müssen! Sie glauben gar nicht, wie schwer es ist, wenn man ...“
Margret stand neben der Sprecherin und drückte sie mit sanfter Hand in die Kissen zurück. „Liegen Sie ganz still, Frau Halm, und regen Sie sich nicht auf! Ich hole Lieschen und bringe es zu Bett!“ —
„Ach, Sie wollten? O, Sie Liebe, Beste ...“
Schon war das junge Mädchen mit hastigem Schritt davongeeilt; nach wenig Augenblicken verstummte das Geschrei im Garten, und zärtlich kosend und die Kleine beruhigend, trat Fräulein von Uttenhofen alsbald wieder, mit dem Kinde auf dem Arm, in das Zimmer.
Kaum, dass Frau Halm sie anzuleiten brauchte, besorgte sie schnell das Nötige, setzte die Milch auf den Herd, bereitete das kleine Lager im Kinderwagen und begann das Baby zu waschen.
Lieschen wehrte sich zwar ein wenig gegen die fremde Dame, aber die weiche, liebevolle Stimme Margrets wirkte wie ein holder Zauber auf die übermüdete Kleine, sie schluchzte noch ein paarmal auf, verlangte zur Mutter und liess sich dann wohlbefriedigt zur Seite der Kranken im Wägelchen betten.
Nun noch die Flasche ... ein paar gierige Züge, und die Augen fielen bereits zu. —
„Nun gehe ich und hole die andern! Die Hafersuppe, die auf dem Feuer brodelt, ist wohl das Abendessen?“ flüsterte Margret.
„Mit Brotschnitten dazu! O, liebes, gnädiges Fräulein — wie soll ich Ihnen danken — —“
„Pst!“ lächelte das junge Mädchen und legte den Finger an den Mund. — Ihre Augen strahlten, und die Wangen färbten sich mit zartem Rot. Welch eine Freude war diese ungewohnte Tätigkeit für sie! Welch eine Genugtuung und Befriedigung war es, der Kranken behilflich und den Kindern nützlich zu sein!
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